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Anwendungen technischer Textilien


Tierische und pflanzliche Fasern hat die Menschheit seit prähistorischer Zeit vielfältig verarbeitet, und keineswegs nur zu Kleidung und Haushaltsutensilien: Leinen und Seile, Netze und Segel, Filz- und Tuchplanen für mobile Behausungen, dazu Matten und Teppiche sind uralte Kulturprodukte.

Auch der Übergang von der manuellen zur industriellen Fertigung vollzog sich zuerst vornehmlich in der Textilproduktion. Vor allem Spinnen, Weben, Wirken und Stricken wurden früh mechanisiert; für all diese Herstellungsverfahren gibt es mittlerweile auch vollautomatische Maschinen.

Einen weiteren Innovationsschub löste die Chemie mit synthetischen Fasern aus, die nicht nur Bestandteil von Kleidung wurden, sondern – weithin wenig beachtet – auch von sogenannten technischen Textilien. Diesem Wachstumsmarkt geben Textil- und Chemieunternehmen auf der einen, Anwender mit unterschiedlichsten Bedürfnissen und Ansprüchen auf der anderen Seite ein vielgestaltiges Gepräge. Zwar mangelt es an vollständigen und international vergleichbaren Statistiken; doch überschlägigen Schätzungen zufolge dürften jährlich vier bis fünf Millionen Tonnen Fasern für technische Zwecke eingesetzt werden. Dabei sind die westlichen Länder, was die Nutzung dieser in kaum überschaubarer Variabilität zuhandenen Roh- und Werkstoffe angeht, noch recht konservativ: Vom gesamten Faseraufkommen gehen zur Zeit in Japan etwa 38, in den USA hingegen rund 28 und in Europa gar nur ungefähr 21 Prozent in technische Textilien.

Als weltweit größte Fachmesse hat sich seit einigen Jahren die Techtextil in Frankfurt am Main etabliert, begleitet von einem wissenschaftlichen Symposium. Dort wie auch sonst in der Branche werden grob die quasi weichen technischen Textilien und die textilarmierten harten Werkstoffe unterschieden. Derzeit kennzeichnend für beide Bereiche sind Hochtechnologie-Innovationen und der Trend zu immer stärkerer Spezialisierung, wobei auch zunehmend wieder Naturfasern verwendet werden. Fachleute unterscheiden mit Blick auf die Anwendung zudem Mobil-, Industrie-, Schutz-, Geo-, Agro-, Umweltschutz- und medizinische Textilien sowie Materialien für das textile Bauen. Allerdings dürften die Trennlinien oft nur schwer zu ziehen sein, wie folgende Beispiele zeigen.

Bestimmte Kleidungsstücke aus Spezialtextilien etwa wird man nie im Haus oder beim Stadtbummel tragen. So entwickelt die Materialforschungs- und Prüfungsanstalt Leipzig einen Kälteschutzstoff, in dem sogenanntes Phase-Change-Material (PCM) des amerikanischen Labors Triangle Research and Development in Boulder (Colorado) in Mikrokapsel-Form eingearbeitet ist. Basis ist eine Substanz, die durch Phasenübergänge Wärme zu speichern und wieder freizugeben vermag; die Körperwärme reicht zur Regeneration des Materials aus. Bei kalter Außentemperatur verzögert sich die Wärmeabgabe – eingebaute PCM-Kapseln erhöhen das Wärmespeichervermögen von Acrylfasern nach Angaben der Anstalt auf das Zehnfache der herkömmlichen Isolation (in den Fasern eingeschlossene Luft). Entsprechende Kleidung ließe sich damit aus dünnen Stoffen ohne Wattierung fertigen.

Besondere Ansprüche an Witterungsbeständigkeit und Festigkeit stellt die textile Architektur. Deren Bauwerke sollen nicht viele Jahrzehnte stehen, sondern vor allem leicht sein; man unterscheidet genauer zwischen temporären Objekten wie Veranstaltungshallen, die sogleich wieder abgebaut werden, und permanenten. Ein Beispiel für letztere sind sechs Großschirme in den beiden Innenhöfen der Moschee von Medina mit jeweils 17 mal 18 Metern Polytetrafluorethylen-Gewebemembranen, die – in 90 Sekunden ausgefahren – ein 14 Meter hohes Schattendach bilden (Bild 2). Über die Masten wird gleichzeitig Kaltluft in die Höfe geblasen; die Dachflächen schränken dabei den Austausch mit der darüber liegenden Warmluft ein. Membrandächer für Stadien, Busdepots und Bahnsteige sind weitere Beispiele.

Die Landwirtschaft wiederum verlangt großflächige Textilien mit genau einzustellender Licht-, Wasser- und Luftdurchlässigkeit. Damit bedachte Großgewächshäuser von 40 mal 80 Quadratmetern Grundfläche sollen es ermöglichen, darin mit Gärtnereimaschinen zu arbeiten und zu ernten. Für den Agrarsektor interessant sind auch atmungsaktive Vliesbahnen der Weinheimer Firma Freudenberg zur Ernteverfrühung im Freiland. Während Luft und Wasserdampf zirkulieren können, werden damit übermäßige Hitze und Frost ferngehalten; und indem man die Lichtdurchlässigkeit einstellt, sind bestimmte Kulturen wie Salat oder Lauch während des Wachstums zu bleichen. Für abdeckende Agrotextilien könnte man des weiteren schon die Ausgangssubstanz der Fasern mit Wirkstoffen sozusagen chemisch pfropfen, die je nach den äußeren Bedingungen freigesetzt werden und so den gezielten – und damit sparsamen – Einsatz landwirtschaftlicher Chemikalien unterstützen; für solche und andere Anwendungen ließen sich Stoffe auf diese Weise auch bakterizid oder flammenhemmend machen oder mit sonstigen Eigenschaften versehen.

Dichtungsbahnen aus beschichtetem, extrem witterungsbeständigem Gewebe aus Trevira-Hochfest verbessern die Wasserversorgung der Landwirtschaft Teneriffas. Damit wurde der Krater des erloschenen Vulkans Taco vollständig ausgekleidet; so entstand kostengünstig und ohne größere Eingriffe in die Natur ein Reservoir mit 825000 Kubikmetern Fassungsvermögen (Bild 1).

Wieder anderen Ansprüchen genügt ein Jutegewebe, das in den Alpen als temporärer Erosionsschutz dient. Es verhindert das Fortwehen und Abrutschen der Erde wie der eingesetzten Pflanzen. Das Material verbessert auch die Umfeldbedingungen während der Anwachsperiode. Wenn es schließlich verrottet, bildet es noch Humus.

Ein weiteres Beispiel aus dem Umweltschutz ist die Feuerbarriere des internationalen Unternehmens 3M: Ein von Schleppern durch das Meer gezogener Schlauch aus hochhitzebeständigem Keramikgewebe schließt Ölteppiche ein, die man dann abzufackeln vermag. Einem ähnlichen Zweck dienen Polypropylen-Vliese des gleichen Unternehmens (Bild 3). Weil das Polymer fettanziehend ist, vermag es Öl gut zu binden; die feinen Poren bewirken gute Saugfähigkeit. Lagert man Tenside an das Material an, lassen sich auch Industrieabwässer damit auffangen. Die Molekülketten der Vliesfasern hängen zudem so fest aneinander, daß sich die aufgenommenen Moleküle nicht dazwischenschieben und die Struktur auflösen können.

Mitunter ergänzen sich textil- und strukturtechnische Innovationen. Mehrere europäische und amerikanische Unternehmen produzieren neuerdings Hohlkörper aus Zweiwand-Geweben. Der Raum zwischen den beiden Gewebelagen, die mittels eines durchgewebten Fadensystems auf Abstand fixiert sind, eignet sich zum Durchleiten von Gasen, Flüssigkeiten und Stäuben sowie zum Füllen mit Feststoffen wie Granulaten oder mit aushärtbarem Material wie Schaumstoffen oder Beton. Die Gewebeeigenschaften lassen sich vielfach variieren, und Wandabstände bis zu einem Meter sind schon Stand der Technik.

Der Genesung des Menschen bei Krankheiten und nach Operationen dienen medizinische Textilien. Naht- und Wundverschluß-Material, das sich im Körper auflöst, ist bereits in Gebrauch; implantierbares Stützgewebe, in das Zellen einsprossen können, um Knochen oder Haut neu zu bilden, ist in Entwicklung (vergleiche Spektrum der Wissenschaft Spezial 4, "Schlüsseltechnologien im 21. Jahrhundert", Seite 80). Auch hier sind Textilien, die Wirkstoffe im Körper kontrolliert über lange Zeit freisetzen, denkbar. Ein Forschungsschwerpunkt ist derzeit, das Material bioverträglicher, also dem natürlichen Vorbild ähnlicher zu machen (vergleiche Spektrum der Wissenschaft, Juni 1995, Seite 90).

Außer solchen weichen technischen Textilien nutzt man in den aufgeführten Anwendungsbereichen zunehmend textilarmierte Werkstoffe. Schon seit längerem ersetzen Verbunde von Fasern und Kunststoffen herkömmliche Materialien, wo immer Leichtbau günstig ist. Weil dabei aber auftretende Kräfte nur in Faserrichtung optimal aufgenommen werden, blieben diesen Werkstoffen viele Bereiche bislang verschlossen. Textile Strukturen bieten neue Alternativen (siehe auch den folgenden Beitrag).

Beispielsweise entwickelte das Du- Pont European Composite Centre in Bad Homburg ein kunststoffimprägniertes Gewebe, das man als Organoblech bezeichnet. Mittels Infrarotstrahlern erwärmt, läßt es sich wie Blech in dreidimensionale Formen pressen. Erste Produkte waren Radfahrer-Schutzhelme und Ultraleichtfahrräder. Verwendet man Kohlenstoff-Fasern für die textile Komponente, lassen sich auch Verbunde mit Metall herstellen; als dafür am aussichtsreichsten erscheinen Aluminium und Magnesium. Das Ergebnis wären leichte, dabei mechanisch beanspruchbare und chemisch beständige Werkstoffe. Solche Materialien dürften vorzugsweise in der Luft- und Raumfahrt, aber auch in Schienenfahrzeugen und Automobilen für strukturelle Komponenten mit Stützfunktion eingesetzt werden, um Gewicht und damit Treibstoff zu sparen.

Die Redaktion dankt Carl-Georg Kleppe, Kommunikationsberater für technische Textilien und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim Internationalen Techtextil-Symposium, Professor Dr.-Ing. Hilmar Fuchs, dem geschäftsführenden Direktor des Sächsischen Textilforschungsinstituts in Chemnitz sowie den Unternehmen Hoechst Trevira und 3M für zur Verfügung gestellte Informationen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1996, Seite 88
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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