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Bremsen Algen die globale Erwärmung?

Der vom Menschen bewirkte Anstieg des Gehalts der Atmosphäre an Kohlendioxid stimuliert nach neuesten Untersuchungen das Wachstum winziger Planktonalgen im Meer. Dadurch könnten die Ozeane mehr von dem Treibhausgas aufgenommen haben, so daß die Erde bisher vor einer stärkeren Erwärmung bewahrt blieb.


Seit langem stehen Wissenschaftler, die den globalen Kohlenstoffkreislauf erforschen, vor einem Rätsel: Rund ein Drittel der fast 10 Milliarden Tonnen Kohlendioxid (CO2), die der Atmosphäre durch menschliche Aktivitäten jährlich zugeführt werden, verschwinden, ohne daß klar wäre wohin ( Spektrum der Wissenschaft, Juli 1992, Seite 28). Neueste Untersuchungen am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven haben nun ergeben, daß ein steigender CO2-Gehalt der irdischen Lufthülle und damit des ozeanischen Oberflächenwassers das Algenwachstum fördert.

Wie alle Pflanzen nehmen Algen Kohlendioxid auf und wandeln es durch Photosynthese in Biomasse um. Bei einem beschleunigten Wachstum könnten sie also mehr von dem Treibhausgas aufzehren.

Obwohl bereits bekannt ist, daß Landpflanzen bei erhöhter CO2-Konzentration üppiger gedeihen ( Spektrum der Wissenschaft, März 1992, Seite 64), wurde ein ähnlicher Effekt für Meeresalgen bisher nicht in Betracht gezogen. Schließlich ist im Meerwasser zehnmal so viel anorganischer Kohlenstoff gelöst, wie die Algen im Verlauf einer Blüte aufzehren können. Wo ohnehin schon Überfluß an einem Nährstoff herrscht, sollte es auf etwas mehr davon schließlich nicht ankommen.

Für eine CO2-konsumierende Algenzelle ist jedoch nicht die gesamte Menge des im Meerwasser gelösten anorganischen Kohlenstoffs unmittelbar zugänglich. Weil das Meerwasser schwach alkalisch ist (pH-Wert 8,2), liegt nur etwa 1 Prozent des anorganischen Kohlenstoffs in Form von gelöstem CO2 vor; der überwiegende Teil ist dagegen als Carbonat (CO32 –) und vor allem als Hydrogencarbonat (HCO3) gebunden.

Zwar verfügen einige Algengruppen über Enzyme, mit denen sie das reichlich verfügbare Hydrogencarbonat zu nutzen vermögen. Die planktonischen Kieselalgen (Bild 1), die für den Transport von Kohlenstoff aus oberflächlichen in untere Meeresschichten am wichtigsten sind, können jedoch nur CO2 als Kohlenstoffquelle verwerten.

Das von einer Algenzelle aufgenommene CO2 wird durch Diffusion aus der Umgebung sowie durch Umwandlung von Hydrogencarbonat in Kohlendioxid nachgeliefert. Unsere Untersuchungen haben jetzt jedoch gezeigt, daß beide Prozesse zusammengenommen zu langsam sind, um den CO2-Bedarf einer wachsenden Algenzelle zu decken.

Für Kieselalgen ist demnach bei sonst optimalen Wachstumsbedingungen die Verfügbarkeit von CO2 der wachstumsbegrenzende Faktor. Dieses Resultat, das sich zunächst aus Modellrechnungen am Computer ergeben hatte, konnten wir auch in Laborexperimenten bestätigen: Das Wachstum verschiedener getesteter Algen beschleunigte sich mit steigendem CO2-Angebot (Bild 2).

Der limitierende Effekt von Kohlendioxid dürfte sich stets dann am stärksten auswirken, wenn sonstige wachstumsbestimmende Faktoren wie der Lichteinfall und die Verfügbarkeit anderer Nährstoffe günstig sind. Das ist in den gemäßigten Breiten beispielsweise im Frühjahr der Fall, weshalb um diese Jahreszeit dort ausgedehnte Kieselalgenblüten auftreten (Spektrum der Wissenschaft, Dezember 1991, Seite 58). Dabei wachsen vorübergehend mehr Algen, als das Zooplankton wegzufressen vermag.

Die übrigbleibende Algenbiomasse kann in tiefere Meeresschichten absinken, bevor sie sich zersetzt und dabei das assimilierte Kohlendioxid wieder freigibt. Ein durch mehr CO2 beschleunigtes Wachstum der Kieselalgen kann das ohnehin bestehende Ungleichgewicht zwischen Aufbau und Verzehr noch verstärken. Dadurch sinkt ein größerer Anteil der Algenbiomasse aus der Oberflächenschicht ab und nimmt das gebundene Kohlendioxid mit in die Tiefe (Bild 3).

Die Anreicherung von CO2 in der Atmosphäre erhöht demnach die Effizienz der sogenannten biologischen Kohlenstoffpumpes die aus der Luft ins Wasser übergehendes Kohlendioxid von den oberen in die unteren Meeresschichten befördert, wo es für Jahrhunderte oder, falls es ins Sediment gelangt, sogar für Jahrmillionen gespeichert wird. Während die vom Wind gut durchmischte Oberflächenschicht nämlich leicht und schnell Gase mit der Atmosphäre austauscht, verläuft der durch Diffusion vermittelte Stofftransfer zwischen ihr und dem tiefen Ozean nur äußerst langsam. Darum ist die biologische Kohlenstoffpumpe ein sehr wichtiger Mechanismus zur langfristigen Beseitigung von atmosphärischem Kohlendioxid.

Auf den ersten Blick scheint dieses Ergebnis die Forderung nach einer drastischen Verringerung der gegenwärtigen CO2-Emissionen in Frage zu stellen. Das Plankton der Meere, das etwa ein Drittel zum Manzenwachstum auf der Erde beiträgt, könnte sich – so die naheliegende Folgerung – parallel zum Anstieg der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre weiter vermehren und dadurch einen Großteil des in die Luft geblasenen Treibhausgases verschlingen.

Die Laboruntersuchungen zeigen jedoch, daß der wachstumsfördernde Effekt von Kohlendioxid nur bis zu einer bestimmten Konzentration auftritt; danach ist der CO2-Bedarf der Algen gedeckt (Bild 2). Tatsächlich hat das Oberflächenwasser der Meere den für maximale Wachstumsraten benötigten Wert (ungefähr 15 bis 20 Mikromol CO2 pro Liter) inzwischen fast erreicht. Die Kapazität der bisher nicht einkalkulierten Kohlenstoffsenke dürfte also bereits so gut wie ausgeschöpft sein.

Damit aber läßt unser Ergebnis eine Verminderung der CO2-Emissionen sogar noch dringlicher erscheinen. Denn danach hat eine effizienter werdende biologische Kohlenstoffpumpe die klimatischen Auswirkungen aller menschlichen Aktivitäten, durch die Kohlendioxid freigesetzt wird, bisher abgemildert. Wenn dieser Puffer künftig wegfiele, würde ein größerer Teil des Treibhausgases in der Atmosphäre verbleiben und die Erde sich aller Voraussicht nach rascher erwärmen als bisher.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1993, Seite 24
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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