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Biologische Sanierung - Illusionen und Realitäten

Organische Schadstoffe im Boden können direkt, aber auch über Grundwasser, Nahrungsmittel und Luft den Menschen gefährden. Traditionelle Sanierungsmethoden haben ungünstige Nebenfolgen oder sichern kontaminiertes Material oft nur vorübergehend – die Probleme werden buchstäblich verlagert. Was können alternative Verfahren wie die Sanierung mit Bakterien leisten?

Die traditionelle Sanierung bietet nur wenige Möglichkeiten: Belasteter Boden wird ausgehoben und in einer geeignet erscheinenden Deponie gelagert oder in speziellen Anlagen verbrannt. In beiden Fällen sind die Transportkosten hoch, und der für die Bodenfruchtbarkeit wichtige Humus geht verloren. Bei der Deponierung werden die Schadstoffe zudem nicht vernichtet, sondern lediglich beiseite geschafft, wodurch sich später weitere Risiken ergeben können. In überbautem Gebiet vermag man kontaminiertes Material zudem häufig gar nicht auszubaggern.

In den letzten Jahren sind jedoch zahl-reiche alternative physikalische, chemische, biologische und thermische Sanierungsverfahren entwickelt und zum Teil in der Praxis bereits erfolgreich eingesetzt worden. Ein Bericht der amerikanischen Umweltschutzbehörde vom November 1991 hat bereits mehr als 130 konzeptionell verschiedene Verfahren aufgelistet und nach dem Ort der Sanierung unterschieden: direkt in der kontaminierten Zone (in situ), in unmittelbarer Nähe ( on site) und fernab (off site).

Biologische Sanierungen erscheinen als besonders attraktiv, weil sich dabei im Idealfall die Schadstoffe direkt im Erdreich oder im Grundwasser mit Hilfe von Mikroorganismen zu anorganischen Verbindungen abbauen, also mineralisieren lassen, wobei gleichzeitig Biomasse in Form von Zellsubstanz entsteht und die Bodenfruchtbarkeit erhalten bleibt. Diese mikrobielle Mineralisierung ist auf organische Schadstoffe beschränkt, vorzugsweise auf solche aus punktförmigen Quellen; Schwermetalle sind damit kaum zu eliminieren ebensowenig Verschmutzungen aus diffusen Quellen.

Verhältnisse im Untergrund

Bevor ein mikrobielles Verfahren ernsthaft erwogen werden kann, sind die physikalischen und chemischen Rahmenbedingungen am kontaminierten Standort zu ermitteln. Der Untergrund ist äußerst heterogen. Die verschiedenen Horizonte im Boden und die Schichten im Grundwasserleiter – eventuell vorhandene Sandlinsen oder bevorzugte Fließwege – spielen bei Prozessen im Untergrund eine wichtige Rolle und müssen bei Sanierungsbemühungen berücksichtigt werden ( Bild 1).

Während sich kleinere Schadstoffmengen aus Punktquellen unter Umständen lediglich lokal im wasserungesättigten Bereich des Bodens verteilen, ist bei größeren Einträgen mit einer Verseuchung des Grundwassers zu rechnen (Bild 2). Dabei lassen sich grob gesehen drei Fälle unterscheiden:

– Gut wasserlösliche Schadstoffe, zum Beispiel viele zum Pflanzenschutz eingesetzte Pestizide, werden im Grundwasser gelöst, verdünnt und in Fließrichtung abtransportiert. Die etwa von einem Störfall ausgehende lokale Gefährdung beschränkt sich darum meist auf eine gewisse Zeitspanne und kann in der Regel mit hydraulischen Maßnahmen wie einem geeigneten Pumpregime im Abwehrbrunnen bedeutend verringert werden. Der Einsatz biologischer Sanierungsverfahren ist dann kaum angezeigt.

– Schadstoffe mit geringer Wasserlöslichkeit und niedrigem spezifischem Gewicht wie Mineralöl bilden Schichten an der Obergrenze des Grundwasserleiters. Nicht selten beobachtet man nach Mineralölunfällen unterirdische Öllinsen von mehreren Zentimetern Dicke und einigen hundert Quadratmetern Fläche, die zum Teil an die Oberfläche gepumpt und abgetrennt werden können. Die Überreste aber gefährden Böden und Gewässer über Jahre oder Jahrzehnte, und Sanierungsmaßnahmen sind unumgänglich.

– Schadstoffe mit geringer Wasserlöslichkeit und hohem spezifischem Gewicht, beispielsweise chlorierte Lösungsmittel, können unter Umständen bis auf den felsigen oder tonigen Untergrund absinken und dort ein Depot bilden. Dann belasten sie das darüber anstehende Grundwasser ebenfalls über Jahre, und es bedarf einer Sanierung.

Zusammen mit den Eigenschaften der Schadstoffe bestimmen die Strukturen des Untergrundes nicht nur das Ausbreitungsverhalten der Stoffe, sondern auch weitgehend Art und Geschwindigkeit der mikrobiellen Prozesse und damit die Effizienz der Sanierung.

Da der Untergrund in der Regel aus einem Gefüge von unzähligen kleinen mineralischen und organischen Partikeln wie Sand, Ton und Wurzeln sowie den Porenräumen dazwischen besteht, wird die gesamte Oberfläche und damit die Summe aller Grenzflächen sehr groß. Die drei Phasen fest, flüssig und gasförmig sind eng ineinander verwoben, und Wechselwirkungen zwischen physikalischen, chemischen und biologischen Prozessen werden relevant. Vorgänge wie Diffusion, Ad- und Desorption, Austausch von Ionen, Katalyse an Oberflächen, Bildung von Biofilmen und enzymatische Umsetzungen im Boden sind miteinander vernetzt. Oft sind Schadstoffe an Oberflächen angelagert oder in Porenräumen eingeschlossen und damit einem mikrobiellen Abbau kaum zugänglich. Dessen Geschwindigkeit wird somit außer durch die enzymatische Aktivität der Mikroorganismen auch durch die Raten der Desorption und Diffusion bestimmt.

Biologische Sanierungsverfahren, die sich lediglich darauf beschränken, die mikrobielle Aktivität zu stimulieren, also die Komplexität der physikalischen wie chemischen Rahmenbedingungen und Prozesse im Untergrund vernachlässigen, scheitern gewöhnlich. Damit ist auch klar, warum der heute vielerorts propagierte Einsatz von angeblich speziell adaptierten und gezüchteten Mikroorganismen in der Praxis noch selten erfolgreich war.

In jedem Krümel Erde leben im Schnitt weit mehr als eine Million Mikroorganismen. Ohne sie kämen die globalen Kreisläufe von Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphor zum Erliegen; sie bauen mit ihren vielfältigen Stoffwechselprozessen organische Substanz auf, um und ab – und darauf gründet auch ihr Potential, organische Schadstoffe abzubauen. Allgemein wird vermutet, daß erst weit weniger als fünf Prozent sämtlicher Mikroorganismen bekannt sind. Die traditionellen Möglichkeiten der mikrobiellen Ökologie, ihre Studienobjekte zu identifizieren und zu klassifizieren, reichen nicht aus, um umfassenden Einblick in die Strukturen und Funktionen der Lebensgemeinschaften solch heterogener Systeme wie des Bodens zu erlangen. Für die meisten dieser Methoden muß der Organismus erst einmal isoliert, das heißt in Kultur gezüchtet werden. Solange man aber dessen Ansprüche und Wachstumsbedingungen nicht kennt, kommt das nicht selten einem Glücksspiel gleich.

Moderne genetische Nachweismethoden, die im wesentlichen auf dem Einsatz von Gensonden beruhen (Bild 3), versprechen neue Impulse; ihr Potential für die mikrobielle Ökologie wird kaum angezweifelt, da sich damit Organismen und ihre Funktionen im Lebensraum direkt in einer Bodenprobe nachweisen lassen sollten. Bis zur Anwendung in derart vielschichtigen Systemen wie Böden und Grundwasserleitern sind freilich noch vielfältige Entwicklungsarbeiten zu leisten.

Die Technologie der biologischen Sanierung von Boden und Grundwasser muß folglich mit einem Werkzeug – eben Mikroorganismen – arbeiten, das sich alles andere als genau definieren läßt. Dasselbe gilt allerdings auch für die Abwasserreinigung, und dort sind die Erfolge unbestritten; sie können für die biologische Boden- und Grundwassersanierung als Vorbild dienen.

Abwasserreinigung als Vorbild

Bei der Abwasserreinigung schafft man – zum Teil empirisch – bestimmte Rahmenbedingungen, die das Wachstum von zweckdienlichen Mikroorganismen fördern und damit die in Gewässern bereits natürlicherweise bestehende Selbstreinigungskraft unterstützen. Erreicht wird dies etwa durch Belüftung, ausgewogenes Nährstoffangebot und hinreichend lange Aufenthaltszeiten des Abwassers in der Anlage.

Analog geht es bei der biologischen Boden- und Grundwassersanierung unter anderem darum, die bereits latent vorhandene mikrobielle Aktivität mit verfahrenstechnischen Methoden zu fördern, beispielsweise durch Zugabe von Oxidationsmitteln, Nährstoffen und Spurenelementen, von Kohlensäure oder Kalk (um einen optimalen Säuregehalt einzustellen) oder von Tensiden, die bestimmte Schadstoffe besser für den Abbau verfügbar machen. Direkte Eingriffe in die ohnehin weitgehend unbekannten mikrobiellen Populationen in Kläranlagen, Böden und Grundwasserleitern – etwa durch gezieltes Beimpfen mit standortfremden und im Laboratorium vorgezüchteten Kulturen – steigerten bisher die Reinigungsleistung kaum.

Biochemie des mikrobiellen Schadstoffabbaus

Mikroorganismen mit ihren vielfältigen Stoffwechselwegen zum Abbau von organischen Molekülen können auch sehr viele normalerweise nicht in Lebewesen vorkommende Stoffe wie Mineralölkomponenten und chlorierte Lösungsmittel mineralisieren. Die An- oder Abwesenheit von molekularem Sauerstoff ist dabei entscheidend.

Mineralölkomponenten wie gerad-kettige und aromatische (ringförmige) Kohlenwasserstoffe werden bevorzugt unter aeroben Bedingungen, also in Gegenwart von molekularem Sauerstoff, mikrobiell abgebaut. Dieser hat hier eine doppelte Funktion: Einerseits dient er zur anfänglichen Oxidation der Stoffe, andererseits nimmt er die freiwerdenden Elektronen am Ende der Stoffwechselkette auf. Deshalb ist die Sanierung von Mineralöl-Kontaminationen oft an eine geeignete, in der Regel kostenintensive Belüftung gekoppelt. Zudem muß sozusagen permanent gegen die Natur gearbeitet werden, da eine mit Mineralöl verunreinigte Zone durch den mikrobiellen Verbrauch von Sauerstoff einem anaeroben Zustand zustrebt.

Vor einigen Jahren wurde nun aber in Laboratoriumsversuchen und unter Freilandbedingungen nachgewiesen, daß viele geradkettige und aromatische Kohlenwasserstoffe auch bei Abwesenheit von molekularem Sauerstoff mineralisiert werden können, wenn man gewisse alternative Oxidationsmittel wie zum Beispiel Nitrat zusetzt. Die durch eine Beigabe von Nitrat bewirkte zusätzliche Grundwasserbelastung fällt in der Regel nicht ins Gewicht, da die Substanz nur in geringen Konzentrationen zugesetzt und in den mineralölbelasteten Zonen ohnehin weitgehend abgebaut wird. Derartige Prozesse könnten die Basis attrakti- ver Sanierungsverfahren bilden; entsprechende Pilotversuche sind bereits angelaufen.

Chlorierte Lösungsmittel wiederum werden bevorzugt unter anaeroben Bedingungen umgesetzt, wobei die Mikroorganismen die Chloratome reduktiv abspalten und der Schadstoff im Prinzip als Elektronenakzeptor dient. Nicht immer aber wird der abzubauende Stoff vollständig mineralisiert; in gewissen Fällen häufen sich giftige Zwischenprodukte an. Der mikrobielle Abbau von Perchlorethylen zu Vinylchlorid in der methangasbildenden Zone von Deponien ist ein Beispiel dafür. Das ausgasende Vinylchlorid ist ökologisch und humantoxikologisch sehr bedenklich.

Einige chlorhaltige Lösungsmittel werden jedoch auch in Gegenwart von Sauerstoff, also aerob abgebaut. So können spezielle Bakterien, die Methan üblicherweise mit Hilfe von molekularem Sauerstoff oxidieren, Schadstoffe wie Trichlorethylen enzymatisch umsetzen. In Feldexperimenten wird nun versucht, durch Zuführen von Methan und Sauerstoff in kontaminierte Zonen das Wachstum solcher Bakterienpopulationen – und damit einen Abbau von Trichlor-ethylen – anzuregen.

Problem: Definition von Sanierungszielen

Anders als in der Bundesrepublik gibt es in der Schweiz kaum gesetzliche Grundlagen für die bei einer Bodensanierung zu erreichenden Ziele. Die auf dem Umweltschutzgesetz basierende Verordnung über Schadstoffe im Boden erwähnt für die organischen Verbindungen weder Richt- noch Grenzwerte und spricht lediglich davon, daß die – sehr vage definierte – Bodenfruchtbarkeit gewährleistet sein müsse. Die Schweizer Behörden haben somit beim Abstecken der Sanierungsziele großen Ermessensspielraum; die Qualitätsstandards werden in der Regel in Zusammenarbeit mit dem Sanierungspflichtigen oder dessen Versicherungen fallweise und sehr pragmatisch festgelegt. Für das Grundwasser sind die Sanierungsziele besser definiert, da es den Trinkwassergesetzen unterliegt. Doch auch hier herrscht in der Praxis eine gewisse Unsicherheit, zumal verläßliches Grundlagenwissen kaum vorhanden ist.

Der Beitrag der Grundlagenforschung zur Definition von Sanierungszielen sollte unter anderem darin bestehen, organische Kontaminationen im Boden aus analytischer, chemodynamischer und ökotoxikologischer Sicht zu charakterisieren. Beispielsweise sind Art und Eigenschaften der einzelnen Komponenten in frisch geförderten Mineralölen recht gut bekannt. Unter Freilandbedingungen – sei es nun im Boden, im Grundwasser oder nach einem Öltankerunfall im Meer – sind sie aber sehr komplexen physikalischen, chemischen und mikrobiellen Prozessen unterworfen, und die dabei entstehenden Folgeprodukte sind noch immer weitgehend unbekannt.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1993, Seite 90
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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