Lexikon der Psychologie: Psychodrama
Psychodrama, Therapieform, die zur Humanistischen Psychologie bzw. Humanistischen Therapie gezählt wird und deren Entwicklung maßgeblich beeinflußte, obwohl sie als eigenständiger Ansatz heute quantitativ keine große Bedeutung hat. Der Begründer, Iacov Levy Moreno, ein bis zur Emigration in die USA in Wien arbeitender Psychiater und Philosoph, entwickelte mit dem Psychodrama eine Gruppenpsychotherapie, in der psychische und zwischenmenschliche Konflikte in kreativen, Theater-ähnlichen Szenen dargestellt und ausagiert werden.
Wesentlich für das Psychodrama sind der Begriff Begegnung, das Konzept der Empathie (Einfühlung, Gesprächspsychotherapie) sowie die Hervorhebung des ,,Hier und Jetzt" für das Erleben des Klienten und für die gesamte therapeutische Arbeit. Die Gestalttherapie (Fritz Perls) übernahm vom Psychodrama Elemente wie ,,Rollenspiel", ,,Rollentausch" und ,,leerer Stuhl".Nach Moreno ist menschliches Handeln wesentlich an die Ausübung von Rollen gebunden; im Zusammenhang damit entwickelt sich das menschliche Selbst. Dabei läßt sich der Aspekt der Rolle ,,als Kategorie" von dem der Rolle ,,als aktive Handlung" unterscheiden: Rolle ,,als Kategorie" ist eine Art Verhaltenskonserve, in der gesellschaftlich vorgegebene Handlungsmuster (individuell transformiert) manifestiert sind (dieser Aspekt wird allerdings erst ab Mitte der 40er Jahre in Morenos Schriften deutlich). Rolle ,,als aktive Handlung" meint die im ,,Hier und Jetzt" gespielten Rollen, die das ,,Selbst in actu" bzw. das ,,Ich" ausmachen – ein Aspekt, der besonders in Morenos früheren Schriften betont wird und der die spontane Kreativität in seinem Stegreiftheater als wünschenswert der ,,kulturellen Konserve" gegenüberstellt, wobei mit letzterer die kulturell vorgegebenen, gelernten und weitgehend starren Rollen im ,,üblichen Theater" wie auch im Leben gemeint sind.
Wesentlich sowohl für die theoretischen Überlegungen als auch für den therapeutischen Ansatz des Psychodramas sind vier Aspekte, die die Lebenswelt des Menschen, in der er als ,,soziales Atom" handelt, bestimmen: Raum, Zeit, Realität und Kosmos: a) Raum ist nicht nur physisch, sondern insbesondere auch psychologisch und soziologisch zu verstehen, macht also den ganzen Lebenszusammenhang eines Menschen in seinem Umfeld aus. Im Psychodrama spielt die Rekonstruktion dieses Raumes auf der ,,Bühne" daher eine wichtige Rolle. b) Zeit wird durch das ,,Hier-und-Jetzt"-Prinzip bestimmt, d.h. dadurch, daß Vergangenheit und Zukunft nur dann existieren (bzw. existenziell erfahren werden können), wenn sie vergegenwärtigt werden. Im Psychodrama müssen also Vergangenheit und Zukunft in die Gegenwart geholt werden, um (im wörtlichen Sinne) eine Rolle mitspielen zu können. c) Realität ist immer auf Zeit und Raum bezogen; daher kann eine im Psychodrama dargestellte Szene zwar nicht im Sinne der Alltagswelt real sein, aber innerhalb der dargestellten Lebenswelt, der ,,psychodramatischen Hilfswelt", dennoch real erfahren werden. Sofern im Psychodrama äußere Sachverhalte dargestellt werden, spricht Moreno von ,,Semirealität", geht es um psychische Inhalte, werden diese mit ,,Surplusrealität" bezeichnet. d) Kosmos bezeichnet den gesamten Kontext, in dem der Mensch seinen Entwicklungsprozeß vollzieht und zu seiner eigentlichen Bestimmung, der schöpferischen Selbstverwirklichung findet. In diesem ,,Kosmos"-Konzept sind Morenos philosophisch-religiös-anthropologische Vorstellungen enthalten.
Ein wesentlicher Aspekt des Psychodramas ist die Katharsis, die heilende Wirkung des Nacherlebens und Ausagierens von belastenden Erfahrungen. Obwohl Psychodrama auch als Einzeltherapie, als ,,Monodrama" (bzw. ,,Psychodrama en miniature"), durchgeführt wird, sind die wesentlichen Konzepte doch auf eine Arbeit mit Gruppen bezogen. Dabei werden gewöhnlich in der Literatur folgende sechs Bestandteile hervorgehoben: 1) Die Bühne oder Spielfläche ist vom übrigen Raum der Gruppe deutlich abgegrenzt; ein Bühnenbild wird symbolisch, mit Hilfe der Vorstellungskraft geschaffen und um möglichst wenige reale Requisiten ergänzt. Diese Bühne ist für das Psychodrama nun der Raum, in dem der Protagonist Szenen aus Vergangenheit und Zukunft, Träume, Ängste, Phantasien, Beziehungen, Lebenssituationen, Wünsche und Ängste entfaltet. 2) Der Protagonist ist als Problemsteller bzw. Autor und Hauptdarsteller ein Mitglied der Gruppe, das auf der Bühne spontan in Szene setzt, was ihm in den Sinn kommt – in der Regel Szenen, die seine Probleme und Konflikte betreffen. Mit Hilfe des Spielleiters und der Mitspieler, durch Einsatz von Sprache, Mimik, Gestik, Bewegung usw., soll ein möglichst hoher affektiver Realitätsgehalt erreicht werden. Hierdurch wird ermöglicht, daß der Protagonist seine Wirklichkeit erleben (bzw. wiedererleben) kann, aber auch mit sich experimentiert, und neue Erfahrungs- und Verhaltensmöglichkeiten für sich erprobt. 3) Der Spielleiter oder Direktor ist der Regisseur, der dem Protagonisten beisteht und ihm ein möglichst intensives Spiel ermöglicht. Diese Rolle wird vom Therapeuten übernommen, der durch Warm-Up-Übungen Aktivitäten und Prozesse initiiert bzw. katalysiert, möglichst jede Anregung des Protagonisten aufgreift, auf eine Intensivierung der Probleme hinarbeitet und nach dem Spielgeschehen mit dem Protagonisten, den Mitspielern und den anderen Mitgliedern der Gruppe das Geschehen bespricht und analysierend aufarbeitet. 4) Die Mitspieler, Hilfs-Ichs oder Assistenten dienen dem Protagonisten bei der Realisierung seines Spieles, indem sie reale oder phantasierte Personen, Symbolfiguren usw. darstellen – z.B. ”Mutter”, ”Vater”, ”Chef'”, ”(Phantasie-) Kontrolleur", ”Ehrgeiz" etc. Diese Hilfs-Ichs spielen dabei ihre Rollen gemäß den Anweisungen des Protagonisten (bzw. den Vorschlägen des Spielleiters) und müssen versuchen, sich möglichst gut in dessen Lebenswelt einzufühlen. 5) Die Teilnehmer der Gruppe, die nicht gerade als Mitspieler eingesetzt sind, bilden als Publikum den Resonanzboden für das dramatische Geschehen. Sie helfen bei den Vorbereitungen und in der Einstimmungsphase mit und geben dem Protagonisten zusammen mit den Mitspielern in der Abschlußbzw. Nachbereitungsphase Rückmeldung: Beim ”Sharing” und Identifikations-Feedback wird dem Protagonisten rückgemeldet, was die einzelnen Gruppenmitglieder bei dem Spiel für sich erfahren haben, welche Eindrücke sie hatten, wo sie sich selbst angesprochen fühlten etc. Wesentlich ist hierbei eine unterstützende Anteilnahme, in der der Protagonist erfährt, daß er mit seinen Problemen nicht allein dasteht, sondern daß andere ähnliche Probleme, Erlebnisse und Gefühle haben. Beim Rollen-Feedback wird dem Protagonisten mitgeteilt, wie sich die Mitspieler in den einzelnen Rollen gefühlt und von diesen Perspektiven aus den Protagonisten erlebt haben. 6) Die Psychodrama-Techniken dienen dem Leiter als Werkzeuge, um für den Protagonisten und die Gruppe Prozesse, Fragen, Probleme, Beziehungen usw. deutlich werden zu lassen.
Das Psychodrama wird dabei in seinem Ablauf in drei Phasen untergliedert:
1) eine Inititialphase (”Warm-Up”-, Problemfindungs-Phase), 2) eine Handlungsphase (Aktions-, Spiel-, Problembearbeitungs-Phase) und 3) eine Abschlußphase (”Sum-Up”-, Gesprächs-, Integrations-, Nachbereitungs-Phase). Jeder Phase lassen sich spezifische Techniken zuordnen, von denen viele auch in der Gestalttherapie eingesetzt werden – z.B. ”leerer Stuhl' in der Initialphase, Rollenwechsel und Doppeln in der Spielphase (wobei der Leiter hinter den Protagonisten tritt und Äußerungen wiederholt bzw. ,,mitmacht"). Daneben gibt es eine große Anzahl weiterer Techniken, die von Moreno in seinen Werken beschrieben und von anderen ergänzt wurden.
J.Kr.
Literatur
Leutz, G.A. (1974). Psychodrama. Heidelberg: Springer.
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