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Metzler Lexikon Philosophie: Transzendentalpragmatik

von Apel entwickelter Ansatz zur Ethikbegründung, der mit dem doppelten Anspruch auftritt, sowohl bestimmte Grundnormen als unbedingt gültig wie auch als notwendig verbindlich für jeden auszuweisen. Den Ausgangspunkt der Problemstellung charakterisiert Apel als Paradoxie, denn einerseits besteht angesichts der technologischen Konsequenzen der Wissenschaft ein Bedürfnis nach einer universalen Ethik. Die Menschen sind vor die Aufgabe gestellt, die solidarische Verantwortung für die Auswirkungen ihrer Handlungen auf das Schicksal der Menschheit insgesamt zu übernehmen. Eine solche Verantwortung müsste durch die intersubjektive Geltung der Normen begründet sein. Die andere Seite der »Paradoxie« stellt die Diskrepanz zwischen wissenschaftlicher Rationalität und Begründungsanspruch der Ethik dar. Im Anschluss an das Sinnkriterium des Logischen Empirismus wird die Möglichkeit intersubjektiver Geltung von Argumenten auf den Bereich der logisch-mathematischen Formalwissenschaften oder den Bereich der empirischen Realwissenschaften eingeschränkt. Moralische Normen oder Werturteile werden dadurch in den Bereich unverbindlicher Subjektivität verwiesen. Die Paradoxie besteht in der Diskrepanz zwischen Erfordernis und Möglichkeit. Die T. von Apel versucht dem drohenden Relativismus mit Hilfe einer spezifischen Argumentation zu begegnen. Die logische Struktur seiner Überlegung lässt sich folgendermaßen rekonstruieren: (1) Wie ist eine Begründung für Normen denkbar, die jedermann verpflichten? (2) Wie können letztgültige Normen gerechtfertigt werden? Es gilt zunächst solche Normen zu identifizieren, um anschließend den Charakter der Letztgültigkeit einsichtig zu machen. Letztgültigkeit besagt, dass sie allgemein und notwendig anerkannt werden müssen und keiner weiteren Begründung mehr bedürfen. Eine weitere Begründung erübrigt sich dann, wenn eine Norm deshalb als schlechthin notwendig anerkannt werden muss, weil sie eine notwendige Voraussetzung für etwas darstellt, das für keine Person hintergehbar ist. Hintergehbarkeit wäre gegeben, wenn der Einzelne darüber entscheiden könnte, ob er an einem Geschehen bzw. an einer Interaktion teilnehmen will oder einem solchen zustimmen will (oder nicht). Für den Nachweis der Nicht-Hintergehbarkeit ist es deshalb erforderlich aufzuzeigen, dass jede Person immer schon an einer bestimmten Interaktion teilnimmt, und für den Nachweis der notwendigen Anerkennung einer Grundnorm, dass diese (bzw. deren Einhaltung) die notwendige Voraussetzung (d.i. die Bedingung der Möglichkeit) für diese Interaktion darstellt.

Der erste Schritt der Antwort besteht in der Feststellung, dass wir uns immer schon in einer Kommunikationsgemeinschaft bewegen. Dieser pragmatische Kontext zeichnet sich dadurch aus, dass Personen sich durch Sprechhandlungen verständigen. Diese Sprechhandlungen zeichnen sich durch eine gewisse Doppelstruktur aus: Mit jeder Aussage wird ein Aussageinhalt vermittelt und gleichzeitig eine personale Beziehung eingegangen, indem der Sprecher seine Aussage immer mit bestimmten Geltungsansprüchen versieht. Die Geltungsansprüche der Verständlichkeit, der Wahrheit, der Wahrhaftigkeit und der normativen Richtigkeit sind unabdingbar, soll eine Verständigung gelingen können. Mit jedem Geltungsanspruch ist ein Verständnis der Verbindlichkeit verbunden, diese bei Bedarf (d.h. bei Rückfrage oder Zweifel des Hörers) durch rationale Argumentation einzulösen. Jede rationale Argumentation setzt bestimmte Argumentationsregeln voraus. Daran knüpft Apel sein Argument der Letztbegründung, das besagt, dass jeder die Bedingungen sinnvollen Argumentierens implizit schon anerkannt haben muss und selbst derjenige, der bspw. bestimmte Aussagen oder Normen in Zweifel zieht, argumentieren muss und insofern auch diese Bedingungen akzeptiert haben muss. Apel kann mit Hilfe eines reflexiven Arguments eine erste Begründung abgeben: Was der sinnvoll Argumentierende notwendig in Anspruch nehmen und voraussetzen muss, stellt die Bedingung der Möglichkeit und Gültigkeit sinnvoller Argumentation dar. Dieses Argument stellt insofern eine Letztbegründung dar, als nicht endlose Begründungsschritte oder eine Deduktion aus einem höheren Prinzip vollzogen werden, sondern der Verweis auf die Nichthintergehbarkeit und Nichtbezweifelbarkeit der Bedingungen sinnvoller Argumentation keiner weiteren Begründung mehr bedarf. In dieser reflexiv aufzudeckenden Argumentationsstruktur sind zugleich die Fundamente einer normativen Ethik enthalten. Wenn wir immer schon als Argumentierende in einer Kommunikationsgemeinschaft stehen und Argumentation (aufgrund der Geltungsansprüche) eine Form der Kooperation ist, dann bedeutet das, dass wir immer schon Regeln der Interaktion anerkannt haben, die sich auf das Miteinander von handelnden Menschen beziehen. Wenn wir zudem diese Regeln nicht sinnvoll in Zweifel ziehen können, dann haben wir mit ihnen absolut verbindliche und verpflichtende Regeln anerkannt. Folgende Grundnormen benennt die T.: (1) sich rational argumentierend um die richtige Handlungsalternative zu bemühen, (2) alle praktischen Fragen konsensuell aufzulösen, so dass über alle Ansprüche ein vernünftiger Konsens hergestellt wird, dem sowohl jeder Beteiligte wie jeder Betroffene zustimmen können muss, (3) alle möglichen Ansprüche aller Mitglieder der Kommunikationsgemeinschaft, die durch vernünftige Argumente gerechtfertigt werden können, anzuerkennen und eigene durch Argumente zu rechtfertigen, (4) sich in allem Handeln daran zu orientieren, das Überleben der menschlichen Gattung (als der realen Kommunikationsgemeinschaft) sicherzustellen und die reale Kommunikationsgemeinschaft im Sinne des idealen Maßstabs der Argumentation zu verändern.

Literatur:

  • K.-O. Apel: Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft und die Grundlagen der Ethik. In: Transformation der Philosophie. Bd. 2. Frankfurt 1973. S. 358 ff
  • Ders.: Sprechakttheorie und transzendentale Sprachpragmatik zur Frage ethischer Normen. In: Ders. (Hg.): Sprachpragmatik und Philosophie. Frankfurt 1976. S. 10 ff
  • W. Kuhlmann: Reflexive Letztbegründung. Freiburg/München 1985
  • Ders. (Hg.): Kommunikation und Reflexion. Frankfurt 1982.

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Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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