Am Faden des Lebens. Warum wir die Gentechnik brauchen
Unter den deutschen Molekularbiologen hat sich Ernst-Ludwig Winnacker, seit 1977 Professor für Biochemie an der Universität München, als ihr wichtigster Sprecher in Sachen Gentechnik profiliert. Mit seinem Buch "Gene und Klone" von 1984 hat er früh die Grundlagen der Neuen Biologie samt ihren Perspektiven beschrieben, im Rahmen der Bundestags-Enquete-Kommission "Chancen und Risiken der Gentechnologie" die Seite der Wissenschaft vertreten und als Sprecher des Münchener Genzentrums oftmals auch in Zeitungsartikeln und Interviews oder mit Vorträgen in die Öffentlichkeit hineingewirkt. Diese Aufgabe führt er mit seinem neuen Buch fort, in dem er sich an den interessierten Laien wendet.
Das Buch ist in zwei stilistisch voneinander abgesetzte Teile gegliedert. Im ersten beschreibt Winnacker – wie in "Gene und Klone" – im Stil eines Bil-derbogens kleiner, kondensierter Forschungsskizzen die Entwicklung und die aktuellen Ergebnisse der Gentechnik, wobei im Zentrum jeder Darstellung meist ein einzelner, namentlich genannter Forscher steht. Die lediglich am Anfang historisch-systematisch angelegte Folge dieser Bilder bietet dem Leser immer wieder einen neuen Einstieg, auch wenn er zuvor von einzelnen Darstellungen (zum Beispiel zu den Krebsgenen und den Rezeptorproteinen) vielleicht überfordert war. In unorthodoxer Reihung entsteht so außer einem historischen Mosaik ein recht vollständiges Bild der Gentechnik.
Im zweiten Teil wendet sich Winnacker der Auseinandersetzung über dieses Thema in Deutschland zu und trägt – hier ohne Bilder oder Metaphern – zu vielen der früher oder gegenwärtig vorgebrachten Einwände der Gentechnik-Gegner die Argumente vor, die sein Plädoyer für die Bedeutung der Neuen Biologie stützen. Zwar wirft er auch einen kurzen Blick auf die so vollkommen anders verlaufende öffentliche Diskussion in den Nachbarländern; in Frankreich etwa konnte eine Patientenorganisation, die eine Genomforschungseinrichtung namens Généthon unterstützt, durch eine Fernsehkampagne ungefähr 100 Millionen DM an Spenden einwerben. Aber den Ursachen dafür geht Winnacker nicht nach. Dabei hätte hier die Gegenüberstellung mit dem Vorgehen des Westdeutschen Rundfunks in Köln nahegelegen, der den Autor erst kürzlich wieder mit einem nachträglich manipulierten Fernsehinterview angegriffen hat.
Über eine eher pessimistische Skizze der gegenwärtigen Arbeitsbedingungen in Deutschland unter dem Gentechnikgesetz und seinem Vollzug ringt er sich zu einer optimistischen Einschätzung für die Zukunft durch, um der Sache selbst willen sowie in der Hoffnung auf eine sich langsam durchsetzende vernunft- und nicht vorurteilsgeleitete Einstellung. Es muß wohl offen bleiben, ob der Leser ihm auch darin folgen kann.
Nach meinem Eindruck ist Winnacker ein Buch gelungen, das besonders denjenigen Abiturienten und anderen interessierten jungen Lesern empfohlen werden kann, die von ihren Lehrern nur Verzerrtes über die Gentechnik gehört haben und sich nun anhand von Winnackers Argumenten selbst ein Bild über diesen entscheidenden Teil der Neuen Biologie machen wollen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1994, Seite 123
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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