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Atomwaffenspervertrag unbefristet verlängert - eine historische Entscheidung?

Vor 25 Jahren war der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen – so der offizielle Name – in Kraft getreten. Während einer vierwöchigen Überprüfungskonferenz hatten die Signatarstaaten nun über seine weitere Geltungsdauer abzustimmen. Nach zähen Verhandlungen entschieden sie sich für die unbefristete Verlängerung dieses ebenso erfolgreichen wie umstrittenen Rüstungskontrollabkommens und verpflichteten sich zugleich zu weitergehenden Abrüstungs- und Überprüfungsmaßnahmen.

Die Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki im August 1945, die das nukleare Zeitalter einleitete, machte der Weltöffentlichkeit die Gefahren eines atomaren Krieges auf dramatische Weise bewußt. Zu den ersten Aufgaben der Vereinten Nationen, die noch im selben Jahr unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges gegründet worden waren, gehörte denn auch, die nukleare Aufrüstung einzudämmen.

Bereits in ihrer ersten Resolution, verabschiedet am 24. Januar 1946, appellierte die UN-Generalversammlung an die Staatengemeinschaft, vorhandene Kernwaffen zu beseitigen und die Kernenergie ausschließlich für friedliche Zwecke einzusetzen. Je weiter sich jedoch in den fünfziger Jahren die Technik zur Stromerzeugung mittels Kernreaktoren entwickelte und je mehr Länder sich an entsprechenden Forschungs- und Entwicklungsarbeiten beteiligten, desto dringlicher wurde es, die Proliferation – also den selbständigen Erwerb von nuklearen Waffen oder deren Weitergabe an andere Staaten – wirkungsvoll zu unterbinden.

Nachdem unterdessen außer den Vereinigten Staaten auch die Sowjetunion (im August 1949) und Großbritannien (im Oktober 1952) ihre ersten nuklearen Sprengsätze gezündet hatten, ergriff Irland 1958 die Initiative, um das Problem der Proliferation getrennt von anderen Abrüstungsbemühungen anzugehen: In der Generalversammlung der Vereinten Nationen legte es den Entwurf eines Vertrages vor, der das Kernwaffenmonopol auf die drei besagten Staaten begrenzen und allen anderen den Erwerb und die Produktion nuklearer Waffen verbieten sollte.

Jedoch erst 1965 – nachdem Bemühungen, eine allgemeine Abrüstung durchzusetzen, stagnierten und Frankreich (im Februar 1960) sowie China (im Oktober 1964) ebenfalls nukleare Versuchsexplosionen durchgeführt hatten – begannen konkrete Vertragsverhandlungen. Auf der Grundlage eines bilateral zwischen den USA und der UdSSR ausgehandelten Entwurfs wurde schließlich 1968 der endgültige Vertragstext formuliert, von der UN-Vollversammlung verabschiedet und von mehr als 50 Staaten unterzeichnet; zwei Jahre später trat der Vertrag in Kraft.


Die Regelungen des Vertrages

Der Nichtverbreitungsvertrag verpflichtet die Kernwaffenstaaten, nukleare Sprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber an niemanden weiterzugeben (Artikel I); Nicht-Kernwaffenstaaten ist es untersagt, solche Sprengkörper zu erwerben oder herzustellen (Artikel II). Um zu gewährleisten, daß die Kernenergie nur für friedliche Zwecke eingesetzt wird, müssen Nicht-Kernwaffenstaaten ihre nuklearen Aktivitäten von der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) überprüfen lassen; alle Vertragsparteien dürfen kerntechnische Ausrüstungen und Materialien nur dann in einen Nicht-Kernwaffenstaat exportieren, wenn die friedliche Nutzung dort ebenfalls von der IAEO verifiziert wird (Artikel III). Alle Vertragsparteien sollen in internationaler Zusammenarbeit die friedliche Nutzung der Kernenergie fördern (Artikel IV). Des weiteren werden alle Unterzeichnerstaaten verpflichtet, "in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle" (Artikel VI). Als weitere proliferationshemmende Maßnahme erlaubt der Vertrag die Schaffung regionaler kernwaffenfreier Zonen (Artikel VII).

Um zu gewährleisten, daß diese Bestimmungen verwirklicht werden, sollte fünf Jahre nach Inkrafttreten des Vertrages eine Überprüfungskonferenz stattfinden; jeweils nach weiteren fünf Jahren sollte eine erneute Überprüfung folgen, falls die Mehrheit der Vertragsparteien dies wünschte (Artikel VIII). Diese Konferenzen fanden tatsächlich 1975, 1980, 1985 und 1990 bei den Vereinten Nationen in Genf statt.

Der Vertrag galt zunächst für 25 Jahre; dann sollte eine Konferenz mit der einfachen Mehrheit der Vertragsparteien entscheiden, ob er auf unbegrenzte Zeit in Kraft bleiben oder aber um eine bestimmte Frist oder mehrere Fristen verlängert würde (Artikel X). Diese Konferenz wurde nun am 17. April 1995 bei den Vereinten Nationen in New York einberufen und dauerte bis zum 12. Mai.


Stand des Nichtverbreitungsregimes

Kein anderes Rüstungskontrollabkommen ist von so vielen Staaten unterzeichnet worden wie der Nichtverbreitungsvertrag: Von den insgesamt 192 Ländern der Erde waren zu Beginn der Konferenz 178 beigetreten (bei der vierten Überprüfungskonferenz 1990 waren es erst 140). Dennoch war und ist der Vertrag wegen seiner ungleich gewichteten Rechte und Pflichten für Kernwaffenstaaten einerseits und Nicht-Kernwaffenstaaten andererseits nicht unumstritten. Während die Mehrheit der Vertragsparteien sich verpflichten mußte, auf nukleare Waffensysteme und damit auf ein als bedeutend angesehenes strategisches Element der nationalen Sicherheit zu verzichten, wurde einigen wenigen Staaten (solchen, die vor dem 1. Januar 1967 einen nuklearen Sprengsatz hergestellt und gezündet hatten) zumindest vorübergehend ein Oligopol an solchen Waffen zugestanden.

Zwar hatten sich die Kernwaffenstaaten zur nuklearen Abrüstung bekennen müssen, doch kamen sie dieser Verpflichtung aus Sicht vieler Länder nur unzureichend nach. Auch der Schutz der Vertragsparteien, die nicht über Kernwaffen verfügten, vor einer eventuellen nuklearen Bedrohung von außen war nicht zufriedenstellend gelöst. Des weiteren glaubten sich viele Entwicklungsländer in der friedlichen Nutzung der Kernenergie behindert, weil Exporte erschwert und technische Unterstützung nur unzureichend gewährt würden.

Während die Vereinigten Staaten, die Sowjetunion und Großbritannien zu den Erstunterzeichnern des Abkommens gehören, weigerten sich die beiden anderen Kernwaffenstaaten Frankreich und China lange, dem Vertrag beizutreten. Frankreich hatte jedoch bereits 1968 erklärt, sich auch ohne Unterzeichnung wie eine Vertragspartei zu verhalten. China hatte den Vertrag in der Vergangenheit kritisiert, indes wiederholt betont, daß es eine Weiterverbreitung von Kernwaffen weder befürworte noch fördere. Auf Drängen verbündeter beziehungsweise benachbarter Länder traten beide Staaten schließlich 1992 dem Vertrag bei.

Dieses Ereignis war für das internationale Nichtverbreitungsregime von besonderer Bedeutung, weil sich beide Staaten damit auch den Verpflichtungen des Artikels VI unterwarfen, Verhandlungen über eine nukleare Abrüstung zu führen. Es machte überdies deutlich, wie sich die sicherheitspolitischen Bedingungen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zugunsten der Rüstungskontrolle geändert hatten.

Zu einer Stärkung des Übereinkommens trug zudem der Beitritt weiterer Staaten bei. Alle Nachfolgestaaten der Sowjetunion – darunter auch Belarus, Kasachstan und die Ukraine, auf deren Territorium Kernwaffen stationiert waren – sind inzwischen Vertragsparteien und haben sich den Kontrollen der IAEO unterworfen. Argentinien und Brasilien, deren bis Mitte der achtziger Jahre herrschende Militärregierungen einen nuklearen Rüstungswettlauf begonnen hatten, haben ein regionales Sicherungssystem errichtet und sind der kernwaffenfreien Zone Lateinamerika (eingerichtet mit dem Tlatelolco-Vertrag von 1967) beigetreten; Argentinien hat zudem Anfang 1995 den Nichtverbreitungsvertrag unterzeichnet. Auch Algerien, das gelegentlich heimlicher nuklearer Ambitionen verdächtigt wurde, ist in diesem Jahr dem Abkommen beigetreten.

Wohl das positivste Signal für den Nichtverbreitungsvertrag hat Südafrika mit der Vernichtung seiner Kernwaffen gesetzt. Im Jahre 1974 hatte die Regierung dieses Landes unter dem Eindruck instabiler Verhältnisse in seinen Nachbarländern – insbesondere nach dem Abzug Portugals aus Mosambik und Angola – sowie zunehmender internationaler Isolierung wegen seiner Apartheid-Politik beschlossen, eine begrenzte nukleare Abschreckungsfähigkeit aufzubauen. Die insgesamt sechs gefertigten Kernsprengkörper wurden jedoch 1990 zerstört, als sich die internationale und regionale politische Situation mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, dem Rückzug kubanischer Truppen aus Angola und der Unabhängigkeit Namibias aus der Sicht Südafrikas entspannt hatte; im darauffolgenden Jahr trat das Land dem Nichtverbreitungsvertrag bei.

Diese erfolgreiche Bilanz darf freilich nicht über die Proliferationsgefahr in zwei anderen Spannungsgebieten – Südasien und dem Nahen Osten – hinwegtäuschen. Indien und Pakistan verfügen über alle Einrichtungen, die zum Bau von Kernwaffen erforderlich sind; keines der beiden Länder ist bisher dem Nichtverbreitungsvertrag beigetreten. Indien hatte bereits im Mai 1974 einen nuklearen Sprengsatz gezündet, der jedoch nach offizieller Verlautbarung rein friedlichen Zwecken diente.

Auch Israel, das den Vertrag ebenfalls noch nicht unterzeichnet hat, verfügt über Kernsprengkörper. Diese Monopolstellung im Nahen Osten reizt radikal moslemische Staaten der Region zur Nachahmung und bietet selbst den gemäßigten arabischen Nachbarländern Anlaß zu harscher Kritik.

Der Irak war der erste Unterzeichner, der beim Vertragsbruch ertappt wurde. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen stellte das Land daraufhin unter strenge Aufsicht; das Langzeit-Überwachungsprogramm, das die Entnahme von Wasser-, Luft- und Bodenproben, unbegrenzte Zugangs- und Überflugrechte sowie eine Importkontrolle einschließt, wird es dem Irak wohl unmöglich machen, seine Kernwaffenentwicklung weiter zu verfolgen.

Nordkorea – seit 1985 Mitglied des Atomwaffensperrvertrags – ist das zweite Land, das seine Verpflichtungen verletzt hat. Es stimmte allerdings im Oktober 1994 in einer bilateralen Vereinbarung mit den Vereinigten Staaten zu, sein Nuklearprogramm gleichsam einzufrieren, die hinsichtlich der Proliferation bedenkliche Graphitreaktor-Baulinie aufzugeben und abgebrannte Brennelemente nicht aufzuarbeiten, sondern außer Landes zu bringen. Den uneingeschränkten Zugang zu allen nuklearen Einrichtungen will Nordkorea der IAEO jedoch nur dann gewähren, wenn es gewissermaßen als Belohnung Subventionen für den Kauf zweier Leichtwasserreaktoren erhält.


Die Verlängerungskonferenz

Die Repräsentanten der Signatarstaaten hatten im Frühjahr dieses Jahres mit einfacher Mehrheit zu entscheiden, ob der Nichtverbreitungsvertrag unbefristet, um eine einzige Frist oder um mehrere Fristen verlängert werden sollte. Wäre kein Beschluß zustande gekommen, hätte das Abkommen dennoch nicht seine Gültigkeit verloren; es wäre vielmehr bis zu einer späteren Entscheidung in Kraft geblieben. Für den hypothetischen Fall, daß die Mehrheit der Konferenzteilnehmer den Vertrag hätte beenden wollen, wäre dies nur durch Verlängern um eine bestimmte, wenn auch kurze Frist möglich gewesen.

Die Ausgangspositionen vor Beginn der Konferenz waren sehr unterschiedlich. Die Kernwaffenstaaten USA, Rußland, Großbritannien und Frankreich wollten die unbefristete Verlängerung ohne jede weitere Bedingung und ohne Rücksicht darauf, mit welcher Mehrheit diese Entscheidung zustande gekommen wäre. Die Verbündeten dieser Länder indes wollten dieses Ergebnis mit einer möglichst hohen Mehrheit erreichen und wären dazu durchaus zu Kompromissen – etwa einer Verlängerung um mehrere Fristen von jeweils 25 Jahren – bereit gewesen; allerdings wagte keiner von ihnen, einen solchen Vorschlag zu formulieren, um sich nicht der Kritik der Partnerländer auszusetzen. China sprach als einziger Kernwaffenstaat von einer "sanften" Verlängerung, freilich ohne zu erläutern, was damit gemeint war; erst in der späteren Generaldebatte konkretisierte es den Vorschlag: unbegrenzte Vertragsdauer, wenn sich eine breite Mehrheit finden ließe, allenfalls als Kompromiß eine undefinierte Anzahl von 25-Jahres-Fristen.

Unter den blockfreien Staaten gab es viele, die eine unbefristete Verlängerung ablehnten; sie warfen den Kernwaffenstaaten vor, ihre Abrüstungsverpflichtungen aus dem Vertrag nicht erfüllt und die Kooperation in der friedlichen Nutzung der Kernenergie behindert zu haben. Die arabischen Staaten zweifelten gar den Sinn jeglicher Verlängerung an, solange Israel sich dem Vertrag nicht als Nicht-Kernwaffenstaat anschließe. Andere blockfreie Staaten hingegen befürworteten die unbefristete Verlängerung.

Das Überbrücken dieser weiten Gegensätze innerhalb der vierwöchigen Verhandlungsdauer schien nicht gerade einfach. Der erste Streit entzündete sich bereits an dem zu wählenden Abstimmungsverfahren. Die führenden blockfreien Staaten forderten einen Entscheid in geheimer Abstimmung – wohl in der Hoffnung, daß sich einige Botschafter so den Instruktionen ihrer Regierungen verweigern und die Gruppe der Gegner einer unbefristeten Vertragsverlängerung verstärken könnten. Die Industrieländer, die genau dies fürchteten, lehnten eine geheime Abstimmung ab, indem sie auf ihre Rechenschaftspflicht gegenüber der internationalen Gemeinschaft und dem eigenen Volk verwiesen. Mithin standen hinter einem scheinbar formalen Gegensatz die Interessen zugunsten bestimmter Verlängerungsoptionen.

Die Generaldebatte, eine allgemeine Aussprache über den Vertrag und seine Verlängerung, dokumentierte im wesentlichen die bekannten Gegensätze. Südafrika übernahm dabei einen Vorstoß, der dann den Verlauf der Konferenz bestimmte und letztlich zu ihrem Erfolg beitrug: Der Ex-Kernwaffenstaat sprach sich erstmals für die unbegrenzte Verlängerung aus, verband diese Position jedoch mit der Forderung nach einer effektiveren Überprüfung der Vertragseinhaltung, die an einem Abrüstungs-Prinzipienkatalog gemessen werden sollte. Am Ende der Generaldebatte hatten sich mehr als 50 Staaten für, etwa 16 gegen eine unbefristete Verlängerung ausgeprochen; die große Mehrheit der Vertragsparteien schien sich noch nicht entschieden zu haben.

Die nachfolgende Überprüfung des Vertrages fand in drei Hauptausschüssen statt. Über der Frage, inwieweit die Kernwaffenstaaten ihrer Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung nachgekommen seien, kam es dabei zur offenen Konfrontation. Während sich die Kernwaffenstaaten in Selbstlob übten, was ihre jüngsten Abrüstungserfolge anbetraf, verneinten die blockfreien Länder deren Bedeutung und verlangten kategorisch einen verbindlichen Abrüstungsfahrplan – eine Forderung, die nach aller Erfahrung mit Rüstungskontrollverhandlungen für die Kernwaffenstaaten nicht annehmbar war. Der Ausschußvorsitzende, der Nigerianer Isaac Ayewa, versuchte nicht, diese Gegensätze zu überbrücken, sondern verschärfte sie noch. So war bereits nach wenigen Verhandlungstagen absehbar, daß eine gemeinsame Überprüfungserklärung – für viele Teilnehmer Voraussetzung für eine erfolgreiche Verlängerung – schwierig, wenn nicht unmöglich sein würde.

In dieser verfahrenen Situation waren Alternativen erforderlich. Kanada und Indonesien legten Listen vor, auf denen sich alle Botschafter der Vertragsparteien eintragen sollten, die eine unbefristete Verlängerung beziehungsweise eine Verlängerung um Fristen von jeweils 25 Jahren wünschten. Nach mehrtägiger Überzeugungsarbeit vermochte Kanada 104 Unterschriften vorzulegen, Indonesien nur 11. Mexiko – zuvor einer der heftigsten Kritiker der Kernwaffenstaaten – hatte überraschend einen eigenen Vorschlag für eine unbegrenzte Verlängerung präsentiert, der zusätzliche Bedingungen für Abrüstungsmaßnahmen enthielt.

Nun zeichnete sich zwar eine eindeutige Mehrheit zugunsten der unbefristeten Verlängerung ab, der Konferenzpräsident – Botschafter Jayantha Dhanapala aus Sri Lanka – suchte jedoch eine Abstimmung zu vermeiden, welche die Vertragsparteien in zwei Gruppen gespalten hätte: Er wollte eine unbefristete Vertragsverlängerung im Konsens. Deshalb griff er den südafrikanischen Vorschlag nach einem zusätzlichen verstärkten Überprüfungsprozeß auf, um auch den widerstrebenden Vertragsparteien einen Anreiz zu bieten, sich ohne Gesichtsverlust der Mehrheit anzuschließen, und bezog geschickt einige Vorschläge ein, die Mexiko und Indonesien vorgelegt hatten.

Mit dieser Taktik und seinem Durchhaltevermögen gelang es Dhanapala schließlich, die Kontrahenten beider Seiten zu zermürben. Den Kernwaffenstaaten trotzte er eine Reihe von Zugeständnissen ab: Sie mußten anerkennen, daß das Endziel des Abrüstungsprozesses die vollständige Beseitigung der Kernwaffen sei, und versprechen, alle kernwaffenfreien Zonen zu respektieren; sogar Frankreich mußte zustimmen, spätestens 1996 ein Teststoppabkommen zu vereinbaren. Ferner wurde vorgesehen, die Sicherheitsgarantien für Nicht-Kernwaffenstaaten zu erweitern, einschließlich einer Konvention, die den Einsatz nuklearer Waffen gegen einen Nicht-Kernwaffenstaat untersagt – bis zu diesem Zeitpunkt hätten die westlichen Atommächte ein solches Ansinnen schärfstens zurückgewiesen.

Indes gelang es nicht, im Prinzipienkatalog auch die schrittweise Einführung internationaler Kontrollen für den Nuklearsektor der Kernwaffenstaaten verbindlich vorzuschreiben. Das Fehlen solcher Regelungen im Nichtverbreitungsvertrag hatte sich schon in der Vergangenheit als fatal erwiesen: Hätten die militärischen Brennstoffkreisläufe unter der Aufsicht der IAEO gestanden, wären die Zerfallsprozesse der Sowjetunion weniger riskant verlaufen.

Die Vereinigten Staaten mußten sich – wie alle Vertragsparteien – verpflichten, "alle Anstrengungen" zu unternehmen, um vertragsferne Staaten zum Beitritt zu bewegen; dies müßte Folgen für ihre Politik gegenüber Israel nach sich ziehen. Zudem stimmten die USA widerstrebend zu, daß einzig die IAEO die Kompetenz hat, die vertragswidrige Abzweigung von Spaltmaterial festzustellen – eine unwillkommene Konzession an den Wunsch Irans, das gegen dieses Land verhängte Embargo einer kritischen Prüfung zu unterziehen.

Den Entscheidungsvorschlag für die Verlängerung, den Dhanapala zusätzlich zu diesem Prinzipienkatalog vorlegte, vermied in salomonischer Weise eine Kampfabstimmung, deren Modus noch immer nicht festgelegt war, weil sie anerkannte, daß eine Minderheit den Mehrheitswunsch nach unbegrenzter Verlängerung nicht teilte: "Die Konferenz... entscheidet, da eine Mehrheit unter den Vertragsparteien für die unbegrenzte Verlängerung... besteht, daß der Vertrag unbegrenzt in Kraft bleiben soll." Ohne förmliche Abstimmung nahmen alle Konferenzteilnehmer die unbefristete Verlängerung, den Prinzipienkatalog sowie den verstärkten Überprüfungsprozeß an.


Die Bedeutung der Entscheidung

Wenngleich es der Konferenz abschließend nicht mehr gelang, eine Erklärung zur Überprüfung des Vertrages zu verabschieden, fühlten sich alle Teilnehmer letztlich erfolgreich. Die im Konsens getroffene Entscheidung ist durchaus historisch zu nennen, widerspricht es doch der Erfahrung, daß Staaten freiwillig auf die mächtigste Komponente ihrer Machtpolitik – Kernwaffen – verzichten, und schon gar, daß sie diesen Verzicht von einer internationalen Organisation überwachen lassen. Dadurch ist deutlich geworden, daß der Atomwaffensperrvertrag mehr als jedes andere Rüstungskontrollabkommen ein alternatives Prinzip der internationalen Sicherheitspolitik darstellt: die Gründung der Sicherheit auf Rüstungskontrolle, Transparenz und wechselseitiges Vertrauen.

Verfehlt ist der Vorwurf, der bereits früher erhoben und nach der Entscheidung wiederholt wurde, die unbefristete Verlängerung legitimiere auf immer die Spaltung der Welt in Atommächte und Habenichtse. Die Abrüstungsverpflichtung der Kernwaffenstaaten ist nirgendwo anders niedergelegt als im Nichtverbreitungsvertrag; nur die vollständige nukleare Abrüstung erbringt die uneingeschränkte Vertragserfüllung. Im Prinzipienkatalog ist unmißverständlich von der vollständigen Beseitigung der Kernwaffen die Rede, so daß klargestellt wurde, daß Abrüstung nicht nur ein Prozeß, sondern auch ein Endstadium ist. Wenngleich die Prinzipien nicht rechtlich, sondern nur politisch bindend sind, beziehen sie sich auf konkrete Vertragsinhalte und stellen somit eine gemeinsame Interpretation aller Parteien her, von der die Kernwaffenstaaten nicht abweichen können.

Der politische Druck auf die wenigen Staaten, die den Vertrag bisher nicht unterzeichnet haben, ihm doch noch beizutreten, wird sich erhöhen; dies gilt insbesondere für Israel. (Chile trug sich noch am letzten Verhandlungstag als 179. Signatar ein.) Der Prinzipienkatalog unterstützt die IAEO, ihr Überwachungssystem weiter zu stärken; somit wird ein Vertragsbruch schwieriger.

Ein Relikt des Ost-West-Konflikts, die blockfreie Bewegung, hat auf der Konferenz an Einfluß verloren. Dennoch haben gerade die Entwicklungsländer beachtliche Zugeständnisse erreichen können. Als neue Leitfigur der Dritten Welt trat Südafrika hervor, der erste Kernwaffenstaat, der sein nukleares Arsenal vollständig abgerüstet hat. Ihren Erfolg erzielten die Entwicklungsländer nicht mit der herkömmlichen Strategie der blockfreien Staaten, auf prinzipiellen und moralistischen Positionen zu beharren, sondern durch den pragmatischen Austausch moderat definierter Interessen – darin könnte sich sogar ein Ausweg aus dem sich fruchtlos hinschleppenden Nord-Süd-Konflikt abzeichnen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1995, Seite 98
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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