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Elektronik-Recycling: Aufarbeitung von Platinen


In der Bundesrepublik sind derzeit jährlich etwa 1,6 Millionen Tonnen Elektroschrott zu entsorgen, und es werden immer mehr. An dieser Menge haben Platinen, also die mit elektronischen Baugruppen bestückten Leiterplatten, dem Gewicht nach zwar nur einen geringen Anteil – bei großen Haushaltsgeräten wenige Prozent, in Fern-sehern und anderen Geräten der

Unterhaltungselektronik sowie der Rechentechnik 8 bis 27 Prozent je nach Baujahr und Bauart. Solche Objekte bestehen aber aus einer Vielzahl von Komponenten: Durchschnittlich machen Halbleiterelemente wie Transistoren und Dioden etwa 33, Kondensatoren 24 und elektrische Widerstände 12 Prozent aus; 23 entfallen auf die Leiterplatten sowie 8 auf Schalter und sonstige Bestandteile.

Ein solcher Materialmix enthält fast zur Hälfte Glas, Keramik und Oxide; der Rest besteht überwiegend aus Metallen und Kunststoffen. Die Metallfraktion wiederum setzt sich vor allem aus Kupfer und Eisen zusammen; doch auch die Anteile an Nickel, Zink und Zinn messen sich in Prozent, die von Silber, Gold, Palladium, Germanium und Rhodium hingegen nur in Prozentbruchteilen.

Eine solche Statistik macht verständlich, daß das Deponieren oder Verbrennen von Platinen nicht nur umwelt-

gefährdende Stoffe freisetzen kann, sondern wertvolle wiederverwertbare Komponenten und Rohstoffe vergeudet. Das Recycling stellt aber aus gleichem Grunde hohe Anforderungen an die Verfahrenstechnik. Im wesentlichen haben sich mittlerweile drei grundlegende Methoden etabliert:

- Noch nicht wirtschaftlich sind die hydrometallurgische Aufarbeitung von Platinen durch chemisches Herauslösen der Metalle und die Pyrolyse, bei der sich unter Hitze die Kunststoffe zersetzen und Gase, Öle sowie feste Rückstände verbleiben. (Das Fraunhofer-Institut für chemische Technologie in Pfinztal nutzt zudem überkritisches Wasser, also Wasser bei einem Druck von mehr als 221 bar und einer Temperatur von 374 Grad, um Kunststoffe gezielt zu lösen. Die Redaktion.)

- Schmelzverfahren behandeln komplette, bestückte Leiterplatten. Sie werden in einer Hammermühle geshreddert und mit Kupferschrott und -erzen in einem Schachtofen bei 1250 Grad Celsius eingeschmolzen. Kunststoffe verbrennen dabei und liefern einen wichtigen Anteil der Prozeßwärme. Die Schmelze enthält etwa 70 Prozent Kupfer, Eisen, Nickel und Edelmetalle, aber auch Selen und Tellur. Bei der anschließenden Elektrolyse scheidet sich Kupfer an der Kathode ab, die anderen Wertstoffe reichern sich im Anodenschlamm an und können hydrometallurgisch oder elektrolytisch daraus gewonnen werden.

- Die meisten Entsorgungsunternehmen nutzen zur Aufarbeitung mechanische Verfahren, die im folgenden im Detail vorgestellt werden (Bild 1).

Elektro- und Elektronikgeräte durchlaufen in jedem Falle zunächst eine grobe manuelle Demontage, bei der man schadstoffhaltige Bauteile von den Leiterplatten entfernt, um sie als Sonderabfall zu entsorgen. Es gibt erste Ansätze, auch PCB-haltige Kondensatoren, die bis zum Jahre 2000 sämtlich ausgetauscht werden sollen, sowie quecksilberhaltige Schalter und Batterien zu recyceln.


Entstückung

Die verschiedenen Bauelemente kann man abscheren, indem man die Platine einspannt und beispielsweise unter dem mit Schneiden bestückten, rotierenden Zylinder eines Fräsers oder unter den Messern eines Hobels entlangführt; beidseitig bestückte Leiterplatten bedürfen einer entsprechend aufwendigeren Anlage. Weil Verbindungsdrähte – meist als Beinchen oder Pins bezeichnet –

direkt oberhalb der Leiterplatte abgeschnitten und somit stark gekürzt werden, sind solche Verfahren nicht dafür geeignet, wiederverwendbare Bauelemente zu gewinnen.

In solchen Fällen kann man aber gezielt Lötverbindungen mit heißen Flüssigkeiten wie Ölen, Paraffinen oder Glycerin lösen, wobei die Lötkolben mit einer Absaugvorrichtung ausgestattet sein müssen. Soll die Elektronik komplett entfernt werden, kann man die Platinen auch mit den Bauelementen nach unten einspannen und die Lotseite mit einem Heizlüfter, Infrarotstrahler oder Laser erhitzen. Größere Teile fallen durch ihr Eigengewicht von selbst heraus; durch Vibration, Druckluft oder Unterdruck kann man den Prozeß bei kleineren fördern. Allerdings ist Vorsicht nötig, weil Erwärmen von elektronischen Elementen mitunter ihre Funktionsfähigkeit beeinträchtigt. Zudem können sich Flammhemmstoffe, die dem Kunststoff der Leiterplatte beigegeben sind, zersetzen und ausgasen; eine gute Absaugung sollte also unbedingt vorhanden sein.

Gezielt entlötete Bauelemente lassen sich mit automatischen Greifern entnehmen, sofern ihre Positionen bekannt sind. Das ist etwa der Fall, wenn noch bei der Herstellung die Qualitätsprüfung eine fehlerhafte Bestückung anzeigt. Sonst lassen sich Techniken der Bildverarbeitung einsetzen, um elektronische Komponenten anhand der in einer Datenbank abgelegten Informationen über ihre Kontur, Farbe und Beschriftung zu erkennen und ihre Koordinaten zu ermitteln – eventuell anhaftender Schmutz muß dazu vorher entfernt werden. Eine wesentliche Vereinfachung wäre es, die Platinen mit Bar-Codes zu versehen und alle Positionsdaten zu speichern. Das setzt allerdings eine weltweit einheitliche Codierung aller Leiterplatten voraus sowie das Offenlegen der für die Weiterverwertung relevanten Daten.

Um die somit separierten Bauelemente nach Gruppen zu sortieren, kann man sie zunächst nach ihren Abmessungen sieben (Bild 2): Solche mit größeren Kantenlängen als zwei bis drei Zentimeter sind vor allem Transformatoren, Kühlelemente und Kondensatoren. Aus dieser Fraktion lassen sich die vornehmlich aus Aluminium bestehenden und deshalb leichteren Kühlelemente durch Wirbelstromscheidung abtrennen (durch Ändern eines Magnetfeldes werden in elektrischen Leitern Wirbelströme und damit dem primären entgegengesetzte Magnetfelder induziert; es resultieren je nach elektrischer Leitfähigkeit des Materials unterschiedliche Kräfte).

Mittlere Größen und Feinmaterial von weniger als fünf Millimeter Durchmesser sind mit dem gleichen Verfahren und durch Aerosortierung zu trennen: Ein aufwärts gerichteter Luftstrom nimmt leichtere Teilchen mit, während schwerere absinken. Zerkleinert man weiter, lassen sich zudem metallische und nichtmetallische Anteile unterscheiden. Nach nochmaligem Sortieren verbleibt ein dem Hausmüll vergleichbarer Rest, der ohne weitere Schutzmaßnahmen zu deponieren ist.


Entstückte Leiterplatten

Eine Leiterplatte nimmt Schaltkreise, Kondensatoren, Widerstände und alle anderen Elemente der Elektronik auf und verbindet sie elektrisch miteinander. Deswegen besteht sie einerseits aus isolierendem Material, meist aus glasfaserverstärktem Kunstharz, und trägt andererseits auf einer oder beiden Seiten photolithographisch erzeugte Kupferbahnen. Weil diese Platten aber Wärme schlecht abführen, die während des Betriebs entsteht, enthält der Grundkörper zum Brandschutz Flammhemmer und ist damit Sondermüll.

Nach der Entstückung – wie beschrieben durch Abscheren oder Entlöten – werden das restliche Lot und die Leitungsbahnen mit Schleifscheiben, Bürsten oder Klingen entfernt. Der Abfall enthält Kupfer in hoher Konzentration. Die weitestgehend von Metallen befreite Platte wird dann in einer Wälzmühle zerkleinert; die Bruchstücke lassen sich mittels einer Variante der Aerosortierung nach Klassen trennen. Man kann die Leiterplatte auch zerkleinern, indem man sie mit hoher Geschwindigkeit auf eine Platte aufprallen läßt. Dabei lösen sich die Bindungen zwischen Metallen und Grundkörper. Dieses Verfahren ist einfacher, reichert allerdings die Metalle nicht so stark an. (Am Forschungszentrum Ulm des Unternehmens Daimler-Benz taucht man vorzerkleinerte Platinen in flüssigen Stickstoff; in einer Hammermühle platzen dann die durch Abkühlung spröde gewordenen Kunststoffe von den Metallen ab. Die Redaktion.) Das im Mahlgut enthaltene Kupfer wird durch eine Kombination von Aerosortierung und Koronascheidung abgetrennt. (Korona nennt man den Bereich um einen stromdurchflossenen Leiter, in den Elektronen austreten. Hindurchfliegende Partikel werden aufgeladen. Elektrisch leitende geben die Elektronen an eine geerdete rotierende Walze ab und werden – da nun gleichartig geladen – von ihr abgestoßen; Nichtleiter bleiben hingegen an der Walze haften.)


Komplette Platinen

Die bei entsprechenden Dienstleistungsunternehmen eher gebräuchliche Alternative zur Entstückung ist das mehrstufige Zerkleinern der kompletten, von Schadstoffen befreiten Platinen mit anschließendem Sortieren der Bruchstücke nach physikalischen Merkmalen wie Dichte sowie magnetischen und elektrischen Eigenschaften. Durch das Zerkleinern wird das Stoffgemisch einigermaßen aufgeschlossen. Beim Sortieren sucht man dann frei vorliegende

Bestandteile möglichst schnell zu entfernen, um nachfolgende Zerkleinerungsprozesse zu entlasten.

Zunächst werden Shredder eingesetzt, die Objekte mit Abmessungen bis zu 100 mal 80 mal 80 Zentimetern verarbeiten können. Bis zu Wandstärken von drei bis fünf Millimetern eignen sich auch rotierende Messer, sogenannte Schneidmühlen.

Aus dünnem Draht bilden sich dabei sogenannte Kupfergewölle, die man mit Schwingsieben oder Stangenrosten abtrennt. Magnetscheider separieren daraus eisenhaltige Partikel, die zuvor beschriebenen Verfahren solche mit anderen Metallen, dabei die Wirbelstromscheidung Teilchen mit größerem Durchmesser als fünf Millimeter. Rückstände der Nicht-eisen-Abtrennung werden in Hammermühlen weiter zerkleinert und mit den genannten Methoden erneut in eisenhaltige und sonstige Fraktionen getrennt.

Am Ende der dritten Aufbereitungsstufe enthält das eisenhaltige Produkt 88 bis 95 Prozent dieses Elements und wird als Schrott in der Stahlerzeugung verwendet. Im Nichteisen-Produkt sind bis zu 95 Prozent Metalle enthalten, und zwar nach der ersten Trennstufe hauptsächlich Aluminium, nach der letzten vor allem Kupfer.

Beim Zerkleinern stellt sich jeweils eine Verteilung der Partikelgrößen ein, die so zu steuern ist, daß nur schwer weiter zu differenzierende Stäube soweit möglich vermieden werden. Trotzdem fallen in jeder Aufbereitungsanlage jährlich einige hundert Tonnen solcher feinsten Partikel an und werden in zentralen Entstaubungsanlagen aufgefangen. Filterstäube sind nach der entsprechenden Technischen Anleitung als Sonderabfall zu entsorgen; die aus dem Elektroschrott-Recycling werden gegenwärtig vorzugsweise unter Tage deponiert oder verbrannt.

Wir entwickeln derzeit Konzepte, ihre metallischen Inhaltsstoffe zu gewinnen. Während gröbere Partikel vornehmlich aus Fetzen von Aluminiumfolie und Papier, Glasfaser-Gewölle und Platinenbruchstücken bestehen, enthalten feinere je nach Vormaterial im Mittel ein bis sechs, maximal bis zu 15 Prozent Kupfer, das sich durch Flotation anreichern läßt: Man suspendiert die Stäube in Wasser und bläst Luft ein; hydrophobe Teilchen lagern sich an Luftblasen an und steigen mit an die Oberfläche. Interessant ist auch der Edelmetallgehalt der Stäube – der von Gold ist höher als in natürlichen Lagerstätten.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1998, Seite 106
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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