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Am Rande: Sternmärchen als Uni-Fach



Charles Harvey hätte Romanschriftstel-ler werden können. Ein Verlag hatte bereits die Veröffentlichung seines ersten Werks geplant, als dem jungen Briten in Barcelona eine Tasche mit dem fertigen Manuskript und einem Astrologiebuch gestohlen wurde. Das muss ein Fingerzeig der Sterne gewesen sein. Da Harvey sich außerstande sah, das Manuskript neu zu erstellen, wollte er wenigstens das Buch ersetzen, begann in den Astrologieabteilungen der Buchhandlungen danach zu suchen, und wurde dabei selbst zum Astrologen. Über drei Jahrzehnte hinweg war er vor allem darum bemüht, der Sterndeuterei wieder zu der gesellschaftlichen Anerkennung zu verhelfen, die sie bis vor 300 Jahren besessen hatte.

Harvey verstarb vor gut einem Jahr, 59-jährig, doch sein Bemühen machte kürzlich Schlagzeilen. Er hatte den Sophia Trust gegründet, der über eine halbe Million Pfund von einer anonymen Spenderin verfügt, und damit die "Rehabilitierung" der Astrologie betreiben will. Professuren und Forschungsprojekte sollen an mehreren britischen Universitäten eingerichtet werden. Die 1952 gegründete Universität der südenglischen Hafenstadt Southampton war die erste, die sich jetzt öffentlich zur Annahme dieser Förderung bekannte.

Willkommen im 21. Jahrhundert! Wir verfügen über hochtechnische, aus jahrzehntelanger wissenschaftlicher Arbeit hervorgegangene Technologien, wie etwa die In-vitro-Fertilisation, und dann gehen Wissenschaftler an einer staatlichen Hochschule daran, zu untersuchen, ob IVF besser klappt, wenn Jupiter und Saturn in Konjunktion stehen. Aufklärer wie Richard Dawkins kämpfen verbissen darum, die Religion, jenen "Virus des Geistes", aus Schule und Staat zurückzudrängen, und dann werden dem Aberglauben sogar noch neue Türen geöffnet, wird die Geis-tesgeschichte um drei Jahrhunderte zurückgeworfen. Ich mache mir übrigens Sorgen darüber, dass Dawkins noch keinen bissigen Kommentar dazu abgegeben hat — hoffentlich hat ihn bei dieser Nachricht nicht der Schlag getroffen.

Man mag sich gar nicht vorstellen, wie das weitergehen soll — ein Lehrstuhl für Weihnachtsmannforschung wäre sicherlich attraktiv wegen der langen Sommerferien. Ein Institut für Feenkunde käme aufgrund der kaum greifbaren Studienobjekte mit geringem Laborplatz aus. Und Uri Geller wartet bestimmt schon seit Jahrzehnten darauf, dass man ihm die hochverdiente Professur im Löffelbiegen einrichtet.

Sie mögen einwenden, dass man die Sterndeuterei einfach als Fiktion, ein Kulturprodukt wie Lyrik, Oper oder Star-Trek einordnen könnte. Schließlich gibt es auch Akademiker, die sich mit der Sprache der Klingonen befassen — oder mit der Frage, mit wie vielen Frauen sich Don Juan vergnügte. Doch gerade das Beispiel der IVF (das habe ich nicht erfunden!) zeigt, dass Astrologie jenen Menschen falsche Hoffnungen macht, die auf eine reale Hilfe angewiesen sind. (Ich weiß, das tut die Religion bisweilen auch. Aber diesen Virus auszurotten schafft selbst Dawkins nicht.)

Kurzum, die Kundschaft sollte — schon allein im Sinne des Verbraucherschutzes — darüber informiert werden, ob sie belogen wird oder nicht. Wenn die Astrologie im Buchladen unter "Fiction" stünde, oder besser noch, wenn Harvey und seine GenossInnen beim Romaneschreiben geblieben wären, könnte niemand etwas dagegen haben.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 2001, Seite 21
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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