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Erneuerbare Energien: Ausbruch aus der Nische

Noch spielen Sonne & Co. allenfalls regional eine Rolle. Doch langfristig könnten sie zu Global Playern aufsteigen.


Erdgas, Öl und Kohle sind bewährte Energieträger, doch ihr Vorrat geht allmählich zur Neige und ihre Verbrennung setzt Treibhausgase frei. Wenn der Energiebedarf nicht drastisch sinkt, bleibt der Menschheit daher nur der Weg in die Kernenergie oder die Erschließung natürlicher, erneuerbarer Energiequellen im großen Stil.

Im Grunde gibt es davon nur zwei: die Strahlungsenergie der Sonne und die durch radioaktiven Zerfall im Erdinneren hervorgerufene Wärme. Sonnenenergie ist schon in Gebrauch, seit sich Menschen zum ersten Mal an einem Feuer wärmten, denn "Biomasse" wie Holz oder Stroh entsteht durch Fotosynthese, also durch die Umwandlung von Sonnenlicht in pflanzliche Substanz. Auch Wind und Wellen beruhen auf dem steten Energiefluss der Sonne, ebenso – über den Kreislauf von Regen und Verdunstung – die Turbinen antreibende Kraft von Stauseen und Flüssen. Die Erde absorbiert 10000-mal mehr Strahlungsleistung, als die Menschheit heute benötigt. Die zweite große Quelle, die Geothermie, mutet ungleich exotischer an. Immerhin: Die Erde strahlt zehnmal mehr Wärme ins All ab, als die Menschen weltweit an Primärenergie verbrauchen.

Doch die Nutzung der regenerativen, das heißt sich erneuernden Energien steckt noch in den Kinderschuhen. Weltweit ­decken sie derzeit nur etwa vier Prozent des Primärenergiebedarfs (in Deutschland zwei Prozent). Ihr Anteil an der Stromerzeugung klingt mit 19 Prozent schon besser (in Deutschland sieben Prozent), doch der beruht weitgehend auf Wasserkraftwerken, die viel Landschaft "verbrauchen".

Trotz aller Bedenken gegen die Nutzung bei diesigem Wetter: Die Fotovoltaik ist für unsere Breiten hervorragend geeignet. Solarzellen genügt die diffuse Strahlung unter bewölktem Himmel, um Sonnenlicht in Strom zu verwandeln. Allerdings verbraucht die Herstellung der Siliziumzellen so viel Energie, wie diese in fünf Jahren produzieren. Und sie sind teuer: Alle Investitionen eingerechnet, kostet eine fotovoltaisch erzeugte Kilowattstunde heute sechzig bis neunzig Cent, viel mehr als die 1,5 bis drei Cent für Strom aus konventionellen Kraftwerken.

Doch dank massiver staatlicher Förderung durch billige Kredite und einer hohen Rückvergütung des ins Netz eingespeisten Stroms erreichen Solarzellen in Deutschland immerhin 175 Megawatt maximaler elektrischer Leistung (Stand Ende 2001); weltweit sind es etwa 1500 Megawatt. Die weltgrößte Dachanlage – soeben von Phoenix SonnenStrom und Partnern wie etwa Shell Solar auf 2,1 Megawatt aufgestockt – befindet sich auf den Hallen der Münchner Messe.

Die starke Förderung der Fotovoltaik hat hier zu Lande einen Boom ausgelöst und Deutschland zum Weltmarktführer gemacht. Mitte der 1990er Jahre war dies noch anders: Solarzellenfabriken wurden ins Ausland verlegt oder als unrentabel geschlossen. Doch allein in den letzten drei Jahren hat die Industrie über eine Milliarde Euro in deutsche Solarfabriken investiert. Im sächsischen Freiberg betreibt eine Tochter des deutsch-schwedischen SolarWorld-Konzerns seit wenigen Monaten die größte Solarzellenfabrik Europas, die pro Jahr Zellen mit einer Gesamtleistung von dreißig Megawatt produzieren soll. RWE Schott Solar will bis 2004 mit seiner SmartSolarFab bei Alzenau sogar das Doppelte schaffen.

Dabei soll auch ein grundsätzliches Problem heutiger Produkte gelöst werden: Meist aus Standard-Silizium-Wafern hergestellt, sind die Zellen drei Millimeter dick, aber nur eine sehr dünne Schicht an ihrer Oberfläche verwandelt das einfallende Licht in Strom. Um teures Halbleitermaterial zu sparen, sollen in Alzenau 0,3 Millimeter dünne, folienartige Zellen entstehen. Noch weiter geht das Start-up-Unternehmen Sulfurcell. Ab Sommer 2003 will es serienmäßig Glasscheiben mit einer 1,5 Mikrometer dünnen Schicht aus Kupfer-Indium-Diselenid (CIS) versehen und damit der Silizium-Technik Konkurrenz machen. Zwar erreichen CIS-Dünnschichtzellen bislang nur einen Wirkungsgrad von 13 Prozent (gegenüber etwa 16 bei Silizium), aber "wir kommen mit einem Prozent des sonst nötigen Halbleitermaterials aus", erklärt Geschäftsführer Nikolaus Meyer. "Damit können wir mittelfristig die Kosten mindestens halbieren."

Die Mittelmeer-Connection

Die Alternative zur Fotovoltaik, die Solarthermie, eignet sich vor allem für südli­chere Gefilde, wo es über das Jahr genug direkte Strahlung gibt. Solarthermische Kraftwerke funktionieren wie ein großes Brennglas: Spiegel sammeln die Sonnenstrahlung und konzentrieren sie auf einen "Receiver", durch den ein Transportmedium strömt, das sich erhitzt.

Als ausgereift gilt das Parabolrinnen-System: Parabelförmige "Spiegeltröge" fokussieren das Licht auf lange Absorberrohre in ihren Brennachsen. Durch sie strömt meist ein Thermoöl und transportiert die Energie zu einem Wärmetauscher. Der erhitzt den Dampf und dieser wiederum treibt Turbinen an. Parabolrinnen sind kostengünstig und gegen Witterungseinflüsse unempfindlich. In sonnenreichen Regionen arbeiten sie wirtschaftlich, wie die Solar Electric Generating Station in Kalifornien beweist. Hier steht das weltgrößte Solarkraftwerk mit 2,5 Millionen Quadratmeter Spiegelfläche. Es versorgt mit einer Spitzenleistung von 354 Megawatt 150000 Menschen.

Derartige Kraftwerke erzeugen heute Strom für zehn bis 15 Cent pro Kilowattstunde. Sie sind also im Prinzip konkurrenzfähiger als die Fotovoltaik. Welchen Marktanteil sie künftig erobern werden, dürfte davon abhängen, wie viel Strom auf diese Weise in den Staaten des Sonnengürtels erzeugt und in die nördlichen Industriestaaten verkauft werden kann. Das Europäische Elektrizitätsnetz reicht heute bis in die Türkei und soll bis 2015 über Nordafrika und Gibraltar zu einem Ring um das Mittelmeer geschlossen werden. Dann könnte Solarstrom in Marokko zu sechs Cent pro Kilowattstunde produziert und – einer Schätzung des Instituts für Solare Energieversorgungstechnik ISET in Kassel zufolge – für weitere zwei Cent von Marokko über Spanien nach Deutschland geleitet werden.

Die Windenergie liegt schon jetzt mit nur geringer staatlicher Förderung in der Größenordnung einer wirtschaftlich sinnvollen Stromerzeugung: Bei Anlagen im Binnenland betragen die Herstellungskosten je nach Standort zwischen 5,5 und 13 Cent pro Kilowattstunde. Weltweit liefert Windkraft bereits 27 Gigawatt elektrischer Leistung, 75 Prozent davon werden in Europa erzeugt und versorgen fünf Millionen Menschen mit Strom (Spektrum der Wissenschaft 10/2002, S. 78). Der Wind-Weltmeister ist Deutschland mit mehr als 12000 "Mühlen" und zehn Gigawatt Gesamtleistung. Im Jahr 2001 erzeugten sie etwa 2,3 Prozent des hier zu Lande produzierten Stroms und sparten so über zehn Millionen Tonnen Kohlendioxid ein.

Windenergieanlagen sind Hightech-Systeme, betont Ralf Peters von Nordex, einem der größten Hersteller. Der Wirkungsgrad erreicht bis zu 45 Prozent. Bei Neuinstallationen dominieren blattgeregelte Systeme, die ihre Rotoren je nach Windgeschwindigkeit verstellen können. Rotoren bis zu hundert Meter Durchmesser sitzen auf über achtzig Meter hohen Türmen und produzieren bis zu 2,5 Megawatt. In dieser Höhe können allerdings sprunghafte Windböen zu einem ernsten Problem werden (Spektrum der Wissenschaft 2/2002, S. 10). Deshalb messen Sensoren ständig bis zu 300 verschiedene Parameter für das autonome Steuersystem.

In Mitteleuropa wird allerdings der Platz für neue Anlagen schon knapp. Eine Alternative wären die Küstengewässer der Nord- und Ostsee, wo zudem mehr Wind weht und bis zu vierzig Prozent mehr Energie produziert werden kann als an Land. Die Nase vorn hat Dänemark mit einem Park 14 Kilometer nordöstlich vor Esbjerg. Im rund zehn Meter tiefen Küstenwasser stehen dort achtzig Windgeneratoren mit einer Gesamtleistung von 160 Megawatt.

Schifffahrtsstraßen, militärische Manövergebiete, Rohstoffgewinnung, Fischgründe und Naturschutz zwingen die deutschen Offshore-Planer sogar in Gebiete, die dreißig bis vierzig Kilometer vor der Nordseeküste liegen. Dort ist das Wasser zwischen zwanzig und vierzig Meter tief, und die See kann sehr rau sein. Laut Christian Nath, Geschäftsführer von Germanischer Lloyd WindEnergie, wären dort erst Windanlagen mit fünf Megawatt Leistung in der Lage, ökonomisch zu arbeiten. Heute gibt es aber nur ausgereifte Anlagen für zwei bis drei Megawatt. Windräder mit höherer Leistung sind erst im Probebetrieb. Im Meer müssen sie zudem extreme Bedingungen zuverlässig verkraften. Es wird wohl noch Jahre dauern, bis in der Nordsee große deutsche Offshore-Windparks entstehen.

Windräder unter Wasser

Wind setzt nicht nur Rotoren in Bewegung, sondern regt auch Meereswellen an. Die speichern global pro Jahr fast hundertmal mehr Energie, als die Menschheit verbraucht. Die Forschung steckt hier jedoch noch in den Anfängen. Experimentelle ­Anlagen verstromen die Wellenbewegung meist nach dem Prinzip einer oszillierenden Wassersäule: Das Wasser dringt in eine unten offene Kammer ein und schwingt darin auf und ab. Dabei schiebt es Luft durch eine Turbine ins Freie oder saugt sie von dort an. Die Spezialturbine verwandelt dieses "Atmen" in einen möglichst gleichmäßigen elektrischen Strom. Seit dem Jahr 2000 versorgt Limpet-500, eine Pilotanlage mit immerhin 500 Megawatt elektrischer Leistung, die britische Insel Islay mit Strom.

Einen anderen Weg, Energie aus dem Meer zu gewinnen, beschreiten Gezeitenkraftwerke, die den Wechsel zwischen Ebbe und Flut nutzen. Seit 1966 steht eine solche Anlage mit 240 Megawatt elektrischer Leistung in der Mündung des französischen Flusses Rance nahe Saint Malo. Eine große Mauer schottet die Rance gegen das Meer ab, und je nach Wasserstand im Ärmelkanal strömt entweder das Flusswasser durch 24 Turbinen ins Meer oder umgekehrt Meerwasser in die Flussmündung. Solche Kraftwerke können aber nur an Orten mit extrem hohem Tidenhub arbeiten. Darüber hinaus ist die Anlage La Rance sehr korrosionsanfällig und verändert das ökologische System der Flussmündung. Deshalb arbeiten Entwickler an alternativen Konzepten, beispielsweise mit Türmen und Rotoren unter Wasser, sozusagen "Unterwasser-Windkraftanlagen". Ein derartiges System mit 350 Kilowatt Leistung wird vor der Küste Cornwalls getestet. Eine erste Studie der EU konstatierte, dass Europa 106 geeignete Standorte bietet, geschätzte Gesamtleistung: 12500 Megawatt.

Während Sonne und Wind nicht ständig Energie liefern, steht Erdwärme rund um die Uhr zur Verfügung. Global spielt die Geothermie noch eine kleine Rolle: Im Jahr 2000 erreichte sie eine elektrische Gesamtleistung von acht Gigawatt – immerhin dreimal so viel wie Fotovoltaik und ­Solarthermie zusammen. Die meisten Kraftwerke stehen in vulkanisch aktiven Gebieten wie etwa beim isländischen Krafla-Vulkan, wo sechzig Megawatt elektrischer Leistung erzeugt werden. Sie nutzen erhitztes Grundwasser mit Temperaturen über hundert Grad Celsius. Aus ihren kilometertiefen Bohrlöchern schießt aber nicht nur Dampf, sondern gelegentlich auch heiße, ätzende Brühe. Wie Sekt, der beim Entkorken aufschäumt, gast sie beim Entspannen und Abkühlen unter anderem Kohlendioxid aus. Krafla emittiert aber trotzdem zehnmal weniger CO2 als ein Kohlekraftwerk gleicher Leistung.

Emissionsfrei arbeitet das neue Hot-Dry-Rock-Verfahren. Weil der Erdmantel in etwa fünf Kilometer Tiefe zwischen 150 und 200 Grad Celsius heiß ist, kann zerklüftetes Gestein dort als natürlicher Wärmetauscher dienen.

Bohren nach Wärme

Über Injektionsbohrungen presst ein Kraftwerk kaltes Wasser hindurch und fördert es durch andere Bohrungen überhitzt wieder zu Tage. Während die oberirdische Technik Standard ist, stellt der künstlich erweiterte Wärmetauscher in der Tiefe das eigentliche Neuland dar. In zwei Jahren soll die europäische Pilotanlage im elsässischem Soultz-sous-Forêts rund zwanzig Megawatt Wärme und bis zu sechs Megawatt Strom produzieren. Die Schweiz plant Ähnliches: Die "Deep Heat Mining" genannte erste kommerzielle Anlage soll Basel mit Fernwärme versorgen.

Ein viel versprechender Ansatz, die mangelnde Beständigkeit vieler regenerativer Energiequellen auszugleichen, sind "virtuelle Kraftwerke", also der Zusammenschluss kleiner Energieerzeugungsanlagen zu einem virtuellen Großkraftwerk. Ein Energiemanagementsystem ermittelt den Bedarf der angeschlossenen Verbraucher an Strom und Wärme, beauftragt die Kleinkraftwerke und gleicht ihre Leistung miteinander ab. Ein solches System ist deutlich weniger von Windflauten oder bedecktem Himmel abhängig.

Immerhin hat die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages empfohlen, bis zum Jahr 2050 die Hälfte des Strom- und Wärmebedarfs in Deutschland aus erneuerbaren Energiequellen zu decken. In einem Punkt sind sich alle Experten einig: Ohne staatliche Förderung werden diese Techniken mittelfristig nicht konkurrenzfähig sein. Sonne, Erdwärme und Wind brauchen einen langen Atem.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2003, Seite 80
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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