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Am Rande: Brauchen wir eine 'Royal Society'?



Bei der Diskussion darüber, ob Stammzellforscher nun Kannibalen sind oder nicht, fiel es wieder einmal unangenehm auf: Deutschland hat keine nationale (Verzeihung: bundesweite) Akademie der Wissenschaften, die in solch heiklen Streitfällen höhere Weisheiten beisteuern und der Politik beratend zur Seite stehen könnte. Der von der Regierung erst kürzlich eingesetzte Ethikrat läuft sich noch warm, die regionalen Akademien können sich nicht einigen, ob sie ein bundesweites Konsortium gründen wollen oder nicht, und die Forscher stehen bei ethisch brisanten Fragen allein im Hagel der Kritik.

Als Vorbild wird dann oft die britische Royal Society genannt, die im Jahre 1660 als erste Wissenschaftsakademie der Welt gegründet wurde. Die Gesellschaft, die auch Forschungsgelder verteilt, wählt einmal jährlich bis zu 42 neue Mitglieder aus dem Commonwealth oder Irland, die dann die Buchstaben "FRS" (Fellow of the Royal Society) hinter ihrem Namen tragen dürfen. Der Haken ist nur, dass die Neuzugänge von den existierenden Mitgliedern sowohl vorgeschlagen als auch gewählt werden. Ein derart geschlossenes System neigt natürlich zu einer konservativen Fortschreibung des Bestehenden. Vertreter neuer Ideen, Frauen, Angehörige von Bevölkerungsminderheiten und alle, die außerhalb des Oxbridge-Systems stehen, haben es möglicherweise schwerer.

Zum Beispiel neue Ideen: Tim Berners-Lee, der Erfinder des World Wide Web, ist ein britischer Wissenschaftler, aber bis vor einem Jahr war es keinem der 1400 Mitglieder der Royal Society aufgefallen, dass er vielleicht etwas Nützliches geleistet hat. Jedenfalls hat ihn niemand für die Wahl zum FRS vorgeschlagen, bis Robert May, der ehemalige Wissenschaftsberater der britischen Regierung, sein neues Amt als Präsident der Royal Society antrat und die peinliche Unterlassung aufdeckte.

Zum Beispiel Frauen: Die Pionierin der Proteinkristallographie Dorothy Hodgkin erhielt von ihrem Doktorvater die Prognose, sie werde für ihre Arbeit den Nobelpreis bekommen, aber mit den drei Buchstaben sei es etwas schwieriger. Sie bekam dann doch beides, blieb aber Mitglied einer kleinen Minderheit. Bis heute liegt der Frauenanteil unter den FRSs unter vier Prozent – eine Zahl, die schon so peinlich ist, dass einem der Spott im Halse stecken bleibt.

Und wie steht es um den Beitrag der Akademie zur gesellschaftlichen Meinungsbildung? Dieser findet eher unauffällig im Hintergrund statt – mit Maßnahmen zur Wissenschaftsvermittlung, Gutachten zu (halbwegs) aktuellen Fragen und so weiter. Wenn es akut brennt, hat die Royal Society gar nicht die organisatorischen Voraussetzungen, um in das Geschehen einzugreifen. Während der eskalierenden Krise um die Maul- und Klauenseuche war zum Beispiel wenig von ihr zu sehen oder zu hören.

Vielleicht liegt das Problem ja einfach darin, dass ein Verein alter Männer, der lediglich durch alljährliches Klonieren (Verzeihung: Nachwählen) die Verstorbenen ersetzt, mit den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzungen im 21. Jahrhundert nicht immer mithalten kann. Die Royal Institution in London plant derzeit die Einrichtung eines mit professionellen Mitarbeitern besetzten Wissenschaftszentrums, das als Informationsbörse und Schaltstelle zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik dienen soll. Ich kann mir vorstellen, dass eine solche Einrichtung auch der Bundesrepublik mehr nützen würde als eine nationale Akademie.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 2001, Seite 24
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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