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Bonn auf dem Weg zur 'Wissenschaftsstadt'

Die frühere Bundeshauptstadt Bonn erhält ein neues Profil. Es ist geprägt von großen nationalen Wissenschaftsorganisationen und international orientierten Forschungsinstituten.


Edelgard Bulmahn staunte: So viele sind noch hier? Etwa 30 Journalisten hatten sich am 11. Januar zu dem Pressegespräch der Bundesforschungsministerin in Bonn eingefunden, dem ersten nach dem Umzug der Regierung nach Berlin.

Das von der "Bundes-" zur "Wissenschaftsstadt" gewandelte Bonn ist tatsächlich für Medienvertreter noch immer attraktiv: Nach wie vor befindet sich dort der "1. Dienstsitz" der Bundesmi-nisterien für Bildung und Forschung sowie für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Auch die Bundesministerien für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie für Gesundheit sind wie das Verteidigungsministerium nominell in der Stadt am Rhein beheimatet. Deren "Leitungsebenen" freilich haben sich in der neuen Bundeshauptstadt etabliert und treten nur noch selten in der Bonner Öffentlichkeit auf.

Aber nicht nur die arbeitende Basis der Ministerien ist in Bonn geblieben. Auch zentrale wissenschaftliche Organisationen gedenken nicht, von dort wegzuziehen. Zudem wurden im Rahmen des vertraglich geregelten Bonn-Berlin-Ausgleichs in der Stadt und der Region Bonn neue Institute gegründet. Zu nennen sind vor allem das anspruchsvolle Center of Advanced European Studies and Research (Caesar) und die Fachhochschule Rhein-Sieg. Andere Einrichtungen wurden aus Berlin nach Bonn umgesiedelt. Zusammen mit einer Fülle traditioneller Forschungsinstitutionen prägen sie nun das neue Profil der "Wissenschaftsstadt" Bonn und des sogenannten ABC-Dreiecks Aachen–Bonn–Köln (Cologne): Enge Kooperation von Wissenschaft und wirtschaftlicher Anwendung, Internationalität und Informationstechnik sind die Schlagworte.

Ein Novum: das Forschungszentrum Caesar


Das 1995 gegründete Forschungszentrum Caesar ist ein neues, ungewohntes Stück deutscher Forschungspolitik. Als Stiftung hat es große organisatorische und finanzielle Freiheiten. Der Bund stellte mit rund 700 Millionen Mark dafür ein Viertel seiner gesamten Ausgleichsmittel für Bonn zur Verfügung; das Land Nordrhein-Westfalen ist mit 65 Millionen Mark beteiligt. Caesar orientiert sich an zukunftsträchtigen interdisziplinären Forschungsthemen an den Schnittstellen von Physik, Medizin, Biologie und Informationswissenschaften. Entscheidend schon bei der Auswahl der Themen ist der Marktbezug ihrer künftigen Anwendung. Es gibt keine fest strukturierten Institute. Statt dessen findet Research in Triplets statt: Jeweils drei Forschungsgruppen bearbeiten einen Schwerpunkt: eine grundlagenorientierte Modellgruppe, eine Experimental- und eine umsetzungsorientierte Ingenieurgruppe. Der Direktor Karl-Heinz Hoffmann kommt von der Technischen Universität München; seine Spezialgebiete sind partielle Differentialgleichungen, die Numerik sowie die Mathematische Physik (Interview auf Seite 98).

Gegenwärtig ist Caesar provisorisch in der Bonner Innenstadt untergebracht. In etwa zwei Jahren wird das Institut nach Bad Godesberg umziehen. Die eine Hälfte der dann rund 300 Mitarbeiter wird aus dem Institutsetat, die andere aus Drittmitteln bezahlt.

Die Suche nach einem neuen Standort war sehr schwierig, weil die geplanten Materialforschungen im Nanobereich keine Bodenerschütterungen ertragen wie sie durch Bahnen, den Rhein, die Schifffahrt oder durch Lkw-Verkehr verursacht werden. Derzeit verfolgt Caesar mehrere thematische Schwerpunkte:

- im Forschungs-Triplett "Nanotechnologie" Modellierung und Simulation, Dünne adaptive Schichten, Smart Materials als Dünnschichten für Sensoren und Aktoren,

- im Forschungsbereich "Kopplung biologischer und elektronischer Systeme" die Entwicklung einer Mikrowaage,

- im Forschungs-Triplett "Kommunikationsergonomie" medizinische Simulation, holografische Gesichtsprofilvermessung, Laserablation in Medizin und Materialbearbeitung sowie Rapid Prototyping in der Chirurgie.

Hinzu kommt ein Pilotprojekt "Financial Engineer-ing" zur Messung finanzieller Risiken.

Ebenfalls 1995 wurde die Fachhochschule Rhein-Sieg gegründet. Die Neubauten befinden sich außerhalb von Bonn in Sankt Augustin und in Rheinbach. Im Jahre 2002 soll sie rund 2500 Studierende und 120 Professoren zählen. Schwerpunkte ihrer stark auf die Anwendung in der Region orientierten Forschung sind Wirtschaftswissenschaften, Angewandte Informatik und Kommunikationstechnik, Elektrotechnik und Maschinenbau sowie Chemie und Werkstofftechnik.

Zu den neuen wissenschaftlichen Einrichtungen in Bonn zählt auch die Max-Planck-Projektgruppe zum Recht der Gemeinschaftsgüter. Sie kam im Rahmen des Bonn-Berlin-Ausgleichs zu den bereits ansässigen Max-Planck-Instituten für Radioastronomie – mit seinem 100-Meter-Radio-Teleskop in Bad Münstereifel-Effelsberg – und für Mathematik hinzu.

Aus Berlin nach Bonn umgesiedelt wurden neben anderen die Bundesinstitute für Berufsbildung (BIBB) und für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Letzteres ist eine selbständige Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Gesundheitsministeriums; die über 700 Mitarbeiter – insbesondere Mediziner, Pharmazeuten, Chemiker und Biologen – arbeiten an der kontinuierlichen Verbesserung der Sicherheit von Arzneimitteln, der Risikoüberwachung von Medizinprodukten sowie der Überwachung des Betäubungsmittel- und Grundstoffverkehrs.

Die Universität Bonn orientiert sich international


Der Mittelpunkt des wissenschaftlichen Lebens in Bonn ist nach wie vor die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität mit ihren rund 38000 Studenten und 550 Professoren. Sie trägt wesentlich zur Neuprofilierung der Bundesstadt bei. Das Zentrum für Europäische Integrationsforschung (ZEI) und das Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) – beide 1997 gegründet – bilden dort mit einer gemeinsamen Geschäftsführung das Internationale Wissenschaftsforum Bonn.

Am ZEI mit rund 50 Mitarbeitern untersuchen acht interdisziplinäre Forschungsgruppen rechtliche, wirtschaftliche, soziale, kulturelle und politische Themen, die sich aus der politischen Einigung und Erweiterung der Europäischen Union ergeben. Am 15. Juni soll mit einer Podiumsdiskussion zur Regelung von Klonverfahren und ihren ethischen Grundlagen eine Forschungsstelle "Europäische Regulierung der Life Sciences" offiziell eröffnet werden. Eine Transatlantische Sommerakademie in Bonn zum Thema "Europe Facing the 21st Century: Defining the Central Issues" ist für Juni/Juli ausgeschrieben.

Das ZEF forscht ergebnis- und anwendungsorientiert über globale, regionale und lokale Entwicklungsprobleme. Zusammen mit dem ZEI hat es im November 1999 die internationale Konferenz "Weltachsen 2000" organisiert, um den Dialog zwischen den Regionen und Kulturen der Welt zu stimulieren. Im August wird die Rolle des Dorfes im 21. Jahrhundert in den Mittelpunkt des "Global Dialogue EXPO 2000" gestellt, im Oktober widmet sich ein ZEF-Kongreß dem globalen Klimawandel.

Beide Zentren sind auch in der Aus- und Weiterbildung tätig: Das ZEI hat ein einjähriges European Masters Program zur Verbesserung der "Europafähigkeit" Postgraduierter entwickelt, das ZEF ein dreijähriges International Doctoral Studies Program for Development eingerichtet. Weitere Trainingsprogramme sind geplant.

In enger Anlehnung an die weithin anerkannte volkswirtschaftliche Fakultät der Universität ist 1998 das Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) als gemeinnützige GmbH gegründet worden, an der die Deutsche Post AG maßgebend beteiligt ist. Direktor Klaus F. Zimmermann kommt wie Hoffmann aus München und ist seit kurzem gleichzeitig Direktor des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin. Das IZA beobachtet kontinuierlich die Entwicklung des Arbeitsmarkts. Der Aufgabenbereich erstreckt sich von der Grundlagenforschung bis zur anwendungsbezogenen Vermittlung der Ergebnisse an die Öffentlichkeit. Universität und IZA haben 1999 gemeinsam eine Bonn Graduate School of Economics ins Leben gerufen.

Die Bonner Forschungseinrichtungen zur internationalen Entwicklung sind überdies wichtige Schritte hin zur angestrebten wissenschaftsorientierten "UNO-Stadt". Im Haus Carstanjen am Rheinufer haben sich bereits nicht nur die Freiwilligen-Organisation der Vereinten Nationen und das für Deutschland zuständige Informationszentrum der Vereinten Nationen UNIC niedergelassen, sondern auch die Sekretariate der UN-Konventionen zum Klimawandel, zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tierarten und zur Bekämpfung der Wüstenbildung.

Des weiteren etabliert sich nunmehr in einem neuen Center for International Cooperation (CIC) der europäische Knotenpunkt des Global Development Network (GDN), das mit Hilfe der Weltbank aufgebaut wird. Auf seiner ersten Konferenz im Dezember 1999 in Bonn diskutierten rund 600 Politiker und Wissenschaftler aus 111 Ländern seine Strukturen und Inhalte. Zentrales Anliegen ist eine weltweit engere Zusammenarbeit zwischen Politik und Forschung. Zwei weitere Netzwerke in den Industrieländern werden in Nordamerika und Japan eingerichtet. Sie stehen in enger Verbindung mit den in den letzten drei Jahren aufgebauten sieben regionalen Netzwerken in Entwicklungsländern.

Zentrum für Informationstechnik


Der andere große wissenschaftliche Komplex neben der Internationalität im Raume Bonn ist die Informationstechnik. Eine beherrschende Rolle spielt hier das GMD-Forschungszentrum in Sankt Augustin. Es ist mit mehr als 1000 Mitarbeitern die größte Forschungseinrichtung in Europa für den Bereich Informations- und Kommunikationstechnik. Der dazugehörige Techno-Park dient der Kooperation mit Forschungsunternehmen und der Industrie und ist ein wichtiges Element für die Entwicklung einer zukunftsorientierten Wissenschafts- und Wirtschaftsregion Bonn/Köln. Bisher haben sich dort 22 Firmen aus den Sparten Informations- und Kommunikationstechnik niedergelassen.

Um die organisatorische Zukunft der GMD – ehemals Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung – wird derzeit hart gerungen. Sie soll aus der Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren herausgebrochen und zentraler Teil der neu strukturierten Sektion Informationstechnologie der anwendungsorientierten Fraunhofer-Gesellschaft werden. Das haben Ministerin Bulmahn und die Chefs von Fraunhofer-Ge-sellschaft und GMD im Oktober 1999 handstreichartig beschlossen. Bis zum Redaktionsschluß dieses Heftes wurde aber noch immer darüber gestritten, ob die GMD ihre Grundlagen-"Vorlauf"forschung behalten oder nur noch nach der Fraunhofer-Philosophie marktorientiert, bedarfs- und kundengerecht forschen kann. Unabhängig davon soll die Informationstechnik im Raum Bonn mit einem neu zu gründenden Fraunhofer-Institut gestärkt werden.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 2000, Seite 96
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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