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Am Rande: Die Kunst, einen erfolgreichen Antrag zu stellen



Der amerikanische Biochemiker Howard Schachman ist der Fachwelt vor allem durch seine biophysikalischen Untersuchungen eines komplizierten Enzyms, der ATCase, bekannt. Mir ist er jedoch wegen einer damit nicht zusammenhängenden kleinen Skizze in Erinnerung geblieben, die er vor etwa zehn Jahren während eines Vortrags an die Tafel malte. Auf der x-Achse: Originalität eines Förderantrags für ein Forschungsprojekt (grant). Auf der y-Achse: Wahrscheinlichkeit, dass der Antrag gefördert wird.

Die Erfahrungen, die Schachman in über vierzig Forscherjahren gesammelt hatte, trug er dann wie folgt in diesen Graphen ein: Die Kurve beginnt links, also am absoluten Originalitätsnullpunkt, bereits mit einer geringen, aber von Null verschiedenen Förderwahrscheinlichkeit. Sie steigt dann in einer Art Wurfparabel an, durchläuft ein Maximum bei mittlerer Originalität, und fällt schließlich bei überdurchschnittlichen Originalitätswerten ebenso steil auf Null ab.

An diese Graphik wurde ich wieder erinnert, als ich hörte, dass die Dutzenden von grants, die ein amerikanischer Freund in den ersten eineinhalb Jahren als Assistenzprofessor einer angesehenen Universität in Kalifornien geschrieben hatte, bis auf einen alle abgelehnt worden waren. Ich hatte etliche der Anträge Korrektur gelesen und sie alle – bis auf Meckereien zur sprachlichen Darstellung – stets für wohlfundiert, originell und förderungswürdig gehalten.

Nun kenne ich durchaus auch Kolleginnen und Kollegen, die bereits gezeigt hatten, dass 2, 4 und 6 gerade Zahlen sind, und dann einen grant bekamen, um zu beweisen, dass 8 auch eine ist. Die Lehre ist wohl die, dass Wissenschaftler ihre Kreativität (sofern vorhanden) verbergen und langweilige grants schreiben müssen. Haben sie das Geld für den Schluss von n auf n+1 erst in der Tasche, dann können sie es ja heimlich nutzen, um ein neues Theorem aufzustellen.

Wenn dieses richtig ausgeforscht und langweilig geworden ist, kann man es wieder in einen langweiligen Antrag aufnehmen ... und so weiter, ad infinitum.

Manche werden entgegenhalten, dass sich die intelligenteren AntragstellerInnen diesen Erfordernissen mühelos anpassen können und somit auch zu ihrem Geld kommen. Doch die Frage, welche Subspezies durch diese Auslese herangezüchtet wird, sollte uns zu denken geben. Bestimmt nicht die der kreativsten Köpfe: Denn revolutionäre Gedanken und die Gehirne, die solche hervorbringen, lassen sich auf diese Weise nicht verwalten. Man stelle sich nur die Anträge vor, die Einstein zur Finanzierung seiner Relativitätstheorie hätte stellen müssen, wenn er nicht einen (langweiligen) Brotjob gehabt hätte. Nie und nimmer hätte ihn jemand für ein derart verrücktes Projekt bezahlt. Man müsste eine Zauberformel kennen, um die originellsten Denker identifizieren zu können.

Dem britischen Mathematiker G.H. Hardy gelang im Jahre 1913 die vielleicht spektakulärste Entdeckung dieser Art. In einem Wust aus kaum leserlichen Formeln auf zerfleddertem Papier, den ihm ein Unbekannter aus Indien zugeschickt hatte, erkannte er ein bis dahin völlig ungeschultes Naturtalent, das heute mit Gauß und Euler auf eine Stufe gestellt wird: Srinivasa Ramanujan. Im Vergleich mit heutigen Gutachtern hatte Hardy einen entscheidenden Vorteil: Zeit. Ein "Antrag" wie der, den Hardy erhielt (und den zuvor zwei andere bedeutende Mathematiker ungelesen zurückgeschickt hatten), würde heute nicht einmal bis auf den Schreibtisch eines Professors vordringen. Professoren haben für die Talentsuche keine Zeit, denn sie müssen schließlich selber Grants schreiben.

Schlechte Zeiten also für heutige Einsteins und Ramanujans. Doch einen psychologischen Vorteil hat das nach der Schachman-Kurve funktionierende System immerhin: Wer mit seinem Antrag scheitert, kann Trost in dem Gedanken finden, dass er möglicherweise – als verkanntes Genie – auf der rechten Seite der Parabel heruntergerutscht ist.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 2000, Seite 104
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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