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1001 Nacht. Scheherezade erzählt Geschichten aus der Wissenschaft.

Aus dem Französischen von Dietmar Zimmer. Birkhäuser, Basel 1999. 221 Seiten, DM 29,80.


Wer kennt sie nicht, die Geschichten aus 1001 Nacht? Wunderschöne Prinzessinnen in prächtigen Palästen, verwunschene Geister, fliegende Teppiche und über allem der Hauch des Orients. Philippe Boulanger, Chefredakteur des französischen Schwestermagazins "Pour la Science", wählt diesen ungewöhnlichen Rahmen für seine wissenschaftlichen Plaudereien, die er Scheherezade, der Tochter des Wesirs, in den Mund legt.

Nacht für Nacht entführt uns die berühmte Geschichtenerzählerin in die Welt der Dschinns und Kalifen. Sie erzählt uns von magischen Teppichen und unbegreiflichen Phänomenen der Naturwissenschaften: Das Newcombsche Paradox aus der Entscheidungstheorie (Spektrum der Wissenschaft 11/1998, S. 112) macht dem Sultan Al-Amin eine einfache Wahl schwer, wohingegen die Tatsache, daß eine reelle Zahl unendlich viele Dezimalstellen hinter dem Komma hat, einem Juwelier ermöglicht, den Inhalt aller Bibliotheken der Welt in einem goldenen Teller zu bergen. Ein alter Mann verwirrt Zein den Kaufmann mit dem Zwillingsparadoxon aus der Relativitätstheorie, indem er behauptet, der Sohn seines jungen Gefährten zu sein, während die Prinzen im märchenhaften Samarkand, um die wunderschöne Prinzessin zu ergattern, den Grund für das plötzliche Massenaussterben der Dinosaurier nennen müssen. 51 Nächte füllt Scheherezade mit ihren Geschichten und fügt für den interessierten Leser kurze Exkurse in die Theorien von Einstein, Gödel, Darwin und anderen an, bevor sie mit dem Beginn jeder Morgendämmerung wieder schweigt.

Boulangers Idee ist genial. Der mystische Orient, der seit jeher die Phantasie der westlichen Welt geweckt hat, bietet einen idealen Rahmen, um den Leser spielerisch an Ideen der Physik, Mathematik und Evolutionstheorie heranzuführen. Die Umsetzung hat mich jedoch enttäuscht. Boulanger bemüht sich zwar, mit vielen Fußnoten an die diversen Übersetzungen des Originals aus dem 18. und 19. Jahrhundert anzuknüpfen, doch erinnert sonst wenig an die teilweise über 1000 Jahre alten Märchen. Der Autor beschränkt sich knapp und in meist schlichter Sprache auf die eigentliche Problemstellung; die Rahmenhandlung, Scheherezades eigene Geschichte, kommt gar nicht zur Sprache. Während die alten persischen, indischen und arabischen Geschichten ihre Leser durch schillernde Details und eine blumige Sprache betören, stören mich in Boulangers Erzählungen Prinzessinnen, die sich ordinär mit dem Finger an die Stirn tippen oder fliegende Teppiche, die in der Werkstatt warten. So bleibt es trotz der guten Idee leider nur bei einem naturwissenschaftlich erweiterten "Abklatsch" – auch wenn Boulanger selbst diesen Begriff im Vorwort sicherlich anders gemeint hat.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 2000, Seite 109
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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