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Meeresbiologie: Bakterium bleicht Korallen aus

Nach verbreiteter Ansicht ist die globale Erwärmung schuld am Korallensterben. Untersuchungen im Mittelmeer zufolge könnte die Ursache in Wahrheit aber eine Infektionskrankheit sein, deren Erreger in der Hitze besonders aktiv ist und von einem Wurm übertragen wird.


Im flachen, lichtdurchfluteten Wasser der Korallenriffe leben viele der farbenprächtigsten und bizarrsten Organismen unseres Planeten. Wie ein Gürtel umspannen die küstennahen Korallengärten den Erdball beidseits des Äquators, wo die Sonne das Meer das ganze Jahr hindurch so warm hält, dass tropische Tiere und Pflanzen darin gedeihen können. Aber auch in gemäßigteren Breiten gibt es vereinzelt solche oberflächennahen Korallenriffe. Voraussetzung sind Wassertemperaturen, die ganzjährig in einem Bereich zwischen etwa 18 und 30 Grad Celsius liegen.

Genau diese Temperaturabhängigkeit wurde den empfindlichen Ökosystemen nach verbreiteter Ansicht in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr zum Verhängnis. Beobachtungen zufolge sterben die Riff bildenden Korallen, die das Fundament der artenreichen Unterwasserwelt schaffen, bei Temperaturen über 30 Grad Celsius ab. Wo sich einst Hunderte von bunten Fischen, Seesternen, Krebsen, Schnecken und Seeigeln tummelten, bleiben nur kahle, leblose Kalkskelette zurück.

Gleichgewicht aus Geben und Nehmen

Seit 1900 hat sich das Oberflächenwasser der Ozeane im Zuge des Klimawandels weltweit um durchschnittlich ein Grad Celsius erwärmt. Modellrechnungen zufolge soll die Temperatur bis zum Jahr 2100 um weitere 1,7 bis 4 Grad ansteigen. Die meisten Korallenriffe würden dies wohl nicht überleben, ein Großteil wäre schon Mitte des Jahrhunderts abgestorben. Doch nun wecken israelische Forscher Hoffnung, das Desaster vermeiden zu können. Sie haben Hinweise darauf gefunden, dass nicht die hohen Temperaturen selbst die zerstörerische Wirkung ausüben, sondern Bakterien, die in der Wärme besonders infektiös sind.

Das verästelte weiße Kalkgestein, das auf exotischen Märkten als Koralle zum Kauf angeboten wird, ist letztlich nichts weiter als das leblose Ausscheidungsprodukt Riff bildender Polypen. Es dient den Tieren als Untergrund, auf dem sie wachsen und sich vermehren. Korallenstöcke sind also Kolonien mit Tausenden von Bewohnern.

Eine Besonderheit aller Riffe bildenden Polypen in den Tropen ist, dass sie eine Symbiose mit Photosynthese treibenden Algen eingehen. Diese Zooxanthellen verleihen dem Korallenstock seine typische gelblich grüne Färbung. Sie leben im Innern der Hautzellen des Polypen, wo sie vor Fressfeinden geschützt sind und von ihrem Wirt mit Stickstoff, Phosphor und anderen Mineralstoffen versorgt werden. Im Gegenzug geben sie Sauerstoff und Kohlenhydrate an die Polypen ab. Da die Wirtstiere daraus einen Großteil ihres Energiebedarfs decken, gedeihen sie besser, was auch das Wachstum des Korallengerüstes erheblich beschleunigt.

Erwiesen ist, dass das empfindliche Gleichgewicht aus Geben und Nehmen bei Temperaturen über 30 Grad Celsius durcheinander gerät. Die Polypen stoßen dann die Algen ab, wodurch der Korallenstock seine Farbe verliert. Einige Zeit kann er auch ohne seine pflanzlichen Ernährer überleben. Sinkt die Wassertemperatur rechtzeitig wieder, siedeln sich erneut Zooxanthellen an: Das Korallenriff erholt sich wieder. Wenn die Algen aber länger fortbleiben, kann der Nährstoffmangel nicht mehr überbrückt werden, und die Polypen sterben ab.

Solange der Hitzestress als alleinige Ursache der Misere galt, schienen Maßnahmen zum Klimaschutz – vor allem eine drastische Reduktion des vom Menschen verursachten Ausstoßes an dem Treibhausgas Kohlendioxid – die einzige, wenn auch fast aussichtslose Möglichkeit zu sein, dem Korallensterben Einhalt zu gebieten. Doch Ende der 1990er Jahre entdeckten Wissenschaftler um Yossi Loya und Eugene Rosenberg von der Universität Tel Aviv, dass zumindest bei der mediterranen Steinkoralle Oculina patagonica ein Bakterium das Absterben und Ausbleichen verursacht. Wie sich zeigte, ist Vibrio Shiloi – so der Name der todbringenden Mikrobe – in warmem Wasser wesentlich infektiöser als in kälterem. Das erklärt die Beobachtung, dass sich die Bleiche bei höherer Temperatur schneller ausbreitet. Vor der Küste Israels waren in den letzten zehn Sommern regelmäßig 80 bis 90 Prozent aller Stöcke von Oculina patagonica mit dem Bakterium infiziert und blichen aus, sobald die Wassertemperatur ihr Maximum von 30 bis 31 Grad Celsius erreichte.

Doch im Winter erholten sich die Korallen wieder. In Einklang damit stellten die israelischen Forscher fest, dass sich Vibrio Shiloi nur während der Sommermonate in den Zellen der Polypen aufhält. Bei Temperaturen unter 20 Grad Celsius verschwindet das Bakterium aus den Korallen. Aber wo überwintert es?

Wurm als Winterquartier

Nun fanden die Wissenschaftler auch die Antwort auf diese Frage. Mit einem Sondenmolekül, das sich spezifisch an die Bakterien-DNA anlagert und das zum leichteren Nachweis mit einem Fluoreszenzfarbstoff gekoppelt worden war, behandelten sie Proben von Meerwasser, Sediment und Meeresorganismen aus dem Korallenriff während des Winters. Dabei entdeckten sie nur in einer Tierart hohe Konzentrationen von Vibrio Shiloi: dem marinen Feuerwurm Hermodice carunculata. Offenbar ist dies der Zufluchtsort, an dem das Bakterium die kalte Jahreszeit übersteht.

Laborversuche lieferten die Bestätigung. Dabei setzten die Wissenschaftler Feuerwürmer in ein mit Meerwasser gefülltes Becherglas und gaben Vibrio Shiloi zu. Mit Hilfe der fluoreszierenden Sonde konnten sie zeigen, dass sich nach 36 Stunden nur noch fünf Prozent der Bakterien im Meerwasser aufhielten. Alle anderen waren in den Wurm eingedrungen und schimmerten dank der angehefteten Sondenmoleküle durch seine Haut. Allerdings verharrt Vibrio Shiloi in seinem lebenden Winterquartier in einem Ruhezustand und vermehrt sich nicht. Wenn im Frühjahr die Temperaturen steigen und der Feuerwurm beginnt, die Korallenstöcke abzuweiden, überträgt er die Erreger wieder auf die Polypen.

Auch dafür lieferten die israelischen Forscher den Beweis. Sie brachten infizierte Würmer in Aquarien mit insgesamt sechs gesunden Korallenstöcken. Alle waren nach spätestens sechs Wochen völlig ausgebleicht. In Vergleichsuntersuchungen mit Feuerwürmern, die entweder gar nicht oder mit einem anderen Bakterium infiziert waren, blieben in derselben Zeit von sieben Korallenstöcken sechs völlig gesund.

Dennoch überzeugen die Untersuchungen keineswegs alle Experten. Zum Beispiel vertritt Ove Hoegh-Guldberg, Leiter des Zentrums für marine Studien an der Universität von Queensland in Brisbane (Australien), die Meinung, dass sich die Korallenbleiche zu schnell ausbreitet, als dass es sich um eine von einem Zwischenwirt übertragene Infektionskrankheit handeln könnte. Doch die israelischen Wissenschaftler glauben, diesen Einwand entkräften zu können. Ihrer Ansicht nach ließe sich die rasche Ausbreitung dadurch erklären, dass Zoo­xanthellen, die von kranken Polypen abgestoßen wurden und mit Bakterien behaftet sind, von gesunden Korallen aufgenommen werden.

Mit dem marinen Feuerwurm ist jedenfalls zum ersten Mal ein lebender Überträger einer Korallenkrankheit entdeckt worden. Das eröffnet die Möglichkeit, gezielt gegen das Ausbleichen der Riffe vorzugehen. Das israelische Forscherteam ist nach eigenem Bekunden auch schon dabei, Methoden zu entwickeln, welche die Verbreitung des Erregers verhindern sollen. Über Einzelheiten macht es allerdings keine Angaben. Die Ausrottung des mediterranen Feuerwurms dürfte jedenfalls kaum ein adäquates Mittel sein.

Ungeklärt ist auch noch, inwieweit sich die Ergebnisse auf andere Regionen übertragen lassen. Vibrio shiloi und der Feuerwurm sind wohl nur im Mittelmeer bei Oculina patagonica für die Bleiche verantwortlich. Loya und Rosenberg vermuten allerdings, dass ein Großteil der Korallenarten in anderen Riffs weltweit durch ähnliche Erreger und Überträger infiziert wird. So ist erst kürzlich im Roten Meer das Bakterium Vibrio coralliilyticus als Verursacher der dortigen Korallenbleiche entlarvt worden, und auch vor Brasilien haben Forscher krankheitserregende Vibrio-Stämme identifiziert.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 2003, Seite 16
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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