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Am Rande: Der FAZ-Terminator und die dritte Kultur



Im Jahre 1959 wartete Charles Percy Snow mit seiner griffigen Formel der "zwei Kulturen" auf. Der britische Phy-siker und Romancier behauptete damals, dass zwischen Naturwissenschaftlern auf der einen und "literarisch Gebildeten" auf der anderen Seite ein Graben der Verständnislosigkeit und gegenseitigen Nicht-Beachtung klaffe, ein Zustand, der sogar "in einem sehr konkreten Sinne gefährlich" sei: In einer Zeit, in der die Hochtechnologie längst über das "Schicksal der Menschheit" entscheide, eröffne das Des-interesse der Literaten und Philosophen Wege in die Katastrophe.

Längst sind Snows "zwei Kulturen" geflügelte Worte. Auch sein zugespitzter Vorwurf an die Nicht-Naturwissenschaftler, sie würden sich dem praxisorientierten Denken der "exakten" Kultur häufig verweigern, begleitet regelmäßig die Debatten über neue Technologien.

Unverhofft hat die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" dem Streit um die "zwei Kulturen" in diesem Sommer neue Nahrung geliefert. Ähnlich wie zu Snows Zeiten die Früchte der modernen Physik – etwa in Gestalt von Kernwaffen – ein vorzeitiges Ende der Menschheit möglich erscheinen ließen, drohe nun – so war zu lesen – Unheil aus dem Lager der neuen "Führungstechnologien" Robotik, Gen- und Nanotechnik. Das Interessante an den kundgemachten Thesen sind dabei nicht allein die Frankensteinszenarien von der Ausrottung des Homo sapiens durch eine von ihm selbst geschaffene Spezies rebellierender Superroboter. Unabhängig davon, ob die Warnrufe berechtigt sind oder nicht: Das Erstaunliche ist, dass die Debatte nicht in der Wissenschaftsbeilage platziert wurde, sondern im Feuilleton! Der Kunstgriff des verantwortlichen Herausgebers Frank Schirrmacher bestand darin, der "anderen Kultur" Zugang zu den heiligen Seiten humanistischer Bürgerlichkeit und des Schöngeistes zu gewähren.

Schirrmacher ist erklärter Sympathisant von John Brockmans Buch über "Die dritte Kultur". Vor fünf Jahren hatte der amerikanische Literaturagent darin eine Reihe namhafter "Wissenschaftler und anderer Denker der Empirie" porträtiert, "die mit ihrer Arbeit und ihren schriftlichen Darlegungen den Platz der traditionellen Intellektuellen einnehmen, indem sie die tiefere Bedeutung unseres Lebens sichtbar machen und neu definieren, wer und was wir sind." Die notwendige Synthese der "zwei Kulturen" kann Brockman zufolge also nur noch aus dem naturwissenschaftlichen Lager kommen! Die FAZ hat sich der Protagonisten dieser neuen Brückenbauer-Avantgarde jetzt angenommen und stellt sie ehrfürchtig als "System Builders" vor, als "Genies", die "die größte gesellschaftliche Umwandlung erzeugen" werden, "die je ohne Krieg zu Stande gekommen ist". Fast täglich bekommen wir ihre Visionen und Warnungen ganzseitig vorgelegt.

Worin besteht nun die lauthals beschworene "Revolution"? In der Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes, in der Schöpfung von Hybridlebewesen aus Fischnerven und Mikrochips, oder aber in der Meta-Zumutung an Opernliebhaber und Gedichteleser, sich fortan auch mit Gensequenzen und Nanorobotern herumschlagen zu müssen?

Dass es sich bei der FAZ-Initiative um einen prinzipiell richtigen Vorstoß handelt – und man daher auch das Nachbeten des alten Snowschen Katechismus verschmerzen kann –, erkennt man nicht zuletzt an den Reaktionen im Blätterwald: Wie immer muss, wer ausgetrampelte Pfade verlässt, Prügel einstecken. Schirrmachers Kollegen von der "Neuen Zürcher Zeitung" etwa beklagten den "Abschied vom historisch-politischen Feuilleton", und sein Vorgänger im Amt, Joachim Fest, frohlockte sarkastisch, dass er mit der täglichen Lektüre des FAZ-Feuilletons nun "deutlich schneller fertig" werde. "Die Zeit" schließlich warf dem Fürsprecher der dritten Kultur in Deutschland gar die "Austreibung des Geistes durch Genreligion und Nanofetischismus" vor.

Spannende Zeiten also für naturwissenschaftlich interessierte Denker – zu welcher "Kultur" auch immer sie sich zählen mögen! Bleibt abzuwarten, wer aus dem leidlichen Kulturkampf am Ende als Sieger hervorgeht: Schirrmacher, wenn unsere Spezies am Ende des 21. Jahrhunderts von Androiden verdrängt worden ist, oder seine Kritiker innerhalb der eigenen Kultur – wenn sich die kolportierten Zukunftsängste als beste Science-Fiction à la "Terminator" erweisen und sich auch das FAZ-Feuilleton wieder in Ruhe Schauspielpremieren, literarischen Neuerscheinungen und geisteswissenschaftlichen Kuriositäten widmen kann.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 2000, Seite 104
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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