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Telematik: Bleibt das Auto mobil?

Angesichts steigender Benzinpreise, täglicher Staus und der damit verbundenen Umweltbelastung sieht die Zukunft des Autos in Städten düster aus.


In manchen Städten kommen Fußgänger bereits schneller voran als Autos. So betrug Ende der 80er Jahre die durchschnittliche Pkw-Geschwindigkeit in Bangkok nur noch zwei Kilometer pro Stunde. In Deutschland verursachen Staus jährlich Schäden von 200 Milliarden Mark und einen Mehrverbrauch von täglich 50 Millionen Litern Sprit, wie die Bundesanstalt für Straßenwesen kürzlich vorrechnete. Auch die Umweltbelastungen sind enorm: Drei Viertel aller Kohlenmonoxid- und Stickoxid-Belastungen gehen auf den Verkehr zurück. Dennoch ist die Beliebtheit des Autos ungebrochen: Allein in China wollen in den nächsten zehn Jahren rund 80 Millionen Menschen ein Fahrzeug kaufen. Der Kollaps scheint vorprogrammiert. Auf der Suche nach einem Ausweg schlagen Ingenieure und Verkehrsplaner zwei Wege vor: Verkehrsleitsysteme, die den Verkehr sicherer und staufreier machen sollen, und Car-Sharing-Konzepte, die das Fahrzeugaufkommen senken helfen.

Bei Ersteren ist Japan führend. Mit Hilfe Tausender Sensoren und Kameras sammelt die Tokioter Polizei Verkehrsdaten und spielt sie über 40000 Infrarotbaken am Straßenrand den Autos übers Radio ein (Spektrum der Wissenschaft 5/1999, S. 124). Dieser Dienst kostet den Nutzer nichts, im Gegensatz zum System, das auf deutschen Fernstraßen installiert wurde. Dort messen Infrarotsensoren die Verkehrsströme. Die daraus abgeleiteten Stauhinweise übermitteln Service-Provider per Funk kostenpflichtig an Navigationssysteme im Auto. Technisch funktioniert dies, doch alle diese Verfahren stecken noch tief in den roten Zahlen. Auch sind derartige Systeme recht unflexibel und können die Dauer eines Staus nur schlecht vorhersagen.

Eine Flotte von Sensoren


Diese Nachteile wollen Forscher mit einem "Floating Car Data-System" (FCD) vermeiden, indem sie die Autos selbst als Detektoren nutzen: Im Wagen bereits installierte Sensoren wie jene des ABS-Systems, der Airbags oder der Lageregelung werden über Mobilfunk angezapft. Ein Zentralrechner schließt dann aus den Daten über Geschwindigkeit und Bremsvorgänge auf drohende Staus. Der Standort der jeweiligen Autos wird per Satellitenortung (GPS oder Galileo) festgestellt.

Ralf Herrtwich, Leiter des Telematikzentrums bei DaimlerChrysler: "Wenn nur jedes zwanzigste Auto für FCD ausgerüstet ist, reicht das für verlässliche Verkehrsprognosen innerhalb der Stadt." In einem zweiten Schritt wollen die Forscher diese Idee sogar noch weiter ausbauen. Aus den Angaben über Außentemperaturen, eingeschaltete Scheibenwischer oder Nebelscheinwerfer können sie schließen, ob das Auto durch Nebel, Regen oder Schnee fährt und Warnhinweise an nachfolgende Fahrzeuge schicken. Die Automobilindustrie testet das FCD-Verfahren zur Zeit intensiv. Probeläufe in verschiedenen Städten sollen demnächst starten. Noch sind einige technische Probleme zu überwinden, aber auch Bedenken der Datenschützer aus dem Weg zu räumen. Es muss beispielsweise sichergestellt sein, dass Fahrer in einem FCD-Auto nicht lückenlos überwacht werden können.

Noch stärker will das National Automated Highway System Consortium (NAHSC) in San Diego, USA, in den Verkehr eingreifen. Schon vor drei Jahren begannen die Amerikaner, dort ein System für automatisches Fahren auf separaten Fahrspuren aufzubauen. Im Abstand von wenigen Metern rollen elektronisch gekoppelte Pkw oder Lkw hintereinander, wie auf einer Perlenkette aufgereiht. Damit passen nicht nur etwa viermal so viele Autos auf die Straßen, sondern sie sparen durch ihr Fahren im Windschatten auch noch 15 Prozent Sprit. Die Pendlerzeiten in Kalifornien, so die Planer, ließen sich mit diesem System von durchschnittlich drei Stunden auf 20 Minuten pro Tag senken. Der Haken dabei sind rechtliche Bedenken: Hersteller und Betreiber fürchten, bei Schadenersatzklagen haftbar gemacht zu werden. Inzwischen entsteht in Japan ein 300 Kilometer langes Autobahnstück als automatischer Highway. Alle großen Automobilhersteller testen dort selbstständig fahrende Forschungsfahrzeuge.

Dass aber Verkehrsleitsysteme mit Blick auf die Umwelt nicht immer der Weisheit letzter Schluss sind, zeigt eine Studie der Prognos AG, Basel. Ihr Fazit: "Telematiksysteme im Straßenverkehr können die Umwelt mit bis zu 17 Prozent an CO2-Emissionen entlasten, wenn Staus vermieden werden."

Bei geringerer Verkehrsdichte entstehe jedoch leicht eine "weniger harmonische Dynamik der Verkehrsläufe, die in der Regel mit höheren Emissionen verbunden ist". Und eine weitere nüchterne Feststellung: "Von allen Telematik-Techniken würde die automatische Erhebung von Straßenbenützungsgebühren am meisten Autoabgase verhindern, nämlich zu etwa drei Vierteln." In den Niederlanden wird ein elektronisches Mautsystem ab September 2001 getestet und ab 2003 in verschiedenen Stadtregionen eingeführt. In Deutschland wird um die Pkw-Maut noch heftig gestritten. Für Lkw soll sie ab 2003 Realität werden.

Car-Sharing per Computer


Dass individuelle Mobilität aber nicht gleichbedeutend mit dem eigenen Auto ist, zeigen Konzepte wie Car-Sharing oder Mitfahrzentralen. Allerdings waren die in der Vergangenheit besonders für Pendler gedachten Modelle unflexibel und deshalb unbeliebt. Im Raum Stuttgart testen derzeit mehrere hundert Teilnehmer eine neue Art der Fahrgemeinschaft: Im Projekt M21 regelt ein Softwareprogramm über Internet und Handy den Kontakt zwischen mobilitätssuchenden Pendlern und stellt die Gruppen je nach Bedarf und Arbeitszeiten neu zusammen.

Derartige Lösungen seien vor allem für Entwicklungs- und Schwellenländer ideal, glauben Experten des Hannoveraner Instituts für Verkehrswirtschaft (IVH). Denn allen Verkehrsforschern ist klar, dass sich der Motorisierungsgrad der Industrieländer unmöglich auf die gesamte Weltbevölkerung übertragen lässt, ohne der Umwelt massiv zu schaden. Bereits jetzt setzen erste Politiker Grenzen: So kann in Tokio nur derjenige ein Auto kaufen, der auch einen Parkplatz nachweisen kann.

Literaturhinweis

Umweltwirkungen von Verkehrsinformations- und -leitsystemen im Straßenverkehr. Von G. Gohlisch, Umweltbundesamt Berlin 2000.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 2000, Seite 90
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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