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Politikwissenschaft: Arroganz der Macht, Arroganz der Ohnmacht - Der Irak, die Weltordnungspolitik der USA und die transatlantischen Beziehungen

Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Frankfurt am Main 2003. VII+54 Seiten, 6,– €


Noch vor wenigen Monaten waren es hauptsächlich Diplomaten, Wissenschaftler und Journalisten, die mit wachsender Sorge verfolgten, wohin sich die US-amerikanische Sicherheits- und Außenpolitik entwickelte. Planung einer nationalen Raketenabwehr, Kündigung des ABM-Vertrages, der solche Systeme verbietet, Ablehnung des Atomteststopp-Abkommens, Widerstand gegen einen Internationalen Strafgerichtshof, Absage an das Kyoto-Protokoll zur Eindämmung der globalen Kohlendioxid-Emission – Schritt für Schritt schienen sich die USA aus dem Gefüge internationaler Vereinbarungen zu verabschieden, das sie einst maßgeblich mit aufgebaut hatten. Die sich verschärfende Debatte im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zur Irak-Krise und der Beginn des Krieges haben nun auch der breiten Weltöffentlichkeit verdeutlicht, dass die USA unter allen Umständen ihren Status als einzige Supermacht nutzen wollen, um die Welt nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten.

Dieser dramatische Politikwandel hat eine Vielzahl von Reaktionen hervorgerufen, die von Irritationen und Ablehnung bis hin zu unverhohlenem Zorn reichen. Das gilt besonders für die europäischen Bündnispartner, die nach den gravierenden Veränderungen in den transatlantischen Beziehungen noch keine gemeinsame Position gefunden haben. Vieles, was dazu auf politischer oder öffentlicher Ebene gesagt wurde, war nicht zur Versachlichung der Diskussion geeignet.

Genau dazu will Gert Krell, Professor am Institut für Vergleichende Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen der Universität Frankfurt, einen Beitrag leisten. Seine Arbeit, die zwei Monate vor Ausbruch des Krieges abgeschlossen wurde, ist als Fachpublikation deklariert, aber auch für ein breiteres Publikum lesbar. Der Titel ist nicht nur ein Sprachspiel: Ebenso wie die Arroganz jenseits des Atlantiks beschreibt der Autor diejenige in Europa, speziell in Deutschland.

Krell führt den Strategiewechsel in den USA auf eine "konservative Revolution" zurück, die nach dem Ende des Ost-West-Konflikts in der politischen Elite der USA stattfand. Ihre Grundzüge nennt er in deutlichen Worten: "Die USA werden alles daran setzen, ihren militärischen Vorsprung aufrecht zu erhalten. ... Die USA sollen so weit überlegen sein, dass die anderen gar nicht den Versuch wagen aufzuholen." Und: "Internationale Regeln, Verträge und Bündnisse erfahren eine deutliche Abwertung gegenüber dem Primat der Handlungsfreiheit."

Zur "Grand Strategy" gehöre weiter eine Dramatisierung neuer Bedrohungen, denen mit Abschreckung allein nicht mehr beizukommen sei. Umfragen belegen, dass die Menschen diesseits und jenseits des Atlantiks Terrorismus, islamischen Fundamentalismus, Massenvernichtungswaffen im Irak oder China als neue Weltmacht nach ihrer Gefährlichkeit in eine ähnliche Reihenfolge bringen. Aber die US-Bürger fühlen sich insgesamt weit mehr bedroht als die Europäer. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 sei es deshalb den Verfechtern der neuen Strategie relativ leicht gefallen, das diffuse Bedrohungsgefühl auf Osama bin Laden und Saddam Hussein zu fokussieren.

Wie kam es zu dieser weltpolitischen Konzeption? Worin liegen die Differenzen zur Strategie der Europäer? Krell diskutiert mehrere Deutungen. Dabei mahnt er die Europäer, mit Kritik an den USA vorsichtig zu sein. Denn in Fragen der inneren und äußeren Stabilität habe sich eine Arbeitsteilung eingestellt, die für die Europäer ziemlich bequem sei: Nur die Sicherheitsgarantien der Militärmacht USA hätten es Europa ermöglicht, sich zu vereinigen und die Akzente auf "sanfte" Methoden der Machtpolitik zu legen. Die Irak-Kontroverse sei nur das jüngste Beispiel für eine mangelnde Abstimmungzwischen der "hard power" USA und der "soft power" Europa.

Die Defizite europäischer Politik zeigt Krell am Beispiel Deutschland auf. Gab es eine Strategie für den Umgang mit dem Irak für den Fall, dass die UN-Inspektoren Massenvernichtungswaffen finden würden? Oder für den Fall, dass sie eben nicht fündig würden und ein Krieg vermeidbar gewesen wäre? Es reiche nicht, schreibt Krell, gute Gründe gegen fragwürdige Strategien vorzubringen – man müsse auch glaubwürdige Alternativen anbieten können.

Krells Studie sei allen Lesern – unabhängig von ihrer eigenen Haltung – zur Lektüre empfohlen. Das geht auch bequem per Internet: http://www.hsfk.de/downloads/rep0103.pdf

Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 2003, Seite 120
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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