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Precision Farming: Ackern auf den Meter genau

Viel Winterweizen ist gut, mehr davon ist besser. Mit GPS, Luftbildern und Computern sollen die Landwirte Schleswig-Holsteins künftig auf den Acker ziehen.


Kühl und feucht sind nicht gerade Argumente für den Tourismus, doch Schleswig-Holsteins Getreideanbau profitiert von der rauen Witterung im Norden Deutschlands. Die fruchtbaren Parabraunerden und Lehmböden, die die letzte Eiszeit im östlichen Hügelland hinterlassen hat, tun das ihrige: Mit über neun Tonnen Winterweizen pro Hektar übersteigt der durchschnittliche Jahresertrag das Weltmittel um mehr als das Dreifache. Doch das Bessere ist stets der Feind des Guten, und so streben die Landwirte der Region danach, ihre Erträge weiter zu steigern, um dadurch im harten Wettbewerb mithalten zu können. Hilfe erhoffen sie sich auch von modernster Technik wie Satellitennavigation und Geo-Informationssystemen.

Das Thema hat allerdings noch eine andere Dimension als die der Wirtschaftlichkeit: Wenn es gelingt, die wichtigste Maßnahme zur Ertragsbildung, nämlich die mineralische Stickstoff-Düngung, den Erfordernissen eines jeden Ackers individuell anzupassen, ließe sich manche Überdüngung vermeiden, und es wanderte weniger Nitrat in das Grundwasser. Mehrere Institute der Christian-Albrechts-Universität in Kiel entwickeln deshalb seit nunmehr vier Jahren gemeinsam Verfahren für das so genannte Precision Farming, zu deutsch die "teilflächenspezifische Bewirtschaftung".

Heutige Äcker Schleswig-Holsteins umfassen gut und gerne 15 bis 30 Hektar. Wesentlich kleinere Flächen lassen sich mit den modernen Anbauverfahren kaum noch wirtschaftlich nutzen, von Nischenmärkten wie dem ökologischen Landbau abgesehen. Diese großen Flächen entstanden vor allem durch das Zusammenlegen kleinerer Parzellen im Rahmen von Flurbereinigungen. Doch die Qualität des Bodens und damit die Möglichkeiten der Pflanzenproduktion differieren innerhalb solcher Felder oft drastisch, besonders im östlichen Hügelland Schleswig-Holsteins. Niederschläge haben über die Jahre sehr humusreiche und tonige Bodenbestandteile in flache Senken gespült. Dort wächst das Getreide gut und kann noch Dünger aufnehmen, während wenige Meter daneben unter Umständen ein schwacher Sandboden das Gedeihen einschränkt. Überschüssiger Stickstoff wird dort vermehrt ausgewaschen, da Sandböden porös sind und ein geringes Wasserhaltevermögen haben – die Düngung muss auf diesen Flächen also reduziert werden.

Sichtkontakt zum Satelliten

Das Beispiel zeigt schon, dass vor der Planung einer differenzierten, kleinräumig orientierten Bewirtschaftung die Antwort auf eine einfache Frage stehen muss: Welchen lokalen Ertrag bringt der Boden auf Bereichen von wenigen hundert Quadratmetern? Wie viel Korn ein Mähdrescher wo erntet, lässt sich tatsächlich in kurzen Intervallen messen und gemeinsam mit der aktuellen Position speichern. Ein grafisches Informationssystem (GIS) bringt diese Angaben zusammen und erstellt metergenaue Karten des Ertrages. Diese Technik ist bereits erprobt und auf dem Markt, hat sich allerdings noch kaum durchgesetzt.

Die geografischen Koordinaten der Landmaschine zu bestimmen, fällt heutzutage nicht weiter schwer: Sie trägt einen Empfänger, der die Signale der Satelliten des Global Positioning Systems (GPS) empfängt und auswertet. Wenigstens drei GPS-Satelliten müssen dazu im direkten "Sichtkontakt" liegen. In der Stadt oder im Gebirge sind diese Bedingungen nicht immer zu gewährleisten, in den fruchtbaren Küstenregionen Schleswig-Holsteins allemal. Dazu kommt ein Referenzsignal, das die Ortsmessung auf weniger als einen Meter genau macht. Man spricht dann von Differential GPS (DGPS). In Norddeutschland sendet der Küstenfunk dieses Korrektursignal. Auch zur automatischen Messung der aktuell in den Korntank einfließenden Getreidemenge gibt es serienreife Methoden: Sie messen beispielsweise über Piezosensoren die Kraft, die der Kornstrom beim Transport in den Korntank auf eine Prallplatte ausübt. Gleichzeitig wird der jeweils aktuelle Feuchtigkeitsgehalt des Korns gemessen und zur weiteren Auswertung gespeichert.

Ertragskarten spiegeln die Situation auf dem Acker allerdings erst im Anschluss an die produktive Zeit wider. Man kann sie auswerten und dabei Protokolle zur Düngung und Bodenbearbeitung einbeziehen, sofern die dafür eingesetzten Maschinen ebenfalls mit GPS und entsprechender Datenaufzeichnung ausgestattet waren. So erfährt der Landwirt mehr über die Struktur seines Ackers und kann für das nächste Jahr besser planen. Je mehr präzise Daten über die Teilflächen vorliegen, desto genauer können notwendige Modellrechnungen die Ertragsunterschiede in ihre Berechnungen einbeziehen. Precision Farming bedeutet deshalb in der Praxis derzeit vor allem Datenerfassung.

Ob die Planungen dann der realen Entwicklung entsprechen werden, lässt sich allerdings nur schwer vorhersagen, denn ein ganz entscheidender Faktor in der Pflanzenproduktion entzieht sich der langfristigen Prognose: die Witterung. Welche Regenmengen werden fallen und wann? Wie wird sich die Temperatur über die Wachstumszeit entwickeln?

Wissen, wo was wächst

Diese Variablen beeinflussen nicht nur die Pflanzen direkt, sondern wirken sich auch auf die Fruchtbarkeit des Bodens aus: Ein Lehmboden geht mit Regen anders um als ein Sandboden. Aus dem Grund wäre es wünschenswert, kurzfristig durch Messungen geeigneter Parameter die Modellrechnungen aktualisieren zu können. Nur dann lassen sich Maßnahmen wie die Düngung auf die Teilflächen und auf die jeweilige Witterung abgestimmt steuern.

Aktuelle Informationen zur Lage erfasst man am besten aus der Luft. Daher nahm das Institut für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung in den Jahren 1999 und 2000 Serien von Luftbildern seiner Versuchsfelder auf. Auf handelsüblichem Dia- sowie auf Infrarotfilm dokumentierten wir verschiedene Vegetationsstadien von Winterweizen und auch von Raps. Die Bilder wurden mit Scannern digitalisiert, um sie in ein Geo-Informationssystem einzuspeisen. Dabei legten wir unterschiedliche Farbräume zu Grunde. Dias wurden nach den Koordinaten Farbton, Sättigung und Helligkeit eingelesen, denn im Bereich sichtbarer Wellenlängen interessierte uns nur der Farbton des Gebiets. Er gibt bereits Aufschluss darüber, ob eine Parzelle beispielsweise dicht bewachsen ist – sie erscheint dann dunkelgrün – oder einen Lehmanteil im Boden hat – nach einer Farbverstärkung zeigt das Bild dort rote Flächen.

Der Infrarotfilm wurde im RGB- (Rot, Grün, Blau)-System digitalisiert, das auch Bildschirmen zu Grunde liegt. Diese drei Farbkanäle entsprechen den drei Emulsionen des Films. Rot steht hier für den infraroten Wellenlängenbereich; Grünwerte werden bei diesem Falschfarbenmaterial durch den Kanal Blau repräsentiert. Durch Kombination beider Werte ließen sich sehr feine Unterschiede in der Grünfärbung von Pflanzen erkennen. Daraus konnten wir nicht nur auf ihre Versorgung mit Stickstoff schließen, sondern zu unserer Überraschung sogar auf Sortenunterschiede und unterschiedliche Behandlungen mit Pflanzenschutzmitteln.

Nach einer ersten Auswertung dieser Bilder wurden die Ergebnisse vor Ort überprüft und die Parameter der Auswerteverfahren den realen Zuständen angepasst. Eine Verifizierung auf dem Acker empfiehlt sich freilich auch später im praktischen Einsatz des Verfahrens an Referenzpunkten.

Insgesamt sind die Ergebnisse ermutigend. Im Rahmen der Versuche wurden Teilflächen aus Ertragskarten und Luftbildern abgegrenzt. Der Zusammenhang zwischen bestimmten Luftbildinformationen und den zu erwartenden Erträgen war über Jahre hinweg signifikant. Beispielsweise erfuhren wir so, dass eine bestimmte Region auf unserem Versuchsfeld jedes Jahr und unabhängig von der Frucht den mit Abstand höchsten Ertrag erbringt. Mit den Geo-Informationssystemen haben wir sie auf den Meter genau kartiert und abgegrenzt.

Durch optimierte Stickstoff-Düngung stieg der lokale Ertrag dort im Jahr 2000 auf fast 14 Tonnen pro Hektar. Gleichzeitig fuhren wir die Düngung auf den schwachen Arealen massiv zurück. Das Gesamtergebnis lautete: Zwischen drei und vier Prozent mehr Ertrag bei gleichzeitiger Reduzierung der Gesamt-Stickstoffmenge.

Natürlich hat dieser technische Aufwand seinen Preis, Schätzungen zufolge zwischen 8 und 23 Euro pro Hektar. Bei einem momentanen Weltmarktpreis von etwas mehr als 100 Euro pro Tonne Weizen müssen Mehrerträge von wenigstens 0,3 Tonnen pro Hektar bei gleich bleibendem Düngeaufwand garantiert werden. Wir glauben mit unserem Ansatz auf dem richtigen Weg zu sein. In der landwirtschaftlichen Praxis, fernab der Versuchsfelder, muss er sich allerdings noch bewähren.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 2002, Seite 84
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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