Direkt zum Inhalt

Beiträge moderner Chip-Fertigung zur Reinraumtechnik - das Projekt FAW


Extreme Luftreinheit ist bei der Produktion mikroelektronischer Bauteile unerläßlich. Mit der Komplexität der Chips wächst aber auch der technische und finanzielle Aufwand für Vorkehrungen gegen Kontamination. Infolgedessen fördert die Mikroelektronik-Industrie in hohem Maße Fortschritte in der Reinraumtechnik, wovon andere Branchen wie die Pharma- und die Lebensmittelindustrie sowie die Medizin und damit das gesamte Gesundheitswesen profitieren.

Gebäude zur Fabrikation leistungsfähiger Chips beinhalten heute mitunter schon Volumen von mehr als 20000 Kubikmetern der Reinraumklasse 1; darum herum ist zudem das Sechs- bis Zehnfache an umbautem Raum erforderlich, um die technischen und sonstigen Einrichtungen für den Reinraum- und den Fertigungsbetrieb aufzunehmen. Kleinere Reinraumgebäude sind etwa 100 Meter lang, 50 Meter breit und 20 Meter hoch; für die Errichtung einer solchen Anlage zur Produktion moderner Speicherchips sind mehrere hundert Millionen Mark zu veranschlagen.

Die Bau- und Betriebskosten steigen freilich unentwegt aufgrund immer höherer Anforderungen an Luftreinheit, Zuverlässigkeit und Sicherheit der Anlagen, Flexibilität der Produktionslinien und Umweltschutz. Dementsprechend wird die Reinraumtechnik auch für große, international tätige Firmen mehr und mehr zu einem bedeutenden Kostenfaktor. Innovative Aktivitäten wie die Herstellung begrenzter Stückzahlen von anwendungsspezifischen integrierten Schaltkreisen (ASICs) oder künftig die Massenproduktion von 64-Megabyte-Speicherchips erfordern deshalb auch auf diesem Gebiet neue und womöglich kostensparende Lösungen. Unzureichende Investitionen können durchaus die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen und sogar den Fortschritt der Mikroelektronik hemmen.

Somit öffnet sich ein weites Feld für Forschung und Entwicklung in der Reinraumtechnik. Deutsche Unternehmen sind daran engagiert beteiligt, insbesondere im Rahmen des europäischen Forschungsprogramms JESSI (Joint European Submicron Silicon).

Ziel dieser 1989 gestarteten Initiative ist es, daß die europäische Mikroelektronik-Industrie bis Ende 1996 Anschluß an den Weltmarkt findet und mit den japanischen und amerikanischen Wettbewerbern in den Halbleitertechnologien, Fertigungstechniken und Produkten zumindest gleichzieht. Das Projekt wird von Firmen, Forschungsinstituten und Hochschulen gemeinsam durchgeführt und von der Industrie, der Europäischen Union sowie nationalen Regierungen finanziell getragen (zum Ergebnis der Startphase siehe Spektrum der Wissenschaft, Januar 1992, Seite 16).

Die Entwicklung einer flexiblen automatisierten Wafer-Produktion ist ein Teilprojekt (entsprechend mit dem Kürzel FAW versehen), wodurch manuelle Tätigkeiten, wie sie bislang die Chip-Fertigung stark prägen, erübrigt werden sollen. Dieses Vorhaben ist das erste im Rahmen von JESSI, das rein produktionsorientiert ist und sich nicht mit der Optimierung vorhandener – zumeist aus Japan oder den USA stammender – Verfahren befaßt, sondern eigene Konzepte verfolgt. Beteiligt sind etwa 35 Partner, sowohl Firmen als auch Forschunginstitute. Koordinierend wirkt die Temic (Telefunken microelectronic GmbH) in Heilbronn, ein Unternehmen der AEG und der Deutschen Aerospace im Daimler-Benz-Konzern; sie stellt zudem, wie auch die englische Firma GPS Plessey in Plymouth und die französische Matra-MHS in Nantes Produktionsstätten für realitätsnahe Tests zur Verfügung.

In allen drei Fabriken werden anwendungsspezifische Chips gefertigt, darum müssen die Anlagen sehr flexibel sein: Einige hundert Typen erfordern unterschiedliche Technologien und Prozesse bei sich unentwegt ändernden Stückzahlen; dennoch sollen die Durchlaufzeiten möglichst kurz und die Produktionskapazitäten optimal ausgelastet sein.

Außerdem sollen solche Anlagen rasch und einfach auf neue Entwicklungen und Anforderungen eingestellt werden können; Erweiterungen oder Modifikationen sind somit von vornherein einzuplanen. Gerade das läßt sich in konventionellen Super-Reinräumen nur schwer durchführen, ohne den laufenden Betrieb durch Installationsarbeiten zu stören.

Für die Lösung der teils gegensätzlichen Aufgaben sucht man im Rahmen von FAW nach neuen Ansätzen. Die deutschen Partner entwickeln unter anderem die SMIF-Technik (standard mechanical interface; der Fachbegriff bezeichnet eine konsequent automatisierte Handhabung der Halbleiterscheiben) sowie Konzepte für lokale Reinräume und für die Handhabungsautomatisierung.


Moderne Reinraumtechnik

Als in den sechziger Jahren die ersten großen Reinräume für die Luft- und Raumfahrttechnik gebaut wurden, standen Eigenschaften der Umgebungsluft im Vordergrund; die Maßnahmen konzentrierten sich auf die Reduzierung der Schwebstoffe durch Filter, die Strömungsführung sowie das Einhalten einer bestimmten Temperatur und Feuchte. Dies blieb auch so, als die junge Halbleiter-Fertigung aus ihren Labors in fabrikähnliche Reinräume umzog.

Anfang der achtziger Jahre aber zeigte die anlaufende Produktion von Speicherchips mit einer Kapazität von 64 Kilobyte, daß es nicht ausreichte, nur diese Parameter zu berücksichtigen. Manche Strukturabmessungen der integrierten Schaltkreise betrugen nur noch wenige Mikrometer (tausendstel Millimeter); Kontaminationen nicht nur durch Aerosole, sondern auch durch Prozeßgase und Chemikalien sowie selbst Vibrationen und Erschütterungen begannen zu stören.

Weltweit etablierte sich eine neue Ingenieurwissenschaft, die sich umfassend mit der Kontaminationskontrolle befaßt. Wie weitgespannt das Themenfeld ist, verdeutlicht ein Standardwerk ("Handbook of Contamination Control in Microelectronics" von D.L. Tollivier) aus dem Jahre 1988, in dem zwölf Aufgabenbereiche mit insgesamt 40 Aspekten aufgeführt sind (Bild 2).

So ist nicht verwunderlich, daß die FAW als aktuelle Entwicklung der europäischen Mikroelektronik-Industrie viele Bereiche der Reinraumtechnik beinhaltet. Das gilt insbesondere für die SMIF-Technik, für lokale Reinräume, die Naßchemie und die Automatisierung. In der kürzlich von der Temic in Heilbronn offiziell eröffneten Pilotlinie für die Produktion von Wafern mit 150 Millimetern Durchmesser werden diese Konzepte nun unter produktionsnahen Bedingungen erprobt.

In der bisherigen konventionellen Wafer-Produktion bilden üblicherweise 25 dünne Siliciumscheiben ein Los und durchlaufen gemeinsam eine vorbestimmte Abfolge von Arbeitsgängen, bis auf jedem Wafer eine Vielzahl gleichartiger Chips entstanden ist. An vielen Schritten sind noch Menschen beteiligt, was sich nun einmal mit einer ultrareinen Umgebung nicht gut verträgt.

Zur Handhabung steckt das Los in einem Kunststoffmagazin, das beim Transport zwischen den Fertigungsgeräten und für zeitweilige Zwischenlagerung in einem aufklappbaren Behälter – ebenfalls aus Kunststoff – verwahrt wird.

Dieser muß vor jedem neuen Fertigungsschritt von einem Mitarbeiter geöffnet werden, der das Magazin per Hand herausnimmt und in die jeweilige Anlage einführt; unter Umständen hantiert er dabei auch einzelne Scheiben. Die Gefahr der Verunreinigung und Beschädigung ist mithin groß. Zudem muß man dem Bedienpersonal gemäß den stetig verschärften Schutzvorschriften eine hohe Belastung zumuten: In Reinräumen der Klasse 1 tragen sie partikeldichte Anzüge und spezielle Unterwäsche, einen Helm, der auch den Atem abfängt und filtriert, sowie Latex-Handschuhe; darin sehen sie Astronauten durchaus ähnlich. Der Raum selbst wird fortwährend vollflächig mit reinster, immer wieder neu konditionierter Luft laminar mit einer Geschwindigkeit von 0,40 Metern pro Sekunde durchströmt.

Im Grunde ist dies ein unverhältnismäßig hoher Aufwand, denn nur in jenen – gemessen am gesamten Reinraum – sehr kleinen Bereichen, in denen sich die Magazine befinden und Fertigungsprozesse stattfinden, müßten die extremen Bedingungen eingehalten werden.

Die SMIF-Technik und ihre Implementierung

Es lag deshalb nahe, dort Mensch und Halbleitersubstrat konsequent zu trennen – in diesem Falle trägt Automatisierung entschieden zur Humanisierung der Arbeitswelt bei. Das gelang mit der neuen SMIF-Technik: Die Wafer werden zwar in den üblichen Kassetten, diese aber in speziellen Behältern – den SMIF-Boxen – aufbewahrt und transportiert, die partikeldicht verschlossen sind. Das Öffnen der Boxen, das Beladen der Fertigungsgeräte, die Entnahme der bearbeiteten Siliciumscheiben, das Verstauen und das Schließen der Boxen – all dies erledigen automatische Vorrichtungen (Bild 1).

Sowohl die Transportbehälter als auch die Fertigungsgeräte sind lokale Reinräume höchster Güte. Die Wafer verlassen also niemals die Reinraumklasse 1, bevor nicht alle Bearbeitungsschritte vollzogen und Schutzschichten aufgebracht sind. Die Spezialbehälter können zwischen den einzelnen Stationen sowohl automatisch als auch problemlos manuell transportiert werden. Schließlich entnimmt man ihnen unter Bedingungen der Reinraumklasse 100 die Wafer und zersägt sie in die vorgefertigten Chips.

Obwohl dieser Ablauf einfach zu sein scheint, ist es schwierig und aufwendig, ihn umzusetzen. Die meisten Halbleiter-Fertigungsmaschinen sind nicht darauf eingerichtet, so daß SMIF-Komponenten erst angebaut werden müssen. Weil manche Gerätehersteller eine solche Nachrüstung aber nicht bieten, ist man oft darauf angewiesen, Automatiken und Roboter anderer Lieferanten erst zu adaptieren. Deshalb haben die meisten Mikroelektronik-Unternehmen diese Technik bislang nur angetestet. Im Rahmen des FAW-Projekts sollen Theorie und Praxis gründlich überprüft und Pilotanlagen installiert werden.

Zusammen mit überwiegend deutschen Geräteherstellern hat die Temic einen Anforderungskatalog für die 150-Millimeter-Wafer-Produktion in Heilbronn verfaßt sowie einige Komponenten entwickelt und gebaut. Zum Teil wurden diese Arbeiten vom Bundesministerium für Forschung und Technologie teilfinanziert.

Unter anderem war die SMIF-Box neu zu konzipieren, weil Roboter bisherige Versionen nur schwer handhaben konnten; so ist sie nun mit einem besonders einfachen Verriegelungs- und Öffnungsmechanismus ausgestattet. Zudem ist jetzt das Innere leicht zu reinigen, weil die Einbauten zur Sicherung der Wafer auf ein Minimum reduziert wurden.

Einstweilen müssen die Transportbehälter mitunter zwischengelagert werden. In Heilbronn verarbeitet nämlich der weltweit erste Diffusionsofen mit vollständig automatischer Handhabung bis zu 150 Wafer gleichzeitig (Bilder 1 und 3). In solchen Öfen läßt man bei hohen Temperaturen Fremdatome wie Bor in das Silicium eindiffundieren.

Während innerhalb der Ofenzelle Reinraumklasse 1 herrscht, genügen im Arbeitsbereich des Bedienpersonals, durch den die Boxen transportiert werden, weniger rigide Bedingungen als Klasse 100, so daß dort die Strömungsgeschwindigkeit und die Reinheit der Luft deutlich verringert werden können. Zudem muß das Personal keine Kapselanzüge tragen, sondern lediglich leichte Schutzkleidung und Mundmasken gegen grobe Verunreinigungen wie Haare oder Tröpfchen der Atemluft. Später sollen die Lagersysteme durch einen automatischen Einschienentransport mit anderen Bearbeitungsstationen verbunden werden. Auch dafür sind alle Geräte und die SMIF-Boxen vorbereitet.

Analog übertragen Roboter und Automaten die Wafer in spezielle Teflon-Kassetten für die naßchemische Bearbeitung, tauchen sie damit in vorgegebener Reihen- und Zeitfolge in Becken mit Säure- und Laugenmischungen, spülen die Wafer mit reinstem entionisiertem Wasser, trocknen sie und bringen sie zurück in die Transportbehälter. Bei dieser Umlagerung schieben Kämme die Siliciumscheiben aus ihren Halterungen in der SMIF-Box in die Kassetten, deren Wände perforiert sind, damit die Flüssigkeiten gut Zugang haben. Sie sind zudem mit Haken versehen, die Roboter gut greifen können.

Außer der klassischen Beckenanordnung für die Naßchemie benutzen viele Halbleiter-Hersteller Sprühprozessoren zum Reinigen, Entlacken und Ätzen (Bild 4). Auch dabei werden bis zu 150 Wafer gleichzeitig bearbeitet. Für einige Prozeßschritte verwendet man ebenfalls Teflon-Kassetten. Zum Trocknen werden mehrere davon in eine Zentrifuge gestellt; um die gesamte Beladung auszuwuchten, müssen die Roboter mitunter einzelne Siliciumscheiben von der einen in eine andere Kassette stecken.

Um das Reinheitsgebot noch strikter zu befolgen, wurde im FAW-Projekt eine Naßbank konstruiert, die in eine SMIF-Lösung integriert werden kann. Kassetten, die eventuell doch eine Kontaminationsquelle sein könnten, etwa weil sich Partikel oder Chemikalienreste darin ablagern, braucht man damit nicht mehr. Vielmehr transportieren Roboter mit speziellen Greifvorrichtungen die Wafer direkt von Becken zu Becken; und statt diese trockenzuschleudern, wird der Marangoni-Effekt genutzt: Zieht man die Wafer langsam aus dem Wasserbad und hält über dem Flüssigkeitsspiegel eine hohe Konzentration an Isopropanol-Dampf aufrecht, löst sich dieser in dem Film, der sich aufgrund der Oberflächenspannung des Wassers bildet, und löst dort Strömungen aus, die Verunreinigungen wegspülen; zum anderen verdampft Restwasser in dieser Atmosphäre sehr schnell. (Die Regel, nach der dies funktioniert, beruht auf Experimenten des Italieners C.G.M. Marangoni, des Belgiers Gustav von der Mennsbrughe und des Deutschen Georg Hermann Quincke.) Das System wird derzeit in die Heilbronner Anlage eingebaut und soll baldmöglichst in Betrieb gehen. Auch in diesem Falle kann die SMIF-Box unter Bedingungen der Reinraumklasse 100 entladen werden (Bild 5): Die Wafer sind durch Beschichtungen gegen weitere Verunreinigungen geschützt. Schließlich zerteilt man sie in die einzelnen Chips.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1994, Seite 108
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Kennen Sie schon …

Spektrum - Die Woche – Verschlafene Jugendliche

Bis mittags im Bett lungern und abends nicht müde werden: Jugendliche scheinen eine andere zirkadiane Rhythmik zu haben als Kinder und Erwachsene. Aber warum geht die innere Uhr während der Pubertät so stark nach? Außerdem in dieser »Woche«: das Pfadintegral als Konzept aller Möglichkeiten.

Spektrum - Die Woche – Der Genetiker, der den Neandertaler in uns fand

Festzeit für die Wissenschaft: Die Nobelpreise in Medizin, Physik und Chemie wurden verliehen. Lesen Sie ab sofort das Wesentliche zu den ausgezeichneten Forscherinnen und Forschern in »Spektrum – Die Woche«. (€)

Spektrum der Wissenschaft – Künstliche Intelligenz: Künstliche Intelligenz

Informatik: Der Siegeszug der neuronalen Netze • Lernalgorithmen: Maschinen imitieren kindlichen Verstand • Ethik: Ein Roboter muss auch Nein sagen können

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.