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Behörden und Internet: Behördengang im Internet

In Zukunft werden immer mehr Behördengänge am heimischen Computer starten.


Der 3. August 1999 war ein denkwürdiger Tag für deutsche Amtsstuben: Um halb zwölf Uhr mittags empfing das Finanzgericht Hamburg die bundesweit erste Klage per E-Mail. Was hierzulande für Aufsehen sorgte, ist in den Vereinigten Staaten teilweise schon länger Realität: "Electronic Government" heißt das Schlagwort. Beispielsweise belohnt das Finanzamt in New York Bürger, die ihre Steuererklärung via Internet auf einem eigens konzipierten Bildschirm-Formular abgeben, mit Bearbeitungszeiten, die um die Hälfte kürzer sind. Der US-Fiskus hat sich eine Menge vorgenommen: Eigenen Prognosen zufolge wird dieses Jahr jede vierte Steuererklärung online eingereicht. Bis 2007 soll die Quote auf achtzig Prozent steigen. Auch die Australier können ihre Zahlen sehen lassen: 75 Prozent aller Steuererklärungen werden dort jedes Jahr elektronisch übermittelt.

Imagine the future


Von solchen Quoten sind die Europäer noch weit entfernt. Inzwischen haben aber auch Politiker der EU erkannt, dass mit Hilfe des Internets die Verwaltung bürgernäher und effizienter werden kann. Dabei sollen nicht nur die Finanzämter Dokumente elektronisch austauschen. Die Europäische Union setzt auf das Konzept der "Digitalen Stadt". Verstaubte Rathäuser, Ämter und Kommunen sollen sich mit Hilfe neuer Kommunikationstechniken in virtuelle Dienstleistungszentren verwandeln, die rund um die Uhr erreichbar sind. Der Vorteil für die Bürger: Sie können den lästigen Papierkram bequem vom heimischen Sofa aus erledigen. Sie müssen sich nur an ihren PC setzen und in den kommunalen Web-Server einloggen. So wird, was früher Wochen gedauert hat – etwa Anträge, Formulare oder Vordrucke für Pass, Ummeldung oder Steuererklärung abholen, ausfüllen und abgeben – in Zukunft in Sekundenschnelle vom Rechner geladen, dann bearbeitet und per Mausklick wieder ans zuständige Amt zurückgeschickt. Selbst die Sprechstunde des Bürgermeisters soll als Live-Chat via Internet stattfinden.

Nun fällt es Großstädten leichter, ihre Dienstleistungen auf elektronischem Wege anzubieten. Erfahrungsgemäß verfügen sie über die entsprechenden finanziellen Mittel und die notwendigen Kontakte zur ortsansässigen Wirtschaft. Wie können aber kleinere Städte oder ärmere Gemeinden von dem Internetboom profitieren? Das soll das EU-Projekt Imagine (Integrated Multimedia Applications Generating Innovative Networks in European Digital Towns) aufzeigen. Ein Konsortium aus Städten, Forschungsinstituten und zahlreichen Firmen – darunter auch Microsoft, France Telecom und Siemens – will virtuelle Rathäuser, lokale elektronische Stellenmärkte, Telematik-Anwendungen und -Dienste sowie digitale Informationsangebote schaffen.

Derzeit testen vier europäische Gemeinden als Pilotanwender das System: Casale Monferrato in Italien, Parthenay in Frankreich und die beiden deutschen Orte Torgau und Weinstadt. "Imagine orientiert sich an den verschiedenen Lebenssituationen", erläutert Siemens-Projektmanager Volker Jacumeit. Wie das in der Praxis aussieht, zeigen die Testseiten von Weinstadt. Mit nur drei Mausklicks gelangen die User von der Homepage über die Unterpunkte "Digitales Rathaus" zu den Dingen, die sie interessieren: "Ich will bauen", "Ich will heiraten" oder "Trauerfall" – unter diesen Links bekommen sie direkten Kontakt zur entsprechenden Behörde und haben, je nach Gesetzeslage, auch die Möglichkeit, online ihre Daten zu übermitteln.

Imagine ist kein Einzelfall. Längst suchen Städte, Universitäten und Unternehmen, aber auch Regionen nach dem besten Entwurf für die "Digital City". Um den Interessenten einen finanziellen Anreiz zu geben, hat die Bundesregierung für das Pilotprojekt Media@Komm 50 Millionen Mark bereitgestellt. Mit diesen Mitteln soll unter anderem in Esslingen, Nürnberg und Bremen "das kommunale Leben ins digitale Netz verlagert werden". Das Projekt könnte sich lohnen, denn die Gemeinden haben die Möglichkeit, viel Geld zu sparen. So haben die Autoren des Reports "Government on the Web" – erstellt vom britischen Rechnungshof und der London School of Economics – folgende Rechnung vorgelegt: Würden beispielsweise nur zwei Prozent der 160 Millionen Anrufe, die britische Sozialämter pro Jahr erhalten, durch Informationen im Netz überflüssig, lägen die Einsparungen für die öffentliche Hand bei über zehn Millionen Euro.

Noch ist es allerdings nicht so weit. Denn um die Vision der digitalen Stadt Wirklichkeit werden zu lassen, müssen die Bürger die technischen Neuerungen akzeptieren und rechtliche Aspekte, insbesondere zur elektronischen Unterschrift, geklärt sein.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 2000, Seite 93
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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