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Biologie: Am Tor zur Hölle - Die Biologie der sieben Todsünden

Aus dem Englischen von Jorunn Wissmann. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2002. 396 Seiten, € 24,95

Bei aller Komplexität wird unsere Reise letztlich doch unbefriedigend verlaufen", schreibt der Autor und meint damit die Schwierigkeit, mit dem derzeitigen Wissensstand menschliches Verhalten auf zell- und molekularbiologische Grundlagen zurückzuführen. Unbefriedigt bin ich in der Tat, aber aus ganz anderen Gründen: Der interessant klingende Titel verspricht ein unterhaltsames, laut Klappentext "leicht lesbares" Sachbuch. Aber der ehemalige Professor der University of Washington in Seattle hat es bis zum Schluss nicht geschafft, sich zu entscheiden zwischen einem Lehrbuch der Molekularbiologie und einem Einblick in das Thema "für Literatur- und Politikwissenschaftler, für Geschäftsleute und für alle anderen ..., die sich für Menschen interessieren, aber keine Biochemiker sind". Herausgekommen ist ein Buch, das wegen seines provokanten Titels sicherlich viel gekauft, letztlich aber kaum gelesen im Bücherschrank verschwinden wird.



Dabei ist die Grundidee ausgesprochen gut. Aus dem unerschöpflichen Reservoir menschlicher Eigenschaften pickt Medina sich sieben heraus, die der mittelalterliche Dichter Dante in seinem Epos "Die göttliche Komödie" als Todsünden beschrieben hat: Hochmut, Neid, Zorn, Trägheit, Geiz, Völlerei und Wollust. Auf einer fiktiven Reise begegnet Dante in verschiedenen "Kreisen" Verstorbenen, die in passender Weise für ihre zu Lebzeiten begangenen Verfehlungen bestraft werden. Da es sich bei den Sündern häufig um reale Persönlichkeiten des 14. Jahrhunderts handelte, war "Die göttliche Komödie" damals ein politisch sehr brisantes Buch. Und aus heutiger Sicht zu untersuchen, welche biologischen Mechanismen für die missliche Lage von Dantes Zeitgenossen mitverantwortlich gewesen sein könnten, ist ein origineller Ansatz.



Medina kehrt die Reihenfolge Dantes um und beginnt die wissenschaftliche Betrachtung der Todsünden mit der Wollust – mit gutem Grund: Einerseits verkauft sich Sex immer gut, andererseits will Medinas Konzept ausgerechnet für die Todsünde, die Dante an erster Stelle nennt, nicht passen. Hochmut, Neid, Trägheit und Geiz sind aus biologischer Sicht schwer fassbar, weshalb Medina jedes Mal auf mehr oder minder geglückte Ersatzeigenschaften zurückgreift. Entsprechend verkrampft wirken viele Versuche, sie dennoch mit Dantes Beschreibungen zu verknüpfen.



Mitunter geht der Thementausch völlig daneben. So springt Medina zwischen Hochmut, Selbstwahrnehmung und Selbstbewusstsein hin und her, als ob alles das Gleiche wäre. Und wo er anstelle des Neids einfach Depressionen beschreibt, weil die auf Neid zurückzuführen seien, wirken seine Argumente wenig überzeugend. Eigentlich wäre dieser Kraftakt auch gar nicht nötig, denn die Biologie der Depression ist durchaus ein spannendes Gebiet. Allerdings sollte man sich hüten, sie in den Mantel einer Todsünde zu zwängen.



Auch inhaltlich enttäuscht das Buch. Zwar sind die beschriebenen Fakten und Modelle bis auf unwesentliche Kleinigkeiten korrekt, aber sobald der Molekularbiologe Medina im Reich der Gene angelangt ist, überhäuft er den Leser mit Fachbegriffen, die teilweise nicht erklärt werden, und kryptischen Abkürzungen für Gene, deren Namen sich ein Laie kaum merken kann und will. Da helfen auch die Anekdoten und Analogien aus dem Mittelalter nicht, die zudem häufig überflüssig sind und wiederum verkrampft wirken. Außerdem erweckt Medina so – all seinen anders lautenden Beteuerungen zum Trotz – den Eindruck, Verhalten sei vor allem auf das An- und Abschalten von Genen zurückzuführen.



Unter dem Strich bleibt ein Gefühl der Enttäuschung über ein mäßiges Buch mit einer eigentlich guten Idee. Wer etwas zur Biologie des Verhaltens erfahren möchte, ist mit einem Schulbuch der Oberstufe oder einem einführenden Lehrbuch jedenfalls besser beraten. "Ich verstehe kein Wort. Aber ich komme wieder", zitiert Medina eine seiner Studentinnen. Ob der Leser dieses Buches nach ein, zwei Kapiteln wiederkommt, ist äußerst fraglich.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2003, Seite 105
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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