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Abenteuer Mathematik. Brücken zwischen Wirklichkeit und Fiktion.

Rowohlt, Reinbek 1999. 416 Seiten, DM 19,90.

Abenteuer? Na ja. Immerhin wird eine hochdramatische Geschichte aus dem Standard-Anekdotenschatz der Mathematiker auch in diesem Buch erzählt. Évariste Galois (1811 bis 1832), verkanntes und vom Pech verfolgtes Genie, wird zum Duell gefordert, schreibt in der Nacht davor einen Brief an seinen Freund Auguste Chevalier, in dem er eine neue Theorie skizziert, wird im Duell verwundet und stirbt einen Tag später an den Folgen. Erst 14 Jahre später wird die Abhandlung durch Joseph Liouville veröffentlicht – und in der Folge zur Grundlage der modernen Gruppentheorie.

Im übrigen ist der Inhalt des Buches eher undramatisch. Pierre Basieux, den der Klappentext als promovierten Mathematiker und selbständigen Unternehmensberater vorstellt, schreibt über eine recht eigenwillige Auswahl an Themen der modernen Mathematik. Die gute Idee, Modethemen wie Chaos und Fraktale zu meiden, treibt er so weit, daß von der gesamten Analysis samt Theorie der Differentialgleichungen fast nichts übrigbleibt. Dafür breitet er auf mehr als dreißig Seiten das ganz elementare Handwerkszeug aus – so elementar, daß man es in der Praxis kaum noch bewußt verwendet: nicht gerade der erregendste Teil der Mathematik. Die folgenden Kapitel über Primzahlen und die verschiedenen Arten der Unendlichkeit sind solide Standardkost.

Die Stärken des Buches kommen später. Die Gruppentheorie – samt der Geschichte des Évariste Galois – findet man selten so klar und eingehend beschrieben wie hier, und im Kapitel zur Topologie sind sogar die jüngsten Vereinfachungen zum Beweis des Vierfarbensatzes erwähnt. Glanzstücke sind die Kapitel zur Wahrscheinlichkeitstheorie: von einer Klärung der Grundbegriffe bis zu den neueren – quantifizierbaren – Konzepten „Glaubwürdigkeit“ und „Plausibilität“, sowie zur Planungs- und Spieltheorie: Hier wird vom Problem des Handlungsreisenden über das Gefangenendilemma und optimale Strategien für Glücksspiele bis zu den Konzepten des Wirtschafts-Nobelpreisträgers Reinhard Selten alles behandelt, was gut und wichtig ist. Bei aller Verständlichkeit bleibt die sachliche Korrektheit gewahrt; ein böser Patzer bei der Wahrscheinlichkeit für gleichzeitiges Auftreten unabhängiger Ereignisse bleibt eine Ausnahme.

Dem französischen Namen des Autors zum Trotz ist dieses Buch keine Übersetzung. Im Gegenteil: Text und Literaturverzeichnis belegen, daß Basieux deutschsprachige Veröffentlichungen bis in die jüngste Vergangenheit eingearbeitet hat. Nur Spektrum der Wissenschaft findet sich kein einziges Mal zitiert. Erstaunlich, daß das Buch trotzdem so gut geworden ist.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1999, Seite 122
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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