Aufprall von Tropfen auf feste Oberflächen
Mit der zeitaufgelösten Schattenbild-Visualisierung kann man im Detail verfolgen, wie ein Tropfen sich beim Aufprall auf eine feste Oberfläche verformt, wie Wellen über seine Oberfläche laufen und wie sich schließlich Spritzer ablösen.
Ein Tropfen fällt, trifft auf eine Unterlage und zerspritzt. Obwohl jeder diesen alltäglichen Vorgang im Prinzip kennt, läuft er so schnell ab, daß man ihn nur mit besonderen Apparaten exakt verfolgen kann (Spektrum der Wissenschaft, März 1996, Seite 10).
Eine der ersten Möglichkeiten dazu bot das Funkenentladungsgerät des Physikers und Physiologen Hermann von Helmholtz (1821 bis 1894). Ein englischer Praktikant namens A. M. Worthington nutzte es 1876 dafür, erstmals Formveränderungen aufprallender Wassertropfen zu untersuchen; später hat er sie auch mit Photo- und Filmaufnahmen dokumentiert. Aber ebenso wie seine Nachfolger studierte er fast ausschließlich den Aufprall auf flüssige Oberflächen. Ein naheliegender Grund ist, daß man sich dadurch das aufwendige Reinigen der Unterlage nach jedem Tropfenfall ersparte; außerdem erlauben erst moderne Bildwandlerkameras die präzise Koinzidenzsteuerung zwischen der Tropfenbildung und dem Aufnahmezeitpunkt.
Im Rahmen meiner Dissertation am Laboratoire d'Aerothermique in Meudon (Frankreich) habe ich erstmals auch den Aufprall auf feste Oberflächen genauer erforscht. Tatsächlich zeigten sich dabei einige überraschende Unterschiede zu den bekannten Vorstellungen.
Bei meinen Versuchen ließ ich jeweils einen Tropfen senkrecht auf eine ebene, trockene Glasplatte fallen und photographierte ihn von der Seite oder durch die Glasplatte von unten. Zur Beleuchtung diente eine ausgedehnte, gleichmäßig helle Lichtquelle im Hintergrund. Diese Anordung erlaubt eine einfache Schattenbild-Visualisierung: Wo immer die Flüssigkeitsoberfläche nicht genau senkrecht zu einem Lichtstrahl orientiert ist, bricht sie ihn von der optischen Achse weg, so daß die entsprechende Stelle in der Durchsicht dunkler erscheint.
In der Seitenaufnahme eines fallenden Tropfens sieht man so deutlich seinen Umriß sowie einen Teil seines Spiegelbildes auf der Glasplatte (Bild 1). Beim Auftreffen auf die Unterlage breitet sich die Flüssigkeit zunächst seitwärts in einer vergleichsweise dünnen Schicht oder Lamelle aus; wie beim Blick von unten durch das Glas zu erkennen ist, geschieht dies symmetrisch nach allen Richtungen (Bild 2). Da die Lamelle im Innern gleichmäßig hell erscheint, ist sie offenbar – bis auf ihren Rand – völlig eben.
Das rührt daher, daß die Flüssigkeit schneller nach außen strömt, als sich Wellen auf ihrer Oberfläche fortpflanzen können. Diese Situation entspricht der Überschallströmung in Luft oder dem Auftreten einer Bugwelle bei einem schnell fahrenden Schiff; tatsächlich findet sich auf einer der Momentaufnahmen rechts von der Mitte eine dafür typische Struktur: ein sogenannter Machscher Kegel, der durch eine Unebenheit der Glasoberfläche verursacht wurde (Bild 2b).
Die kinetische Energie des Aufpralls wird sowohl in Wärme (durch Reibung mit der Glasplatte) als auch in Oberflächenenergie der Lamelle umgewandelt. Deren Ausbreitungsgeschwindigkeit verringert sich dadurch allmählich. Sobald sie die Schallgeschwindigkeit in der Flüssigkeit unterschreitet, laufen Oberflächenwellen vom Rand zur Mitte der Lamelle. Schließlich beginnt auch der Grenzwinkel zum Glas langsam den energetisch günstigsten Wert anzunehmen, der von der Benetzbarkeit der Unterlage vorgegeben wird; es bildet sich die zentrale Tropfenlinse, die man üblicherweise wahrnimmt.
Meine Versuche zeigten jedoch ein weiteres bemerkenswertes Phänomen: Schon wenn die Lamelle den Tropfenschatten verläßt und in der Aufsicht erstmals erkennbar wird, sieht man an ih-rem Rand eine perlschnurartige Struktur (Bild 2a). Sie entsteht vermutlich unmittelbar beim Aufprall und bleibt während der Ausbreitung winkeltreu bestehen, wodurch bei Mehrfachbelichtung ein strahlenförmiges Muster erscheint (Bild 3). Die exakte Auswertung durch digitale Bildverarbeitung erwies, daß die Perlen regelmäßig über den Lamellenrand verteilt sind und bei identischen Versuchsbedingungen stets in gleicher Anzahl entstehen.
In einer Reihe von Experimenten variierte ich die Tropfengröße, die Aufprallgeschwindigkeit und – durch Beimischen von Glycerin – die Viskosität der Flüssigkeit. Dabei zeigte sich, daß die Anzahl der Perlen der Reynolds-Zahl proportional ist. (Die Reynolds-Zahl ist eine dimensionslose Größe, in die sowohl die Viskosität der Flüssigkeit als auch die räumlichen und kinetischen Bedingungen des Systems eingehen. Hydrodynamische Phänomene wie der Umschlag von laminarer zu turbulenter Strömung hängen im wesentlichen von diesem Parameter ab.) Bisher läßt sich das Auftreten der Perlenschnur allerdings nicht theoretisch erklären.
Beim Aufprall von Tropfen auf Flüssigkeiten bildet sich ein Krater; an dessen Rand erhebt sich eine Lamelle, die wiederum an ihrem Rand Tröpfchen aussendet, so daß eine Art Krönchen entsteht (Spektrum der Wissenschaft, März 1996, Seite 12). Beim Aufprall auf feste Oberflächen beobachtet man – außer in Extremfällen – selbstverständlich keine Verformung der Unterlage, wohl aber Spritzer; sie treten dann auf, wenn die Scherkräfte in der Lamelle bei Haftung an der Unterlage so groß werden, daß es für den Lamellenrand energetisch günstiger ist, eine freie Oberfläche zu bilden. Sobald der Flüssigkeitsfilm sich vom Untergrund ablöst, zerplatzt er jedoch in viele kleine Tröpfchen, weil deren Oberflächenspannung geringer ist. In meinen Versuchen geschah das um so eher, je höher die Viskosität der Flüssigkeit war (Bild 4) – im Gegensatz zu den bekannten Gesetzmäßigkeiten der Zerstäubung auf flüssigen Oberflächen.
Die geschilderten Phänomene sind erstaunlich gut reproduzierbar. Jedes hier dargestellte Bild stammt von einem anderen, gleichartigen Versuch; nur der Auslösezeitpunkt wurde durch geeignete Änderung der Startbedingungen bei vorsichtiger, erschütterungsfreier Versuchsführung verschoben.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1996, Seite 29
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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