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Urknall: Auf der Suche nach dem Quanten-Ursprung der Zeit

Die kosmische Hintergrundstrahlung, ein schwaches Nachleuchten des Urknalls, erfüllt den Weltraum nicht völlig gleichförmig. Genaue Messungen dieser Unregelmäßigkeiten könnten einen Hinweis auf den Quanten-Ursprung von Raum und Zeit geben.


Der Nachthimmel ist nie wirklich dunkel. Sogar in den entlegensten Regionen des Alls erfüllt die kosmische Hintergrundstrahlung den gesamten Raum nahezu gleichmäßig in allen Richtungen. Diese Strahlung entstand in den ersten Augenblicken unseres expandierenden Universums und ist die Quelle der Energie, aus der die Materie hervorging. Seit Anbeginn gestaltet das Licht die Entwicklung des Kosmos – seine Zusammensetzung und Struktur – und wird selbst davon geprägt. Im frühen Universum war Strahlung die dominierende Form von Energie; Materie war nur ein Spurenstoff. Noch heute hat die Hintergrundstrahlung mehr Energie als das Licht sämtlicher Sterne im Weltall. Der Nachthimmel erscheint uns nur deshalb dunkel, weil die Wellenlänge der Hintergrundstrahlung im Millimeterbereich liegt. Dieses kalte Licht – es entspricht einer Temperatur von kaum drei Grad über dem absoluten Nullpunkt – ist für unsere Augen unsichtbar; doch vor langer Zeit strahlte das All viel heißer als das Innere eines Sterns.

Neue Beobachtungen mit Spezialteleskopen, die auf Ballons und Satelliten oder an so exotischen Orten wie dem Südpol stationiert wurden, haben winzige Unregelmäßigkeiten in der Hintergrundstrahlung enthüllt. Dieses Strahlungsmuster spiegelt das Muster der Gravitation im sehr frühen Universum wider. Eine genaue Erforschung der Strahlungsflecken vermehrt unser Wissen über die globalen Eigenschaften des Universums. Wir gewinnen daraus präzise Informationen über die Größe des Kosmos, sein Alter und seine Zusammensetzung. Hier werde ich allerdings eine prinzipiellere Erkenntnis diskutieren, die möglicher-weise unser Bild von Raum und Zeit, von Materie und Energie sowie von deren Herkunft und Zusammensetzung in neuem Licht erscheinen lässt.

Eine grundlegende Wahrheit über den Kosmos besagt, dass in ihm das Größte und das Kleinste ein und dasselbe sind. Für diese scheinbar paradoxe Aussage gibt es einen unmittelbar anschaulichen Beleg. Wenn wir die Abweichungen in der kosmischen Hintergrundstrahlung betrachten, erblicken wir die fernsten überhaupt wahrnehmbaren Objekte, die sich am Rand des Universums gigantisch groß über den Himmel erstrecken. Doch zugleich sehen wir dabei das Muster, das dem Kosmos in den ersten Augenblicken seiner Entstehung aufgeprägt wurde – und damals waren diese Strukturen einzelne Quanten, das heißt die kleinsten Gebilde, die in der Natur überhaupt möglich sind.

Obwohl wir uns an die Idee gewöhnt haben, dass im Universum irgendwie alles mit allem zusammenhängt, wirkt eine derart enge Verbindung zwischen Quantenwelt und Kosmos doch sehr überraschend. Das liegt daran, dass uns große Dinge – all das, was man ohne Mikroskop betrachten kann – meist kontinuierlich erscheinen. Wie wir wissen, sind diese Dinge aus winzigen Elementarteilchen zusammengesetzt, aber unsere Anschauung gibt uns darauf keinen Hinweis. Umso bemerkenswerter ist, dass wir, wenn wir die allergrößten Objekte betrachten, gewissermaßen Quanten sehen. Das um uns expandierende Universum wirkt wie ein gigantisches Mikroskop.

Damit nicht genug: Die primordialen Quanten – winzige exotische Fluktuationen im urtümlichen Universum – sind das wichtigste Ordnungsprinzip des Kosmos. Diese zunächst winzigen Quanteneffekte wurden im Laufe der Zeit verstärkt, und zwar zunächst durch die so genannte kosmische Inflation und später durch die Gravitation. Letzten Endes bestimmten die primordialen Quanten, was mit der gesamten Materie geschieht – wo Galaxien entstehen und ob sie groß oder klein werden. Diese Fluktuationen sind außerdem für die Bildung von alledem verantwortlich, was in einer Galaxie vorhanden ist, insbesondere Sterne und Planeten. Die ungeheure Komplexität einer Galaxie ging somit aus einem strukturlosen Elementarteilchen hervor.

So seltsam diese Zusammenhänge auch sein mögen, sie sind unter Kosmologen heute mehr oder weniger akzeptiertes Gemeingut – und Theoretiker denken schon über noch merkwürdigere Möglichkeiten nach. Vielleicht werden wir bald in der Lage sein, die Quanten der Gravitation – die Gravitonen – indirekt zu messen. Sie sind buchstäblich die Elementarteilchen der Raumzeit. Wenn wir tatsächlich ein solches Teilchen be-obachten, erfahren wir vielleicht etwas über das Wesen der Zeit und den Grund ihrer Eigenart. Wir könnten Anzeichen für diskrete Zustände dieser Teilchen finden, das heißt eine Art "Pixelung" oder Körnigkeit des Raum-Zeit-Kontinuums. Im Prinzip könnten wir sogar Daten erhalten, die sich nicht auf Raum und Zeit oder Materie und Energie, wie wir sie kennen, beziehen, sondern auf eine tiefer liegende Struktur, in der diese Begriffe untrennbar vermengt sind. Wenn wirjemals so weit kommen, werden wir einen Blick auf den Anfang der Zeit erhaschen und verstehen, wie sie entstanden ist – als Eigenschaft einer fundamentaleren, jedenfalls gequantelten Wesenheit.

Quantenursprung der kosmologischen Struktur

Betrachten wir das Universum in größtem Maßstab. Neuere Beobachtungen unterstützen ein bemerkenswert einfaches Modell des Kosmos, das auf Einsteins klassischer – das heißt: nicht quantenmechanischer – Theorie von Raum und Zeit beruht. Anscheinend ist der Raum im Großen fast gleichförmig und viel größer als der Teil, den wir sehen können; das schließen wir aus seiner offensichtlich Euklidischen, das heißt flachen Geometrie, die bis zur Beobachtungsgrenze reicht. Dem Standardmodell zufolge dehnt sich der dreidimensionale Raum seit rund 14 Milliarden Jahren gleichmäßig aus – ausgehend von einem viel kleineren, heißeren und dichteren Anfangszustand. Da wir den Vorgang von innen beobachten, können wir nicht sehen, wohinein der Raum sich ausdehnt.

Seit das expandierende Universum älter als ungefähr eine Million Jahre ist, vermag die kosmische Hintergrundstrahlung ungehindert den Raum zu durchqueren. Damals war es viel heißer als heute; seither haben sich der Kosmos und die ihn erfüllende Strahlung durch die Expansion kontinuierlich abgekühlt. Das Spektrum dieser Strahlung bestätigt mit hoher Präzision die Vorhersagen der Urknalltheorie und stammt demnach aus dem ersten Jahr der kosmischen Geschichte. Das urzeitliche Licht hat das physikalisch einfachste Frequenzspektrum – das eines schwarzen Körpers. Die mathematische Formel dafür fand Max Planck vor über einem Jahrhundert und legte damit den Grundstein der Quantenphysik, selbstverständlich ohne noch etwas von Urknall oder kosmischer Hintergrundstrahlung zu ahnen.

Die Strahlung muss schon viel früher vorhanden gewesen sein, denn aus der Theorie geht auch sehr genau die Zusammensetzung der primordialen Materie hervor: ein einfaches Gemisch aus Wasserstoff-, Helium- und Lithiumisotopen, das in den ersten Minuten der Expansion bei Temperaturen von mehr als einer Milliarde Grad erzeugt wurde. Auf Grund all dieser Indizien, die einander gegenseitig stützen, betrachten die meisten Kosmologen den Urknall heute nicht mehr als bloße Hypothese, sondern als festen Bestandteil des kosmologischen Standardmodells.

Um den zentralen Bestandteil dieses Modells – die kosmische Expansion – zu erklären, nimmt man als Ursache ein Energiefeld an, das so genannte Inflaton. Mit passenden Eigenschaften ausgestattet ergeben seine Wechselwirkungen eine abstoßende Gravitation und eine Instabilität, welche die ursprüngliche Expansion des Urknalls antreibt, indem sie buchstäblich alles auseinander fliegen lässt. Wie wir vermuten, sorgte die kosmische Inflation dafür, dass das Universum wesentlich größer als ein Atom wurde. Erst die Inflation blähte den Keim des Kosmos auf makroskopische Dimensionen.

Betrachten wir nun das All in mikroskopischen Größenordnungen. Die Grundstruktur von allem, was uns umgibt – Pizzas, Teenager, schlechte Fernsehshows –, wird durch das Verhalten der Atome bestimmt. Die mathematischen Formeln der in den 1920er Jahren entwickelten Quantenmechanik beschreiben Atome mit hoher Genauigkeit. Demnach geben sie Energie nicht kontinuierlich ab, sondern nur in kleinen Portionen, die sich manchmal wie Teilchen und manchmal wie Wellen verhalten. Diese Quanten gehorchen der Heisenberg’schen Unbestimmtheitsrelation: Je genauer wir die Position eines Teilchens kennen – je kleiner sein Wellenpaket ist –, desto unbestimmter muss sein Impuls sein. Nur weil die Elementarteilchen den Quantenregeln gehorchen, bilden sie stabile Atome mit strukturierten Kernen und Elektronenhüllen und verleihen somit der Alltagswelt ihre Regelmäßigkeit und Formenvielfalt. Indem die Quantenmechanik die Bausteine der Natur beschreibt, dient sie den Forschern seit achtzig Jahren als Grundlage von Physik, Chemie und Biologie. Sie erklärt alles, was auf der mikroskopischen Ebene der Elementarteilchen geschieht. Licht besteht aus Photonen. Atome bestehen aus Quarks, Gluonen und Elektronen. Moleküle bestehen aus Atomen. Und Pizzas bestehen aus Molekülen.

Indem die Inflation kleine Dinge groß macht, weist sie der Quantenphysik eine neue und unerwartete Aufgabe zu: Die Physik des Allerkleinsten prägt das Verhalten des Kosmos im Großen und Ganzen. Auf Grund von Quanteneffekten hat die Inflation im gegenwärtigen Universum eine subtile Spur hinterlassen. Das Inflatonfeld war nicht völlig glatt, sondern enthielt Störungen oder Fluktuationen. Die Energie, die den Kosmos erschuf, war wie alle Energiefelder ein Quantenfeld. Sie bestand aus diskreten Energiepaketen, den Inflatonen – so wie Licht aus einzelnen ("diskreten") Photonen besteht oder das Atom aus einzelnen Elementarteilchen. Quantenfelder sind niemals völlig in Ruhe; selbst das perfekteste Vakuum wimmelt von Fluktua-tionen virtueller Teilchen, die spontan entstehen und sofort wieder verschwinden. Ihre durchaus realen physikalischen Effekte können in Laborexperimenten, die beispielsweise auf virtuelle Photonen ansprechen, zweifelsfrei nachgewiesen werden. Aus diesem Grund konnte das primordiale Inflatonfeld niemals absolut glatt und gleichmäßig über den Raum verteilt sein. Das bedeutet, dass die primordiale Expansion an manchen Orten ein bisschen stärker angetrieben wurde als an anderen. Der Effekt eines einzelnen Inflatonquants wurde – im selben Maße wie das Universum selbst – enorm vergrößert, und dieses Inflaton hinterließ die Spur seiner Wirkung auf einen riesigen Raumbereich.

Die Inflaton-Fluktuationen sind der Grund dafür, dass sich das Universum schließlich in Galaxien, Sterne und Planeten aufteilte. Die Fluktuationen wurden gleichsam in die Raumstruktur eingefroren und in etwas dichter und dünner mit Materie erfüllte Regionen umgewandelt. Die dichteren Bereiche kollabierten schließlich infolge ihrer eigenen Schwerkraft. Ohne diese Störungen wäre dasUniversum heutzutage noch immer völlig gleichförmig. Jede Galaxie und jeder Galaxienhaufen, die wir sehen, stammen letztlich von einem oder einigen wenigen elementaren Inflatonpartikeln im frühen Universum ab.

Demnach besagt die gegenwärtige Standardtheorie, dass unsere gesamte Galaxis mehr oder weniger mit einem einzigen elementaren Teilchen begann, das viel kleiner als ein Atom war. Ich hielt dies zunächst für einen absurden Gedanken, habe mich aber durch Beobachtungsdaten von hoher Qualität umstimmen lassen.

Bilder von primordialen Quanten Die überzeugendsten Indizien bieten die Himmelskarten der primordialen Strahlung. Der kosmische Strahlungshintergrund erscheint fast – aber nicht völlig – isotrop, das heißt in allen Richtungen gleichförmig; seine Schwarzkörpertemperatur beträgt 2,725 Kelvin (Grad über dem absoluten Nullpunkt). Die Gravitationseffekte der Inflatonstörungen erzeugten nicht nur materielle Gebilde wie Galaxien, sondern auch Muster von etwas wärmeren und kälteren Strahlungsflecken am Himmel. Diese Temperaturdifferenzen sind extrem gering – im Bereich von einem zehntausendstel Grad –, aber das Muster bewahrt offenbar primordiale Information auf und stimmt im Rahmen der heutigen experimentellen Genauigkeit sehr gut mit den theoretischen Vorhersagen überein.

Vor ungefähr zehn Jahren machte der Satellit Cobe (Cosmic Background Explorer) die ersten Beobachtungen solch urtümlicher Strukturen. Diese berühmte Kartierung erfasste den gesamten Himmel, war aber ziemlich verrauscht und – mit einer Auflösung von rund sieben Grad – recht verschwommen. In den vergangenen zwei Jahren haben Experimente an exotischen Orten – auf Stratosphärenballons über der Antarktis und auf hochgelegenen Wüstenpässen der Anden – wesentlich rauschfreiere und höher aufgelöste Karten kleinerer Himmelsausschnitte geliefert. Derzeit sammelt der Nasa-Satellit Map (Microwave Anisotropy Probe) Daten für eine hochaufgelöste Karte des gesamten Himmels.

Bis Ende nächsten Jahres dürfte Map nicht nur die Temperaturfluktuationen äußerst detailliert gemessen haben, sondern auch die Polarisation der Strahlung. Ähnlich wie Sonnenlicht durch Reflexion polarisiert wird – die reflektierten Lichtwellen schwingen parallel zur Spiegelfläche –, so wurden die Photonen des Mikrowellenhintergrunds durch ihre Begegnung mit freien Elektronen im frühen Universum polarisiert. In einigen Jahren soll eine europäische Mission, derPlanck Surveyor, eine noch detailliertere und genauere Karte liefern.

Die neuen Karten haben so hohe Auflösung – weit unter einem Grad –, dass sie offenbaren, ob das Universum auf Grund der kleinen primordialen Störungen wie ein Trommelfell oder wie eine Wasseroberfläche schwingt. Die Präzision der Daten erlaubt die Messung vieler kosmologischer Parameter, etwa der Materiedichte und der globalen Raumkrümmung, bis auf wenige Prozent genau. Wir besitzen nun sogar präzise Daten über einige Parameter des Inflatonfelds; diese neue Naturkraft ist auf andere Weise bisher nicht zu beobachten.

Außer den Inflatonstörungen entstehen während der Inflation auch Quanten des Gravitationsfelds. Sie haben vermutlich in Form von großen Gravitationswellen ebenfalls Spuren in der Raumzeit hinterlassen und dadurch zur Anisotropie der Hintergrundstrahlung beigetragen. Zwar wurden bis heute Gravitationswellen noch nicht direkt beobachtet, doch Einsteins Theorie der Raumzeit sagt diese Form von Energie vorher. Wenn dem-nächst die neuen Laserinterferometer wie Ligo in Betrieb gehen, werden sie zwar wahrscheinlich erstmals Gravitationswellen nachweisen, allerdings bei viel höheren Frequenzen, die nicht von der Inflation stammen. Wie die Inflatonquanten wurden auch einzelne Gravitonen durch die Inflation riesig aufgebläht. Um die Inflaton- von den Graviton-Fluktuationen zu unterscheiden, sucht man in den von Map und anderen Beobachtungskampagnen gelieferten Daten nach Polarisationsmustern, die nur von Gra-vitonen herrühren können (siehe "Der Nachhall des Urknalls" von R. Caldwell und M. Kamionkowski, Spektrum der Wissenschaft 04/2001, S. 50).

Das holografische Prinzip

In der Theorie der kosmischen Inflation wird die Raumzeit selbst nicht quantenmechanisch beschrieben, sondern gemäß der klassischen Einstein’schen Darstellung als glattes Kontinuum; die Quantenfelder werden nachträglich als schwache Störungen eingeführt. Doch das kann nur eine grobe Näherung sein. Genau genommen müssen Quantensprünge in der Struktur von Raum und Zeit selbst berücksichtigt werden. Vielleicht enthält das Muster am Himmel den entscheidenden Hinweis, wie das gehen kann.

Betrachten wir die Information, die in einem solchen Muster steckt. Der Informationsgehalt entspricht ungefähr der Größe der Computerdatei, in der das Muster – beispielsweise ein Bild oder ein Klang – gespeichert werden kann. In der Standardtheorie der Inflation enthält das Muster am Himmel eine unendlich große Informationsmenge, da die Helligkeitsschwankungen als kontinuierliches Rauschen behandelt werden. Aber in einer echten Quantenkosmologie könnte die Informationsmenge endlich sein. Wenn der Informationsgehalt während der Inflation nicht allzu groß war, könnte er sogar kleiner sein als der unserer heutigen Strahlungskarten; in diesem Fall würden die Karten Anzeichen für diskrete Quantenzustände enthalten.

Moderne Modems sind bei der Informationsübertragung so schnell, dass sich die Übertragung wie zufälliges Rauschen anhört. Mit älteren, langsameren Modems konnte man die Tonfolge hören und erkannte sofort, dass die diskreten Signale einen bestimmten endlichen Informationsbetrag transportieren.

Auch wenn man ein digitales Bild oder ein altes Mosaik von nahem betrachtet, sieht man, dass es in diskrete Elemente zerfällt. Jedes Pixel oder jeder Mosaikstein hat eine einheitliche Farbe und wurde aus einem begrenzten Inventar ausgewählt. Wir nehmen an, dass die Raumzeit selbst letztlich eine ähnliche Struktur aufweist, auch wenn wir sie noch nicht entdeckt haben. Vielleicht erscheint sie erstmals in der Großaufnahme einzelner Quanten, die uns die Inflation liefert.

Tiefe Einsichten in die Verbindung von Quantenphysik und Raumzeit ergeben sich aus der Betrachtung des Informationsflusses in Schwarzen Löchern (siehe "Das Informationsparadoxon bei Schwarzen Löchern" von L. Susskind, Spektrum der Wissenschaft 06/1997, S. 58). Ein Schwarzes Loch besteht praktisch nur aus stark gekrümmter Raumzeit. Innerhalb des Ereignishorizonts, einer ungefähr kugelförmigen Fläche im Raum, deren Größe von der Masse des Lochs abhängt, ist die Gravitation, das heißt die Krümmung der Raumzeit, so stark, dass nicht einmal Licht zu entkommen vermag – es sei denn auf Grund seiner Quantennatur. Da ein Quant stets eine gewisse räumliche Ausdehnung hat, ist es mit einiger Wahrscheinlichkeit noch weit genug vom Loch entfernt, um dessen Gravitation zu entfliehen. Darum strahlt sogar ein Schwarzes Loch ein wenig Energie ab und wandelt dabei pure Raumzeit-Energie – Gravitation – in andere Energieformen um, insbesondere in Strahlung.

Die Theorie der Verdampfung Schwarzer Löcher wurde von Stephen Hawking, Jacob Bekenstein und anderen entwickelt; sie sagt aus, wie viele Teilchen ein Schwarzes Loch emittiert und welche Energie sie haben. Wie sich zeigt, gehorcht die maximale Informationsmenge, die all das beschreibt, was in ein Schwarzes Loch fällt, einer sehr einfachen Formel: Sie beträgt ein Viertel der Fläche A des Ereignishorizonts in Planck-Einheiten, wobei die Gravitationskonstante G, das Planck’sche Wirkungsquantum h und die Lichtgeschwindigkeit c gleich 1 gesetzt werden. Somit lässt sich der Zustand eines Schwarzen Lochs – alles was man darüber wissen kann, das Ergebnis jedes denkbaren Experiments – durch eine Zahl ausdrücken, die aus n = A/4 ln 2 binären Ziffern besteht. (Der natürliche Logarithmus von 2 steht hier, weil wir die Information in Bits und nicht in Einheiten der Entropie angeben.)

Wir können uns die Raumzeit selbst als aktives Quantenobjekt vorstellen. In diesem Bild verwandelt die Hawking-strahlung Quanten der Raumzeit – Gravitonen – in Quanten anderer Energieformen, wobei die Information erhalten bleibt. Das Schöne daran ist, dass wir den Zusammenhang zwischen Gravitation und Information zahlenmäßig ausdrücken können und eine quantitative Abschätzung für die Quantisierung der Raumzeit gewinnen.

Aus solchen Argumenten haben Gerard ’t Hooft von der Universität Utrecht und Leonard Susskind von der Stanford University gefolgert, dass die Physik einem "holografischen Prinzip" gehorchen muss: Der gesamte Zustand der Objekte in einem beliebigen dreidimensionalen Volumen kann durch eine endliche Informationsmenge charakterisiert werden, die kleiner ist als ein Viertel der zweidimensionalen Oberfläche dieses Volumens. Die beiden Forscher mutmaßen, dass die Welt einem Hologramm gleicht. Ein übliches optisches Hologramm wird erzeugt, indem man ein Objekt mit zwei gekreuzten Laserstrahlen beleuchtet und das Interferenzmuster auf einen zweidimensionalen Film bannt. Bei späterem Bestrahlen des entwickelten Films mit einem Laser wird die ursprüngliche Information rekonstruiert und ein dreidimensionales Abbild des Objekts projiziert.

Wie ’t Hooft und Susskind meinen, erscheint uns das Universum zwar drei-dimensional, ereignet sich aber "in Wirklichkeit" auf einer zweidimensionalen Projektionsfläche. Außerdem ist diese Fläche nicht kontinuierlich, sondern körnig: Das Hologramm besteht aus diskreten Stücken, ähnlich wie ein Mosaik. Darum gibt es viel weniger Information, als man bei separater Betrachtung von Quantenmechanik und Gravitation erwarten würde.

Auch inflationäre Universen haben Ereignishorizonte, die allerdings eher der Innenansicht der Ereignishorizonte von Schwarzen Löchern gleichen. Wiederum gilt: Die maximal beobachtbare Information ist ein Viertel der Fläche des Ereignishorizonts. Das bedeutet, dass die Vielfalt der während der Inflation möglichen Ereignisse viel kleiner ist, als sie bei einer Raumzeit wäre, die sich nicht quantenmechanisch verhält. Insbesondere bedeutet die holografische Einschränkung, dass das Inflatonfeld nur sehr eng begrenzte Möglichkeiten hat zu fluktuieren. Falls sich diese Einschränkung be-obachten ließe, würde die Anisotropie der kosmischen Hintergrundstrahlung erstmals direkte Information über die Auswirkungen der Quantengravitation liefern – und vielleicht darüber, ob die Stringtheorie zutrifft oder noch fundamentalere Ideen erforderlich sind.

Heiliger Gral – fast leer?

Die Quantenregeln, die für das Wasserstoffatom gelten, sind sehr einfach und schlüssig, aber ohne detaillierte Daten über viel kompliziertere Atomspektren wären sie nie erraten worden. Vielleicht können wir auf ähnliche Weise aus der Anisotropie des Mikrowellenhintergrunds die Quantennatur der Raumzeit erschließen.

Obwohl die Himmelskarten eine gewaltige Datenmenge enthalten – und die kommenden Ergebnisse versprechen noch mehr davon –, bergen sie vielleicht letzten Endes sehr wenig Information. Einfache Modelle der holografischen Inflation besagen, dass der gesamte Informationsbetrag, der den Quanten des Strahlungshintergrunds zur Verfügung steht, relativ bescheiden ist – das Äquivalent von weniger als einer Million Pixel oder ungefähr die Informationsmenge, die ein gewöhnlicher Computerbildschirm wiedergibt. Das ist viel weniger, als unsere künftigen Strahlungskarten wiedergeben werden; darum werden wir darauf vielleicht diese kosmische Informationsgrenze sehen können.

In diesem Fall wäre die Körnung des Bildes – oder ein anderes, komplizierteres Quantenmuster – ein direktes Zeichen für die holografische Quantisierung der Raumzeit. Wir könnten dies mit Fug und Recht einen Blick auf den Ursprung der Zeit nennen, denn wir würden durch die "gewöhnliche" Zeit hindurch zu einer fundamentaleren diskreten Struktur vordringen, aus der unsere scheinbar kontinuierliche Raumzeit hervorgegangen ist.

Doch vermutlich wäre diese Enthüllung gar nicht besonders aufschlussreich. Wir sollten uns die primordiale Quantisierung nicht als Heiligen Gral vorstellen, der die Lösung sämtlicher Rätsel der Schöpfung verspricht. Wenn man Informationsgehalt mit interessantem Inhalt gleichsetzt, dann ist der Anfang der Zeit viel weniger interessant als alles, was später geschah. Alle Indizien sprechen dafür, dass das Universum zu Beginn kaum Information enthielt und alle komplexen Strukturen sich seitdem von selbst – ohne äußere Einflüsse – entwickelt haben. Wenn das zutrifft, werden uns der Anfang der Zeit und seine detaillierte Struktur wenig dabei helfen, all die interessanten Dinge zu verstehen, die seitdem im Universum geschehen sind.

Literaturhinweise


Das kleine Buch vom Big Bang. Eine Kosmos-Fibel. Von Craig J. Hogan. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2000.

A Flat Universe from High-Resolution Maps of the Cosmic Microwave Background Radiation. Von P. de Bernardis et al. in: Nature, Bd. 404, S. 955 (2000).

Vor dem Anfang. Eine Geschichte des Universums. Von Martin Rees. Fischer, Frankfurt 1998.

Elementarteilchen und inflationärer Kosmos. Von Andrei Linde. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1993.


In Kürze


- Die kosmische Hintergrundstrahlung erfüllt den Weltraum fast völlig gleichförmig in allen Richtungen. Sie entspricht dem Spektrum eines schwarzen Körpers bei einer Temperatur von knapp drei Grad über dem absoluten Nullpunkt und wird als Reststrahlung des Urknalls interpretiert, mit dem das All vor rund 14 Milliarden Jahren seinen extrem heißen und dichten Anfang nahm.

- Hochauflösende Kartierungen dieses Strahlungshintergrunds enthüllen darin kleine Fluktuationen: ein wenig wärmere und kühlere Flecken.

- Kosmologen vermuten in dieser Anisotropie der Hintergrundstrahlung die durch die Expansion des Universums enorm vergrößerten Spuren der uranfänglichen Quantenstruktur von Raum und Zeit.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 2002, Seite 28
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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