Direkt zum Inhalt

Brandschutz: Ausgefeilte Konzepte, bleibendes Restrisiko

Ein mehrstufiges Sicherheitskonzept macht Brandkatastrophen in Tunnels unwahrscheinlicher, doch letzte Gewissheit gibt es nicht.


Gleich zwei Großfeuer beherrschten die Berichterstattung im vergangenen Jahr. Am 24. März überhitzte sich der Motor eines Kühl-Lkws im Mont-Blanc-Tunnel und das Fahrzeug geriet in Brand – 39 Menschen starben. Fast genau zwei Monate später starben acht Personen im österreichischen Tauerntunnel bei einem Auffahrunfall; als sich daraufhin ein Feuer entwickelte, verbrannten vier weitere. Waren dies Ausnahmen oder Folgen schwer wiegender Sicherheitsmängel? Diese Frage bewegte Öffentlichkeit und Expertenkommissionen.

Ihre Antwort dürfte manchem unbefriedigend erscheinen: Einen vollständigen Schutz gegen solche Katastrophen kann und wird es nicht geben, kein Land könnte die erforderlichen Maßnahmen finanzieren. Hierzu zwei Vergleiche: Sicher wäre es wünschenswert, an den Küsten Deiche anzulegen, die das schlimmste überhaupt denkbare Hochwasser abhalten könnten, doch solche Anlagen wären nicht realisierbar; stattdessen bestimmen Experten einen Schutzgrad, der mit hoher Wahrscheinlichkeit erreicht wird, und nehmen ein Restrisiko in Kauf. Nicht anders verhält sich eine Privatperson, die sorgsam abwägt, gegen welche Unbilden des Lebens sie sich gegen teures Geld versichert und gegen welche nicht.

Doch nun die gute Nachricht: Verkehrstunnel haben in Europa einen hohen Sicherheitsstandard. Das sollte nicht verwundern, denn ihre Bedeutung für die Industriegesellschaft wurde bereits vor mehr als 150 Jahren erkannt. Damals entstanden die ersten Eisenbahntunnel in Europa, gegen Ende des 19. Jahrhunderts die ersten U-Bahnsysteme in London und Budapest. Das Ziel war immer das Gleiche und hat sich auch heute nicht verändert: auf kurzem Wege Waren und Menschen zu befördern. Zur Zeit verlaufen in Deutschland etwa 600 Kilometer des öffentlichen Nahverkehrs unterirdisch, 450 Kilometer Bahnstrecke und etwa 150 Kilometer Straße führen durch Gestein. Europaweit kommen Verkehrstunnel auf eine Gesamtlänge von mehr als 10|000 Kilometer.

Unfälle sind in solchen Anlagen eher selten. Analysen des Instituts für Straßen- und Verkehrswesen der Ruhr-Universität Bochum bestätigen beispielsweise das geringere Risiko im Vergleich zur freien Straße – nicht zuletzt ein Effekt der Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 Kilometer pro Stunde. Doch ausgeschlossen sind solche Ereignisse keineswegs. Immerhin gerieten beispielsweise im Schweizer Gotthard-Tunnel zwischen 1992 und 1998 insgesamt 42 Autos in Brand. In einem solchen Fall droht unter den Zwangsbedingungen der Röhren Gefahr: Flucht ist nur eingeschränkt möglich, der Zugang für Rettungsfahrzeuge erschwert. Gerät die Situation außer Kontrolle, können Tote und Verletzte die schlimmste Folge sein, aber auch erheblicher Sachschaden und lang andauernde Einschränkungen im Verkehrsfluss schlagen zu Buche.

Brandschutz beginnt den gültigen Sicherheitsstandards entsprechend schon bei der Auswahl der Baustoffe. Beton gilt als ideal, denn er brennt nicht. Allerdings kann er bei schnell und hoch ansteigenden Temperaturen explosionsartig abplatzen und dabei Fliehende wie Rettungs- und Löschmannschaften gefährden. Mitunter entstanden einige Dezimeter tiefe Löcher, und das Feuer glühte die stählerne Bewehrung aus, Konstruktionen aus Spannbeton verlieren dann zudem ihre Festigkeit. Zu den vorbeugenden baulichen Maßnahmen gehört es denn auch, die Geometrie des Tunnelquerschnitts so auszubilden, dass den Flammen und heißen Brandgasen ausgesetzte Elemente nicht zugleich auch statisch stark belastet sind. Brandgase steigen auf, daher trennen Zwischendecken Zuluft- und Abluftkanäle oberhalb des Verkehrsraums. Spezielle Verkleidungen schützen die Tunnelschale insbesondere in Straßentunneln und unterirdischen Haltestellen von U-, S- und Stadtbahnen. Neuerdings werden dafür Lochbleche erprobt, die mit einem feuerdämmenden Material beschichtet sind, das bei Hitze aufschäumt und dahinter liegende Flächen schützt. Vorteil bei normalem Betrieb: Das luftdurchlässige Lochraster verhindert Schimmelbildung.

Zu den vorbeugenden Maßnahmen gehört es auch, Hydranten beziehungsweise Löschwasserleitungen optimal zu positionieren, Notrufnischen mit Telefon, Feuermelder und Feuerlöscher einzurichten, Fluchtwege und Pannenbuchten anzulegen. Die Planung basiert auf Regelwerken, nutzt aber auch Computersimulationen der Feuer- und Brandgasentwicklung.

Geht eine Anlage in Betrieb, beinhaltet Brandschutz in erster Linie die Belüftung; neuere Systeme sind stets auf extreme Verkehrssituationen mit hoher Fahrzeugdichte und vor allem auch auf Fahrzeugbrände ausgelegt. Die Steuerung der Ventilatoren erfolgt manuell oder automatisch und wird durch Brandmeldesysteme ausgelöst, deren Sensoren Rauch oder Sichttrübung, hohe Temperaturen oder die Kohlenmonoxid-Konzentrationen messen. Mögliche Gegenmaßnahmen sind vor allem die Belüftung von Fluchtstollen und Aufenthaltsräumen sowie das Absaugen heißer Gase vom Brandherd.

Vom Leitstand der Tunnelzentrale aus lassen sich diese Maßnahmen der jeweiligen, durch Fernsehkameras einsehbaren Situation anpassen; allerdings reagieren Menschen langsamer als automatische Systeme und können die Lage falsch einschätzen. Maschinelle Steuerungen hingegen werden auf bestimmte Szenarien voreingestellt, handeln dann optimal, ansonsten aber unflexibler als Menschen. Erst die Kombination beider Konzepte ermöglicht die beste Unterstützung von Flucht- und Rettungsaktionen: Das automatische System löst schnell geeignete Maßnahmen aus, das Personal kann eingreifen.

Die Palette des Brandschutzes im Anlagenbetrieb umfasst zudem die Videoüberwachung des Tunnels, Lautsprecher und Lichtzeichen, Alarmpläne, aber auch auf den Brandfall abgestimmte Betriebsanweisungen für Bahnpersonal, Handfeuerlöscher auf Triebfahrzeugen und in den Personenwagen der Eisenbahnen wie auch in den Fahrerkabinen von Lkws und Bussen; auch die Verwendung schwer entflammbarer Materialien im Pkw dient der Sicherheit im Betrieb.

Im Brandfall kommen Berufs- und freiwillige Feuerwehr zum Einsatz; sie benötigen zum Beispiel schweres Atemgerät für länger dauernde Einsätze. Zudem müssen Alarm- und Einsatzkonzepte auf die jeweiligen Verhältnisse vor Ort abgestimmt sein. Auch das reibungslose Zusammenspiel von Tunnelbetreibern, Verkehrsbetrieben, Rettungs- und Notfalldiensten ist zu trainieren.

Dass all diese Maßnahmen eine Katastrophe nicht sicher ausschließen können, haben die eingangs genannten Ereignisse erschreckend deutlich gezeigt. Dort kamen wohl mehrere Faktoren zusammen: organisatorische Mängel und menschliches Fehlverhalten, eine nicht optimale Lüftungssteuerung und ein vierzig Jahre altes Tunneldesign. Ein Nullrisiko kann es aber nicht geben, so wenig ein Deich gegen die größtmögliche Sturmflut realisierbar wäre.

Eine häufige Kritik unterstellt längeren Tunneln mit Gegenverkehr ein erhebliches Gefahrenpotenzial. Zweifelsohne wären zwei parallele Röhren, jeweils mit Richtungsverkehr, sehr viel sicherer. Leider kostet der Bau einer 10 oder 15 Kilometer langen Einzelröhre bei hoher Gebirgsüberdeckung schon etliche hundert Millionen Mark. Bei einem relativ geringen zu erwartenden Verkehrsaufkommen rechnet sich der Aufwand für eine zweite Röhre schlicht nicht, zumal schon die erste Unfallrisiken mindert: Es darf nicht vergessen werden, dass sie die Alternative zum freien Verkehr beispielsweise auf steilen, engkurvigen Passstraßen darstellt. In den Alpen haben die Planer deshalb in vielen Fällen zwar den Bau einer zweiten Röhre von vornherein vorgesehen, die erforderlichen finanziellen Mittel aber lieber zum Bau weiterer Tunnel andernorts verwendet. Inwieweit dadurch der Transitverkehr insgesamt gewachsen ist und somit der unfallmindernde Effekt teilweise wieder kompensiert wurde, müssten Forschungsstudien ermitteln. Natürlich wird das Rettungskonzept in Einröhren-Tunneln deutlich verbessert, wenn ein parallel geführter Entlüftungsstollen zur Flucht genutzt werden kann, wie etwa beim Gotthard-Straßentunnel in der Schweiz.

Wie in so vielen Bereichen hemmen uneinheitliche Regelungen in der Europäischen Union Verbesserungen. Zur Zeit gibt es in den verschiedenen Ländern beispielsweise unterschiedliche Vorgaben für den Abstand der Fluchtausgänge, die Leistung der Ventilatoren, die Beleuchtungsdichte und die maximalen Steigungen. Letztlich sind Tunnel aber nur Teile des gesamten Verkehrsnetzes. Fährt ein defekter Lkw mit leicht entflammbarer Ladung ein, ignoriert ein Raser das Überholverbot, so beginnt ein Spiel um Leben und Tod. Derartige Missstände und Fehlverhaltensweisen lassen sich nur im Rahmen integrierter Verkehrskonzepte beseitigen.


Regeln, die Leben retten können



Bei Fahrt durch den Tunnel


Licht einschalten und Sonnenbrille abnehmen – Sicherheitsabstand einhalten – Geschwindigkeitsbeschränkung beachten – mit erhöhter Aufmerksamkeit fahren – in Röhren mit Gegenverkehr in keinem Fall überholen und weit rechts fahren – Radio einschalten

Bei eigener Panne


scharf rechts ranfahren – unbedingt vorhandenen Standstreifen nutzen, sonst auf Gehweg und möglichst in Pannenbucht anhalten – Fahrzeug sichern (Warnblinkanlage, Warndreieck) – unverzüglich von Notrufnische aus (oder mit Handy) Tunnelzentrale benachrichtigen

Bei Staubildung im Tunnel


seitlich anhalten – Abstand – halten sofort Motor abstellen – nicht aussteigen – Radio einschalten – und auf Lautsprecherdurchsagen achten – in keinem Fall wenden nicht rückwärts fahren

Bei Fahrzeugbrand im Tunnel


seitlich anhalten – Abstand zum Vordermann halten – sofort Motor abstellen – sofort aussteigen – Fahrzeug nicht abschließen – am Stauende Warnblinkanlage einschalten – sofort entgegen der Rauchbewegung flüchten – besonders gekennzeichnete Notausgänge nutzen – in keinem Fall wenden – nicht rückwärts fahren

Katastrophen in der Röhre


Der Tunnel war mit Pannenbuchten alle 300 Meter ausgerüstet und mit 18 Sicherheitsräumen im Abstand von jeweils 600 Metern. Diese Sicherheitsräume wurden mit Frischluft versorgt und waren für einen Feuerwiderstand von etwa zwei Stunden ausgelegt. Seit 1965 hatten sich 17 Lkw-Brände im Mont-Blanc-Tunnel ereignet. Davon erforderten fünf Brände einen Feuerwehreinsatz. In vier dieser Fälle war Motorüberhitzung als Brandursache ermittelt worden. In keinem Fall war es zu einem Feuerübersprung auf benachbarte Fahrzeuge gekommen. Am 24. März 1999 geriet ein mit neun Tonnen Margarine und zwölf Tonnen Mehl beladener Kühltransporter von Frankreich kommend im Tunnel in Brand. In kurzer Zeit hatte sich eine Feuersbrunst ent-wickelt, die insgesamt 23 Lkws und 10 Pkws erfasste. Der Brand dauerte 53 Stunden. Von den 39 Toten wurden 29 in den Fahrzeugen vorgefunden, 9 im Tunnel beziehungsweise in den nicht ausreichend Schutz gewährenden Sicherheitsräumen. Ein Feuerwehrmann starb in Folge des Rettungseinsatzes.

Wie alle längeren Tunnel durch die Alpen wird auch der 11,6 Kilometer lange Mont-Blanc-Tunnel im Gegenverkehr befahren. Sein Lüftungs- und Sicherheitskonzept entsprach zum Zeitpunkt des Unfalls im Wesentlichen dem Stand seiner Inbetriebnahme von 1965.

Nur etwa zwei Monate später, am 29. Mai 1999, ereignete sich ein weiterer verheerender Brandunfall im 6400 Meter langen Tauerntunnel. Auch dieser wird im Gegenverkehr betrieben. Er ist mit Notrufnischen alle 212 Meter, Feuerlöschnischen nach jeweils 106 Metern und Abstellnischen alle 750 Meter ausgestattet. Im Jahr 1998 passierten ihn täglich – beide Fahrtrichtungen zusammengerechnet – durchschnittlich 15160 Fahrzeuge, davon 2850 Lkws. Eine Baustelle mit Ampelregelung hatte einen Stau zur Folge, ein Lkw fuhr mit hoher Geschwindigkeit darauf auf und schob vier Pkws unter einen vor ihnen stehenden Lkw. Dabei starben bereits acht Menschen, und die Pkws gingen in Flammen auf. Löschversuche blieben ohne Erfolg, der Brand griff auf einen unter anderem mit Lack-Spraydosen beladenen Lkw über. Die Bilanz: 12 Tote, 49 Verletzte und 40 ausgebrannte Fahrzeuge.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 2000, Seite 89
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Kennen Sie schon …

Spektrum - Die Woche – Der Knuddelfaktor

Oh wie süß! In dieser Woche geht es um niedliche Tierbabys und Kinder, dank derer sich nicht nur entspannen, sondern auch manipulieren lässt. Außerdem: ein neuartiges kosmisches Hintergrundrauschen und die Alltagsprobleme von Mars-Helikopter Ingenuity (€).

Spektrum - Die Woche – Silvesterausgabe 2020

Ein neues Coronavirus ging um die Welt, SpaceX schickte erstmals Menschen ins All und Forscher überwinterten am Nordpol: Wir blicken zurück auf ein außergewöhnliches Wissenschaftsjahr.

Spektrum - Die Woche – Genügt die Sonne für den Knochenschutz?

Vitamin D ist eines der beliebtesten Nahrungsergänzungsmittel – doch braucht der Körper es wirklich zusätzlich? Die Antwort lesen Sie in dieser Ausgabe. Außerdem: Salzseen auf dem Mars und Verteilung von künftigen Covid-19-Impfstoffen.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.