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Biochemische Ursache der Nikotinsucht

Einer französischen Forschergruppe ist es gelungen, eine spezifische Untereinheit eines Rezeptors im Gehirn zu identifizieren, die für die abhängig machende Wirkung des Nikotins verantwortlich ist.


Wer sich einmal an den blauen Dunst gewöhnt hat, weiß, wie schwer es ist, wieder davon loszukommen. Nikotin steigert im mesolimbischen System – Schaltkreisen im Gehirn, die unter anderem für das Lustempfinden zuständig sind – die Aktivität von Nervenzellen, die den Botenstoff Dopamin produzieren und freisetzen. Der erhöhte Dopaminspiegel löst angenehme Empfindungen aus – und damit indirekt das geradezu zwanghafte Verlangen nach Wiederholung. Auch andere abhängig machende Substanzen wie Alkohol, Kokain und Amphetamine wirken auf diese Weise.

Nikotin besetzt eine Andockstelle auf der Zellmembran, an die sich für gewöhnlich der Botenstoff Acetylcholin bindet (siehe Spektrum der Wissenschaft, Januar 1994, Seite 84). Dieser nikotinische Acetylcholinrezeptor (nAchR) besteht aus fünf Untereinheiten; in der Regel handelt es sich dabei um zwei sogenannte Alpha- und drei Beta-Komponenten (daneben gibt es Gamma- und Delta-Formen, die aber nur im nAchR des Muskels vorkommen). Bisher konnten zehn Varianten der Alpha- und Beta-Untereinheiten identifiziert werden, die sich je nach Nervenzelle in unterschiedlichen Kombinationen zusammenlagern. Mindestens sechs davon (Alpha-3, Alpha-4, Alpha-5, Alpha-6, Beta-2 und Beta-3) kommen auf den dopaminergen Nervenzellen des mesolimbischen Systems vor. Die Vermutung liegt nahe, daß das Reaktionsprofil eines bestimmten Rezeptors davon abhängt, aus welchen dieser Formen er sich zusammensetzt. Gibt es eine Untereinheit, welche die erhöhte Dopaminausschüttung nach Nikotineinwirkung veranlaßt?

Biochemische Tests hatten früher schon gezeigt, daß die Beta-2-Komponente dem Rezeptor seine hohe Affinität für Nikotin verleiht. Eine Forschergruppe um Jean-Pierre Changeux am Institut Pasteur in Paris schuf in Zusammenarbeit mit schwedischen und schweizerischen Kollegen deshalb transgene Mäuse, denen diese Untereinheit des nAchR fehlte ("Nature", Band 391, Heft 6663, Seite 173). Tatsächlich waren diese Tiere unempfindlich gegen Nikotin: Die Droge veränderte weder das Entladungsmuster der dopaminergen Neuronen noch den Dopaminspiegel im mesolimbischen System. Im übrigen verhielten sich die Mäuse, soweit erkennbar, völlig normal.

Ein Verhaltensexperiment bestätigte und erweiterte diesen Befund. Dabei konnten sich die Mäuse durch eine im Gehirn implantierte Kanüle sensorgesteuert Nikotin zuführen, indem sie einen von zwei Nasenschaltern in einer Käfigecke betätigten. Normale Mäuse lernen unter diesen Umständen schnell, sich den Suchtstoff zu verabreichen. Nicht so die mutierten Tiere: Sie waren zwar wie die normalen Nager gut auf Kokain trainierbar, verloren jedoch innerhalb von zwei Tagen das gelernte Verhalten, wenn statt dessen Nikotin angeboten wurde.

Damit scheint jener Rezeptorbaustein identifiziert, der die abhängig machende Wirkung des Nikotins vermittelt. Aber die Substanz hat auch andere, günstige Eigenschaften: Sie steigert die Aufmerksamkeit und verbessert die Gedächtnisleistung. Dies könnte das Rauchen gleichfalls fördern.

Andererseits ließen sich die positiven Effekte vielleicht auch therapeutisch nutzen. So könnten Alzheimer-Patienten unter Umständen von Nikotin profitieren. Denkbar wäre auch, daß die erhöhte Dopaminausschüttung die Symptome der Parkinson-Krankheit mildert, die durch Dopaminmangel verursacht wird. Außerdem ist Nikotin in sehr hoher Dosis ein ebenso wirksames Schmerzmittel wie Morphium.

Als nächstes gilt es nun, die Rollen der übrigen Untereinheiten des nAchR zu entschlüsseln. Möglicherweise vermitteln sie selektiv nur die günstigen Effekte des Nikotins und nicht auch die abhängig machende Wirkung. Gelänge es dann noch, leicht abgewandelte Substanzen zu synthetisieren, die nur diese Untereinheiten ansprechen, hätte man den Genuß ohne Reue: Schmerzlinderung und verbesserte Gedächtnisleistung ohne Abhängigkeit.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1998, Seite 38
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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