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Alfred Nobel. Idealist zwischen Wissenschaft und Wirtschaft

Aus dem Schwedischen
von Wolfgang Butt.
Birkhäuser, Basel 1995.
460 Seiten, DM 58,-.

Zum Leben Alfred Nobels (1833 bis 1896) liegen bislang einige Werke in deutscher Sprache vor, die alle auf den Unterlagen Ragnar Sohlmanns, eines seiner Mitarbeiter, basieren und unter denen insbesondere Erik Bergengrens "Alfred Nobel. Eine Biographie" (1960, 2. Auflage 1965) durch Qualität und Sachkenntnis besticht. Der schwedische Regisseur und Schauspieler Kenne Fant hat sich nun in einem neuen, umfangreichen Buch mit der Lebensgeschichte dieser Persönlichkeit auseinandergesetzt.

Das Ergebnis ist jedoch recht kritisch zu bewerten. Schon der Titel des Buches ist irreführend. Zwar war Nobel durchaus in gewisser Hinsicht ein Idealist, und er teilte sein berufliches Leben zwischen der Naturwissenschaft und der Gründung und Betreuung zahlreicher Unternehmen. Doch nicht dies ist Fants Hauptthema, sondern der Briefwechsel Nobels mit seiner langjährigen Geliebten Sofie Hess in den Jahren 1878 bis 1895. Außerdem enthält das Buch eine Anzahl von Briefen Alfred Nobels an seine Brüder Ludvig und Robert sowie an Mitarbeiter und Geschäftspartner. Auch aus Nobels Drama "Nemesis" wird vielfach zitiert, das zwar literarisch kaum bedeutend ist, aber etliche wenig verschlüsselte Selbstcharakterisierungen enthält. Ein Hinweis auf diese inhaltliche Ausrichtung im Titel wäre sicherlich sinnvoller gewesen als die Wiederholung einer im Zusammenhang mit Nobel so oder ähnlich schon häufig geäußerten Phrase.

Fant stellt also durchaus interessantes, bislang unpubliziertes Material vor; doch wie geht er damit um? Von einer seriösen Biographie erwartet man zumindest klare und plausibel strukturierte Angaben zum Lebenslauf des Beschriebenen. Sollte Fant dies überhaupt versucht haben (was ich nicht ausschließen möchte), so ist es ihm jedenfalls mißlungen. Das Buch ist in 111 unbetitelte Kapitel unterteilt, was ein Inhaltsverzeichnis ziemlich sinnlos macht. Dem Leser verbleibt also, will er sich über einen bestimmten Abschnitt oder Aspekt von Nobels Dasein informieren, nur der Rückgriff auf das Register, das allerdings lediglich einen Personen- und keinen Sachindex umfaßt. Ein Literaturverzeichnis fehlt, und auch auf Anmerkungen verzichtet der Autor. Die im Anhang enthaltene eineinhalbseitige Zeittafel kann diese Mängel keinesfalls ausgleichen; das Verzeichnis der Nobelpreisträger ist zwar praktisch, aber auch anderweitig leicht zu beschaffen und hat mit Nobels Biographie nur indirekt zu tun.

Frustrierend ist, daß die vielfach extrem kurzen Kapitel (111 auf 460 Seiten) keinem erkennbaren Schema folgen. Man kann in einer Biographie entweder rein chronologisch oder (was sinnvoller ist) inhaltlich vorgehen, also etwa Nobels Arbeiten als Wissenschaftler und Erfinder zusammenfassen, seine Unternehmertätigkeit, seine Kindheit, Jugend und Ausbildung und so weiter. Vermeiden sollte man aber ein dauerndes Nebeneinander und Ineinander, das mal diesen, mal jenen Punkt behandelt und dabei auch noch auf die Chronologie der Ereignisse keine Rücksicht nimmt, sondern vielfach auf erst später erläuterte Vorgänge vorgreift. Beispielsweise wird mehrfach auf "Krümmel" Bezug genommen, bevor man auf Seite 178 erfährt, daß damit die am 20. Juni 1865 ins Hamburger Handelsregister eingetragene Firma "Alfred Nobel & Co" gemeint ist, die erste ausländische Gesellschaft Nobels, die "Auf dem Krümmel beim Gut Gülzow" errichtet wurde. Die Bildtafeln, die einige bislang unveröffentlichte Photographien enthalten, sind nicht numeriert und in zwei unpaginierten Blöcken zusammengefaßt, weshalb auch im Text keine Hinweise auf sie möglich waren.

Zum Inhaltlichen: Die chemisch-technologischen Arbeiten Nobels behandelt Fant sachlich korrekt. Neues kommt nicht ans Licht. Dies scheint auch für die unternehmerischen Aktivitäten Nobels zu gelten, wenngleich ich einräume, hier den Überblick bei der Lektüre verloren zu haben.

Nun dürfte es dem Autor – seinem künstlerischen Beruf entsprechend – auch eher um Nobels Persönlichkeit gegangen sein, wofür die hier publizierte Privatkorrespondenz sich anbietet. Auch dabei gelangt er jedoch nicht wesentlich über schon Bekanntes hinaus. Indem er Alfred Nobel und die übrigen Familienmitglieder stets nur beim Vornamen nennt, suggeriert Fant eine Intimität, die manchmal etwas komisch wirkt und inhaltlich nicht eingelöst wird. So setzt er sich mit den Briefen, die er selbst (auf Seite 164) als unschätzbar wertvoll einstuft, kaum auseinander – etliche sind gar kommentarlos aneinandergereiht (Seiten 353 bis 359).

Man kann geteilter Meinung sein, ob die Briefe an Sofie Hess wirklich von so hohem Rang sind; immerhin erlauben sie einen Einblick in eine Beziehung, deren grundsätzliche Problematik schon Bergengren verdeutlicht hat. Die Lektüre zeigt, daß man Sofie Hess mit mehr Verständnis begegnen sollte, als dies Bergengren vermochte. Fant bleibt in seiner eigenen Beurteilung eher vage; er läßt seinen Dokumenten keine Analyse folgen, die sich auch noch auf zusätzliches unpubliziertes Archivmaterial hätte stützen können.

Alfred Nobels Sehnsucht nach einer Lebensgefährtin, die ihm emotionale Geborgenheit zu geben vermocht hätte, ihm aber auch intellektuell gleichrangig gewesen wäre, ist bekannt, ebenso seine zunehmende Depressivität aufgrund des sich immer quälender gestaltenden Verhältnisses zu Sofie Hess und seine nahezu schwärmerische Beziehung zu der Schriftstellerin und Pazifistin Bertha von Suttner (1843 bis 1915), die dann 1905 den von ihr inspirierten Friedens-Nobelpreis bekam. Die von Fant publizierten Briefe lassen die Leiden eines zeitlebens unfreiwillig einsamen Menschen spürbar werden. Darin scheint mir auch das eigentliche Verdienst dieses Buches zu bestehen: Es ermöglicht einen direkten Blick auf Alfred Nobels Wesen. Der Leser ist allerdings darauf angewiesen, seine Schlüsse weitgehend allein zu ziehen.

Es bleibt zu wünschen, daß sich ein ebenso einfühlsamer, aber kompetenterer Autor als Fant dieser Zeugnisse aus dem Leben eines Mannes annimmt, in dem sich die Licht- und die Schattenseiten des industriellen Zeitalters in ungewöhnlich eindrucksvoller Weise verbanden.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1996, Seite 122
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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