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Metzler Lexikon Philosophie: Vorsokratiker

Sammelname für die griech. Philosophen der verschiedenen Richtungen und Schulen vor dem Auftreten des Sokrates. Die Berechtigung, sie als geschlossene Gruppe zu betrachten, ergibt sich daraus, dass Sokrates mit seiner Art des Fragens eine neue Art des Philosophierens einleitet. Bei den V. finden wir die ersten Ansätze der abendländischen Philosophie, die in engem Zusammenhang mit der historischen Entwicklung in den griech. Kolonien an den Küsten des Mittelmeers, im ionischen Kleinasien und Unteritalien im 7. und 6. Jh. v. Chr. steht. Der dort herrschende rege Handel vermittelt Kenntnisse über andere Völker und erweitert den geistigen Horizont. Ein Kennzeichen dieser Zeit ist der beginnende Übergang von der Aristokratie zu anderen politischen Herrschaftsformen (Tyrannis, Demokratie) und die damit verbundenen innenpolitischen Krisenerscheinungen. Den geistigen Umbruch jener Zeit hat W. Nestle mit dem Schlagwort »Vom Mythos zum Logos« charakterisiert. Die Erklärung durch anthropomorphe Götter wird jetzt durch die Suche nach natürlichen, rationalen Prinzipien ersetzt, die zu einer neuen Deutung der Ordnung der Welt und der Stellung des Menschen dienen. Dieser Übergang vollzieht sich jedoch nicht plötzlich, so dass mythisches Denken bei den V.n noch an vielen Stellen sichtbar wird.

Die V. beschäftigten sich mit einer Fülle sehr unterschiedlicher Probleme: (1) Die ionischen Naturphilosophen Thales von Milet, Anaximander und Anaximenes stellten die ersten philosophischen Theorien auf. Deren Grundgedanke besteht in der Annahme eines für alles Seiende gemeinsamen Urgrundes (Arche), der als einheitlicher Urstoff der Vielheit der Dinge zugrunde liegt und als Ursache die erfahrbaren Veränderungen bewirkt. (2) Im Mittelpunkt der Lehre des Pythagoras und seiner Schüler steht die Theorie der Zahlen. Die Dinge der Welt sind wesentlich durch Zahlenverhältnisse bestimmt, d.h. ihr Wesen besteht in Zahlen. (3) Die Eleaten (Xenophanes, Parmenides, Zenon) behandeln die Frage nach der arche als metaphysische Frage. In der Lehre vom einen, unveränderlichen Sein wird besonders das Verhältnis der Einheit des Seienden und der Vielheit der Dinge untersucht. Dabei erfolgt die Unterscheidung von zwei Seinsbereichen (reines Sein – die veränderlichen Dinge der Erfahrung) und zwei Erkenntnisbereichen (Vernunfteinsicht – Wahrnehmungserkenntnis). (4) Heraklit thematisiert vorrangig den Prozess des ununterbrochenen Werdens und Vergehens. Das Urfeuer, das zugleich vernünftig gestaltende Kraft (Logos) ist, bildet nach ihm den Urstoff, aus dem alle Dinge ständig hervorgehen und wieder zurückströmen. (5) Zu den jüngeren Naturphilosophen gehören Empedokles und Anaxagoras. Während dieser die Ansicht vertritt, dass es unendlich viele, qualitativ verschiedene Grundstoffe gibt, bei deren beliebig fortgesetzter Teilung stets dem ursprünglichen Ganzen gleichartige Teile (Homöomere) resultieren, nimmt jener vier unveränderliche Elemente (Erde, Luft, Wasser, Feuer) als »Wurzeln« der Dinge und zwei auf sie einwirkende Kräfte (Liebe, Streit bzw. Hass) an. (6) Für die Atomisten (Leukipp, Demokrit) besteht die Welt aus unteilbaren (atomos) Körperchen, die stofflich völlig gleich sind. Zwischen den Atomen existiert nur der leere Raum. Die Dinge entstehen allein aus der Gruppierung der Atome. Das Kausalprinzip bildet das universelle Prinzip der Wirklichkeit. (7) Die Sophisten (Protagoras, Gorgias, Prodikos u. a.) beschäftigen sich überwiegend mit der Natur des Menschen und seiner sittlichen und gesellschaftlichen Bestimmung; besonders widmen sie sich dabei der Entwicklung von Theorien über die Beschaffenheit der Seele, untersuchen die Tugend sowie das Verhältnis von natürlichem Recht (physei) und Satzung (nomos).

Literatur:

  • H. Althaus: Götter, Dichter und Atome. Bonn l990
  • H. Diels/W. Kranz (Hg.): Die Fragmente der Vorsokratiker. Bd. 1–3. Berlin 1951
  • H.-G. Gadamer (Hg.): Um die Begriffswelt der Vorsokratiker. Darmstadt 1989
  • G.S. Kirk/J.E. Raven/M. Schofield: Die vorsokratischen Philosophen. Stuttgart 1994 – J. Mansfeld (Hg.): Die Vorsokratiker. Stuttgart 1987
  • W.H. Pleger: Die Vorsokratiker. Stuttgart 1991
  • W. Röd: Die Philosophie der Antike 1. München 1988.

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Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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