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Bergung und Restaurierung der 'Wasa'

Mehr als 300 Jahre ruhte das auf der Jungfernfahrt gesunkene Flaggschiff des Schweden-Königs Gustav II. Adolf auf dem Grund des Stockholmer Hafens. Nach einer aufwendigen Bergung und Restaurierung ist es nun in altem Glanz zu bewundern.

In den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts schickte sich Schwedens König Gustav II. Adolf (|1594 bis 1632, König seit 1611|) an, einer der führenden Feldherren Europas in dem 1618 ausgebrochenen Dreißigjährigen Krieg zu werden sowie seine Machtstellung am Südrand der Ostsee auszubauen. Mit Polen lag er in dynastischem Streit. Finnland, Estland, Livland und die Stadt Riga beherrschte er bereits. Mit der Eroberung von Ingermanland, des an den Finnischen Meerbusen angrenzenden Teils Rußlands, versperrte er dem Zaren den Zugang zur Ostsee, die damit praktisch schwedisches Herrschaftsgebiet wurde.

Um seine Macht zu sichern, benötigte Gustav Adolf eine starke Flotte|; so gab er im Januar 1625 den Bau von vier Schiffen in Auftrag. Das schönste – zudem mit 48 Meter Rumpflänge (61 Meter über alles) und 1400 Tonnen Wasserverdrängung eines der größten Kriegsschiffe seiner Zeit – war die nach dem schwedischen Königsgeschlecht benannte „Wasa“ (Bilder 1 und 3).

Am 10. August 1628, einem strahlenden Sommertag, versammelten sich viele Stockholmer am Hafen, um der Ausfahrt dieses neuen Regalschiffes (nach lateinisch regalis, königlich) zu dem unweit der Stadt auf einer Insel gelegenen Flottenstützpunkt beizuwohnen. Seemänner kletterten in die Takelage und setzten vier der insgesamt zehn Segel|: Fock, Vortopp, Großtopp und Besan. Kanonen feuerten Salutschüsse ab, und die Menschenmenge jubelte, als sich der farbenprächtige Stolz der schwedischen Marine in der leichten Brise langsam in Bewegung setzte.

Plötzlich aber verwandelten sich die Jubelrufe in Entsetzensschreie, als noch im Hafen ein Windstoß die „Wasa“ erfaßte. Sie holte gefährlich weit nach Backbord über, richtete sich wieder etwas auf und bekam erneut Schlagseite. Das Wasser strömte durch die offenen Geschützpforten des unteren Batteriedecks, und das Schiff sank „mit stehenden Segeln, Flaggen und allem“, wie der Reichsrat die Katastrophe in einem Brief an den König beschrieb. Der dänische Botschafter, Erik Krabbe, berichtete, daß „von mehr als fünfzig Ertrunkenen gesprochen“ werde, „unter ihnen einige Frauen und Kinder, die ihren Männern in die Schären folgen wollten“.

Drei Jahrhunderte später wurde das Wrack der „Wasa“ gefunden und gehoben; es stellt nach seiner Restaurierung nun ein Ehrenmal sowohl für ihre einstigen Erbauer als auch für das Bergungsteam dar. Das Wiederherrichten des Kriegsschiffes lohnte sich in zweierlei Hinsicht: Zum einen erbrachte die Aktion an sich schon wichtige Erkenntnisse; zum anderen können wir viel über die Erbauer der „Wasa“ erfahren, da ein Schiff nicht nur eine Welt im kleinen ist, sondern auch Zeugnis von einem größeren gesellschaftlichen Umfeld gibt.

Das Untersuchungsverfahren

Der Verlust eines der größten Kriegsschiffe Europas, noch dazu auf der Jungfernfahrt und in geschütztem Gewässer, war eine Katastrophe – eine, die einen Sündenbock erforderte. Der Kapitän, Söfring Hansson, und weitere Offiziere wurden gleich nach ihrer Rettung verhört. Der Erbauer des Schiffes, der Holländer Henrik Hybertsson, war ein Jahr zuvor gestorben, woraufhin seine Witwe und sein Bruder zusammen mit dem stellvertretenden Schiffbaumeister, Hein Jacobsen, die Verantwortung für die Fertigstellung übernommen hatten. Auch diese drei mußten sich einer Befragung unterziehen.

Waren alle Geschütze ordnungsgemäß befestigt worden? Die Hauptverantwortlichen konnten dies damals nicht beweisen; aber im Sommer 1961 fanden Schiffsarchäologen die Kanonenlafetten an ihren richtigen Plätzen, die Überreste von Sicherungstauen noch immer um ihre Achsen gezurrt. War der Stein-Ballast korrekt gestaut worden? Ein Zeuge bejahte dies und daß der entsprechende Platz im Kielraum gefüllt gewesen sei.

Zwischen den Zeilen der Protokolle lassen sich dennoch Ungereimtheiten entdecken. Der Schiffer Göran Mattson wußte zu berichten, der Vizeadmiral und der Kapitän der „Wasa“ hätten noch während der Bauphase einen Krängungsversuch durchgeführt, indem sie dreißig Mann auf dem Oberdeck hin- und herlaufen ließen. Nach der dritten Runde mußten sie den Test abbrechen, um ein Kentern der „Wasa“ zu verhindern. Offensichtlich stimmte etwas mit der Konstruktion des Kriegsschiffes nicht; dennoch ergriff man keinerlei Maßnahmen.

Aus den Aufzeichnungen geht hervor, daß der Großteil der vernommenen Zeugen annahm, der Ballastraum sei nicht groß genug gewesen, um die ungewöhnlichen Batteriedecks, die auf Wunsch des Königs doppelreihig ausgeführt wurden, auszugleichen. Überhaupt sei das gesamte Schiff, wie die Erbauer aussagten, gemäß den Vereinbarungen und genau nach den Anordnungen des Königs gebaut worden.

Gustav Adolf hatte eine starke Flotte gewünscht, um die Nachschublinien zum Kriegsschauplatz auf der anderen Seite der Ostsee zu schützen. Ferner wollte er die Häfen der reichen polnischen Handelsstädte blockieren, um von den Frachtschiffen Zölle einzutreiben. Es scheint, daß sein Ehrgeiz nach Erlaß der ursprünglichen Befehle noch gewachsen war und die „Wasa“ – in bescheidener Größe auf Kiel gelegt – am Ende als viel größeres Schiff fertiggestellt wurde.

Vielleicht war tatsächlich das Eingreifen des Königs die eigentliche Ursache für das Desaster. Zu jener Zeit arbeiteten die Schiffbauer noch ohne Konstruktionszeichnungen und ohne Stabilitätsberechnungen; sie verfuhren einfach nach Erfahrung, gestützt durch das Prinzip von Versuch und Irrtum. Als die Baumeister gemäß der neuen Anordnung das Schiff um ein zweites Batteriedeck erweiterten, ließen sie im Laderaum Platz für nicht mehr als 121 Tonnen Stein-Ballast, weniger als die Hälfte dessen, was erforderlich gewesen wäre. Hätten sie versucht, die Ballastmenge zu erhöhen, so wäre die untere Kanonenreihe gefährlich nahe an die Wasserlinie geraten.

Noch weitere Personen erwähnten des Königs persönliche Beteiligung am Bau des Schiffes; und als man den Schiffbaumeister fragte, wer oder was denn nun letztlich für die Katastrophe verantwortlich zu machen sei, erwiderte er seufzend|: „Das weiß nur Gott|| ...“ Da man mithin sowohl den weltlichen als auch den himmlischen Gebieter in die Angelegenheit verwickelt sah, gab es nur einen möglichen Ausweg|: Das Verfahren wurde eingestellt.

Erste Bergungsversuche

Es versteht sich, daß ein Schiff dieser Größe, ausgestattet mit Bronzekanonen, die ein Vermögen wert waren, sofort Gegenstand abenteuerlichster Bergungsphantasien wurde. Bereits drei Tage nach dem Unglück unternahm der Engländer Ian Bulmer, ermächtigt vom Reichsrat, einen Versuch – freilich ohne großen Erfolg. Denn wenngleich man über das erforderliche Vorgehen bei derartigen Unternehmen sehr wohl Bescheid wußte, mangelte es den Bergungsteams an Kräften, um ein solch schweres Objekt heben zu können.

Im Jahre 1663 tauchte ein Schwede namens Albrecht von Treileben am Unglücksort auf. Er hatte fünf Jahre zuvor eine Taucherglocke entwickelt, mit der sich Arbeiten unter Wasser erheblich leichter durchführen ließen. Damit machten er und seine Gehilfen sich auf, Kanonen und andere wertvolle lose Gegenstände zu bergen. Dazu zogen die Taucher Lederkleidung als Kälteschutz an und stiegen auf eine Plattform, die unter der Glocke befestigt war, wobei Kopf und Brustkorb auch nach dem Absenken in die Luftblase hineinragten. Francesco Negri, ein italienischer Priester und Forscher, hinterließ der Nachwelt einen Augenzeugenbericht zu dem Unternehmen von Treilebens:Unter Wasser konnte der Taucher sich kaum bewegen und nichts sehen. Trotzdem gelang es der Mannschaft, die Mehrzahl der 64 Kanonen der „Wasa“ zu bergen, darunter 48 24-Pfünder, von denen jeder mehr als eine Tonne wog. Der Rest des Wracks erschien damals als wenig interessant, so daß man es dem Meer überließ und das wohl bemerkenswerteste Bergungsunternehmen der Vor-Moderne einstellte.

Die Taucher hatten Mut – und viel Glück. Der begrenzte Luftvorrat verhinderte einen zu langen Aufenthalt im tiefen Wasser und bewahrte die Männer damit vor der Caisson- oder Taucherkrankheit, die häufig den Tod zur Folge hat|: Durch den hohen Druck unter Wasser löst sich mit der Zeit eine gefährliche Menge Stickstoff im Blut, der bei zu schnellem Auftauchen ausgast. (Ähnliches passiert beim Öffnen einer Mineralwasserflasche, wenn das zuvor unter Druck gelöste Kohlendioxid als Gas ausperlt.)


Die Bergung

Anschließend geriet die „Wasa“ weitgehend in Vergessenheit, bis der Privatgelehrte Anders Franzén sie 1956 auf dem Grunde des Stockholmer Hafens abermals ortete – ein Erfolg, den er nicht dem Zufall, sondern seinem Wissen verdankte. Er war inspiriert von einem Artikel über den Untergang, den der Historiker Nils Ahnlund bereits 1920 im „Svenska Dagbladet“ veröffentlicht hatte, und hatte zudem erkannt, daß die Ostsee nicht salzig genug war, um dem Gemeinen Schiffsbohrer (Teredo navalis) – einer länglichen, wurmförmigen Bohrmuschel – als Lebensraum zu dienen, und folgerte, daß hölzerne Schiffswracks dort außerordentlich gut erhalten sein müßten. Die Ostsee erwies sich wirklich als eine Art archäologischer Tresor; aus keinem anderen Gewässer kamen je so viele gesunkene Schiffe wieder zum Vorschein.

Franzén hatte sein Augenmerk auf Kriegsschiffe des 16. und 17. Jahrhunderts gerichtet. In Archiven fand er Hinweise auf die Positionen von zwölf Wracks, die ihn besonders interessierten, und konzentrierte sich dann auf das Auffinden der „Wasa“. Eines Tages, als er einen Suchanker über den Grund des Stockholmer Hafens zog, stieß er auf etwas Großes und Unbewegliches. Taucher bestätigten, ein riesiger Schiffsrumpf aus schwarzer Eiche stecke mit dem Kiel im Grund – die „Wasa“. Zudem wurden noch 25 menschliche Skelette gefunden, einige während der Ausgrabungen im Schiffskörper, die meisten nach dessen Hebung, als Taucher den Meeresboden absuchten.

Anfangs handelte sich Franzén mit seinem Traum von der Bergung der „Wasa“ von verschiedenen Seiten Spott ein, aber es gelang ihm, zwei wichtige Partner für sein Vorhaben zu gewinnen: Die schwedische Marine erklärte sich bereit, ihre Taucher für ein solches Unternehmen auszubilden, und die Reederei Broström beteiligte sich über ihre Bergungsgesellschaft Neptun, ohne Kosten zu berechnen.

An einfallsreichen Ideen herrschte kein Mangel. Ein Witzbold schlug vor, die „Wasa“ mit Tischtennisbällen zu füllen, um ihr Auftrieb zu verleihen. Ein anderer empfahl, das Schiff einzufrieren; der Eisblock würde dann auftauchen und könnte zu einem geeigneten Ort zum Schmelzen geschleppt werden.

Die Bergungsgesellschaft entschied sich jedoch für ein traditionelleres Verfahren. Sie wollte Stahltrossen unter dem Rumpf durchziehen und bohrte zu diesem Zweck – und um das Holz nicht zu beschädigen – Tunnel durch den Meeresboden. Dazu setzte man sogenannte Zetterström-Düsen ein. Das Hauptrohr dieser Wasserkanonen ist nach vorne gerichtet, um den Schlamm zu lösen, während schwächere, rückwärts gerichtete Strahler den Rückstoß kompensieren und loses Material wegspülen. Die Taucher, die sich in völliger Dunkelheit in den Tunneln abmühten, hatten direkt über sich eine vier Meter dicke Schlamm- und Matschschicht, ein 333 Jahre altes Schiff sowie eine 32 Meter hohe Wassersäule. Ihr schlimmster Alptraum war, daß die Schiffsplanken unter dem Gewicht der Ballaststeine nachgeben und sie in ihren Stollen eingeschlossen werden könnten.

Als alle Trossen gelegt und an gefluteten Hebepontons befestigt waren, kam der packende Moment: Durch Lenzen der Pontons spannten sich die Trossen, bis sie stramm um den Schiffsrumpf lagen. Langsam wurde die „Wasa“ auf diese Weise aus dem Schlamm gezogen. Wäre das Eichenholz, aus dem das Schiff bestand, nicht noch so stabil gewesen, wäre der Rumpf wohl unter dieser enormen Belastung zusammengebrochen. Nun aber, als die „Wasa“ endlich frei in ihrem Korsett aus Stahlseilen hing, war der riskanteste Teil des Unternehmens überstanden; alles weitere war vergleichsweise einfach.

Da die Pontons die „Wasa“ um nicht mehr als 2,50 Meter auf einmal anheben konnten, mußte man den Prozeß in 18 Etappen durchführen. Jedesmal, wenn man das Schiff angehoben hatte, schleppte man es in seichteres Wasserund flutete die Pontons, um es wieder niederzulassen (siehe Kasten auf Seiten 78 und 79|). Die Eindrücke im Meeresboden sind noch heute deutlich zu erkennen; auf den Ultraschallaufnahmen eines Echolots nehmen sie sich wie die Fußstapfen eines Riesen aus.

Schließlich erreichte die „Wasa“ eine Stelle, von der sie sich endgültig heben ließ. Große Kräne, die man auf die Pontons montiert hatte, zogen das Schiff an die Oberfläche, und im Rumpf installierte Lenzpumpen begannen zu arbeiten. Schließlich konnte die „Wasa“ 1961 auf eigenem Kiel zum Trockendock gezogen werden, wo sie auf einem Betonponton abgesetzt wurde – 333 Jahre nach ihrem Untergang bestaunten Schweden und ausländische Touristen wieder ihren beeindruckenden Rumpf (Bild 2 links).

Konservierung der Wrackteile

Um das empfindliche, gänzlich durchnäßte Holz zu schützen, besprühte man das Schiff ununterbrochen mit Wasser, bis die eigentliche Konservierung in einer geeigneten Halle beginnen konnte. Auch mußte man zunächst die großen Mengen an Schlick, die sich im Inneren des Schiffes angesammelt hatten, entfernen und auf kleine Relikte durchsuchen. Weil der schwarze Schlamm möglicherweise Bakterien enthielt, wurden die Archäologen, bevor sie ans Werk gingen und insgesamt etwa 25.000 Objekte – davon ungefähr die Hälfte Bauteile des Schiffskörpers – bargen, gegen Tetanus, Typhus und andere übertragbare Krankheiten geimpft. Da man die „Wasa“ so weit wie möglich wieder in ihren Originalzustand versetzen wollte, mußten alle Fundstücke während der Rekonstruktion an ihrem ursprünglichen Platz befestigt werden.

Im Herbst 1961 errichtete man eine Aluminiumhalle um die „Wasa“ herum, die nach wie vor auf dem Ponton stand, und schleppte das Ganze zu einem vorläufigen Museum, wo man mit der Arbeit unter den Augen der Öffentlichkeit fortfahren konnte. Die Wissenschaftler mußten sich überlegen, wie sie das Wasser im Holz durch eine konservierende Substanz ersetzen konnten, ohne daß das Material dabei reißen, schrumpfen, sich verziehen oder sonstige Schäden erleiden würde. Es galt, nicht nur die 1100 Tonnen Balken und Planken des Schiffkörpers, sondern auch 700 Skulpturen und geschnitzte Ornamente sowie mehrere tausend Gegenstände aus Textil, Leder und Metall zu behandeln.

Noch nie zuvor war versucht worden, solche Mengen an Holz zu konservieren. Zwei Schweden, der Konservator Bertil Centervall und der Ingenieur Rolf Morén, hatten jedoch ein Verfahren entwickelt, mit dem sich frisches Holz mit Polyethylenglykol imprägnieren ließ. Da diese viskose Flüssigkeit das Wasser in frischem Holz verdrängt und ersetzt, hoffte man, sie würde sich bei dem alten Wrack vom Hafengrund ebenfalls bewähren – was auch geschah. Eine wäßrige Lösung der hochmolekularen Substanz, mit Borax und Borsäure als Pilzschutzmitteln versetzt, drang in die Zellen des Holzes ein und versteifte sie, ohne daß die Bauteile rissen oder sich verzogen. Unterdes hielt eine Klimaanlage Temperatur und Luftfeuchtigkeit konstant, um optimalen Schutz zu gewährleisten.

Gegenstände von handlicher Größe wurden auf diese Weise in großen Bädern behandelt, in denen man Konzentration und Temperatur der Lösung langsam erhöhen konnte. Diese sehr effiziente Prozedur war bei den Weichhölzern (Kiefer und Linde) nach etwa 12, beim Eichenholz nach 18 Monaten abgeschlossen. Der Schiffsrumpf war hingegen zu groß für dieses Verfahren; die Lösung mußte statt dessen von innen und außen aufgesprüht werden – ein langwieriger Prozeß, der 18 Jahre, von 1961 bis 1979, dauerte (Bild 2 rechts). Erst danach konnte das Schiff langsam getrocknet werden.

Von den ursprünglich zehn Segeln der „Wasa“ waren die nicht gehißten sechs noch erhalten; sie lagen im für sie vorgesehenen Stauraum, in der sogenannten Segellast auf dem untersten durchgehenden Deck, dem Orlopdeck. Sie zu konservieren erwies sich als interessante Herausforderung. Der Stoff war in derart schlechtem Zustand, daß er bei üblichem Handhaben zerfallen wäre; er ließ sich jedoch bearbeiten, solange er im Wasser lag. Deshalb bereitete man große Bassins vor, in denen man das Tuch entfalten, säubern und in Alkohol und Xylol trocknen konnte. Weil das Gewebe so mürbe war, wurde es mit einer Kunststofflösung auf eine Unterlage aus Glasfasern gezogen. Der Kleber hat den gleichen Brechungsindex wie die Glasfasern, so daß sie kaum zu sehen sind.

Alle schmiedeeisernen Teile waren längst weggerostet, mit Ausnahme des untersten Ruderfingerlings und der dazugehörigen Öse (des Zapfens und Lagers, in dem sich das Ruder drehte). Sie hatten im Lehm des Meeresbodens gesteckt und waren dadurch relativ gut erhalten. Bei den Vorbereitungen zum Wiederaufrichten des Mastes fanden wir 1992 noch einen Metallbolzen, den man bis dahin übersehen hatte.

Die gußeisernen Kanonenkugeln hatten wegen ihres geringen Kohlenstoffgehalts der Oxidation besser standgehalten. Viele wiegen heute zwar nicht mehr als ein Tennisball, weisen aber noch ihre ursprüngliche Form und Größe auf. In Luft wären sie zu Staub zerfallen, hätten wir sie nicht bei 1060 Grad Celsius in einer Atmosphäre aus Wasserstoff getrocknet, wobei das Eisenoxid zu Eisen reduziert wurde.

Die Rekonstruktion

Unser nächstes Problem war der Wiederaufbau des Schiffes. Glücklicherweise waren die Planken des Rumpfes außer mit den wegrostenden Eisenbolzen auch mit Holzdübeln verbunden worden, so daß der Großteil der Struktur zusammenhielt und in einem Stück geborgen werden konnte. Das Achterkastell war jedoch zusammengestürzt, und das Galion – die über den Vordersteven hinausragende Vorschiffskonstruktion – sowie weitere Teile waren abgefallen. Infolgedessen mußten die Wissenschaftler viele tausend Komponenten, vom schweren Balken bis zum winzigen Holzsplitter, identifizieren und lokalisieren – ein riesiges Puzzle, für das noch nicht einmal eine Vorlage zur Verfügung stand.

Die Restauratoren waren zunächst unschlüssig, wie weit sie beim Wiederaufbau fehlende Stücke ersetzen sollten. Anfangs vermochten sie einer Entscheidung auszuweichen, weil eine immense Zahl an Originalteilen vorhanden war. Bald jedoch war ein Stadium erreicht, wo sie Verbindungselemente einsetzen mußten, um weitere Fundstücke überhaupt anbringen zu können. Daraufhin entschlossen wir uns, das Schiff so vollständig wie möglich wiederaufzubauen, aber nur wenige unerläßliche fehlende Teile neu anzufertigen. Dabei kam uns die Symmetrie zupaß: Da Steuer- und Backbord eines Schiffes quasi identisch sind, konnten wir bei Lücken gewöhnlich das Gegenstück von der anderen Seite als Vorbild für einen Nachbau nutzen; selbstverständlich kennzeichneten wir solche Rekonstruktionen stets.

Die wiederaufgebaute „Wasa“ hat viele bis dahin unbekannte Aspekte des Schiffbauhandwerks offenbart. Das Rudersystem beispielsweise ist merkwürdig unhandlich. Die Pinne erstreckt sich über elf Meter vom Ruderkopf bis zum Auge des Kolderstocks, einer senkrecht stehenden Stange, die im rechten Winkel mit der Pinne verbunden ist und durch ein Rollenlager weit über das obere Batteriedeck hinaufragt (siehe Kasten auf Seite 80). Zum Steuern mußte der Rudergänger den Kolderstock neigen und gleichzeitig niederdrücken, indem er ihn mit seinem ganzen Gewicht durch das Rollenlager preßte, wodurch die Ruderpinne zur Seite bewegt wurde. Um das Ruder zu zentrieren, mußte der Kolderstock wieder hochgezogen und senkrecht gestellt werden.

Der Schiffbaumeister war somit einer Tradition gefolgt, die nur bei kleineren Kriegsschiffen sinnvoll gewesen war. Bei der „Wasa“ beschränkte die enorme Länge der Pinne den Drehwinkel des Ruders auf 14 Grad – sieben nach rechts und sieben nach links. Dieser geringe Einschlag und die kleine Oberfläche des Blattes hatten zur Folge, daß das Schiff weitgehend mit Hilfe der Segel gesteuert werden mußte.

Am eindrucksvollsten im Erscheinungsbild der „Wasa“ sind ihre Verzierungen, durch die sie sich gänzlich von den rein zweckgebundenen Formen moderner Schiffe unterscheidet. Dieser Dreimaster kann uns – besser noch als die Architektur der späten nordischen Renaissance – den geschmacklichen Wandel demonstrieren, denn wir würden zwar Dekorationen an Gebäuden jener Zeit erwarten, nicht aber an einer militärischen Großstruktur. Die „Wasa“ ist am Galion und insbesondere am Achterkastell überreich mit Skulpturen im affektierten manieristischen Stil versehen, die selbst während eines Gefechtes die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und mehrere Zwecke erfüllen sollten|: Kampfgenossen ermutigen, Feinde einschüchtern, Ansprüche geltend machen und die Welt mit ihrem Abbild von Macht und Ruhm beeindrucken.

Die Ausschmückung des hoch aufragenden Heckspiegels beispielsweise erzählt die Geschichte der schwedischen Königsfamilie Wasa, nach der das Schiff benannt ist (Bild 1). Ganz oben befindet sich eine Holzschnitzerei, die den jungen Gustav Adolf darstellt, dem zwei Greife eine Königskrone über das Haupt halten – eine eindeutige politische Aussage, die den Ansprüchen seines katholischen Cousins, Königs Sigismund III. von Polen, auf den schwedischen Thron eine Abfuhr erteilte. Der Fries direkt darunter sollte dies noch bekräftigen|: „G||A||R||S“ steht dort zu lesen – Gustavus Adolphus Rex Sueciae, Gustav Adolf, König von Schweden. Darunter ist das schwedische Nationalwappen und noch weiter unten das Familienwappen der regierenden Dynastie dargestellt; „Wasa“ ist ein altes schwedisches Wort für „Garbe“, und eben eine solche ist auf dem Wappen abgebildet.

Auf den Skulpturen waren kaum Spuren ihrer ursprünglichen Bemalung erhalten geblieben; das Holz hatte im Laufe der Zeit eine einheitliche dunkelbraune Farbe angenommen. Bei gründlicher Untersuchung fanden sich aber hier und dort Reste von Blattgold. Rund drei Viertel der Skulpturen sind demnach vergoldet gewesen. Über die sonstige Fassung wußten wir zunächst nichts, bis verschiedene Techniken, die nach 1961 entwickelt wurden, ihre Bestimmung ermöglichten. Insbesondere die Elektronenstrahlmikrosonde, bei der man ein Elektronenmikroskop mit einem Gerät zur Röntgenspektralanalyse kombiniert, hat viele Informationen geliefert. Es stellte sich heraus, daß die „Wasa“ ebenso goldglänzend und farbenprächtig bemalt war wie das Altarbild einer barocken Kirche. Bisher haben wir nur wenige Skulpturen in dieser Weise restauriert, unter ihnen das Familienwappen der Wasa (Bild 4 links).

Ein Kulturgut ihrer Zeit

Das Leben an Bord der „Wasa“ wäre hart gewesen, selbst wenn in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts wenige Seeschlachten stattfanden. Mehr als 400 Männer sollten auf engstem Raum zusammengepfercht leben. Die hygienischen Verhältnisse auf den damaligen Schiffen waren katastrophal. Die Nahrungsmittel gammelten wochenlang im Laderaum vor sich hin; und selbst wenn ein Schiff im Hafen lag, war die Lebensmittelversorgung schlecht. Zahlreiche Krankheiten suchten Mannschaften wie Offiziere heim.

Ein gesunkenes Schiff ist gleichsam eine Art Zeitkapsel und kann über die Epoche, der es entstammt, mehr aussagen als die Gerätschaften, die wir in Grabkammern oder in Grundsteinen eingemauert finden, mehr sogar als historische Aufzeichnungen, denn es vermittelt eine völlig unverfälschte Momentaufnahme des täglichen Lebens. Seine Ausrüstung und Fracht birgt eine Vielzahl an Informationen über Technik und Handel, Krieg und Diplomatie, das Leben der einfachen Leute und die geistige Haltung der damaligen Zeit.

Als die „Wasa“ sank, war sie noch nicht vollständig ausgerüstet und bemannt gewesen. Wenngleich sie erst später 300 einfache Marinesoldaten aufnehmen sollte, fand man Tausende von persönlichen Habseligkeiten. Die einfachen Seeleute besaßen zumeist nur schlichte Gegenstände aus Holz oder Ton. In den Offizierskajüten hingegen fand man sowohl feine schwedische Glaswaren, Porzellan, Zinn- und Messinggeschirr als auch Waren aus anderen Teilen Europas (Bild 4). Ein Zinnflakon enthielt sogar noch immer klaren, offensichtlich aus Ostindien stammenden Reisbranntwein mit einem Alkoholgehalt von 33 Volumenprozent – ich kann aus eigener Erfahrung bezeugen, daß der Schnaps hervorragend war.

Nach der langwierigen Restaurierung in einer provisorischen Halle hat die „Wasa“ nun ihren endgültigen Platz in einem neuen Museum in Stockholm gefunden, das der heutige König Schwedens, Karl XVI. Gustav, im Juni 1990 eröffnete. Dort steht nun das Kriegsschiff seines Vorgängers, umgeben von Ausstellungsstücken jener Welt, aus der es kommt – als höchst aufschlußreiches Relikt einer vergangenen Zeit.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1993, Seite 76
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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