Direkt zum Inhalt

Brief an die Leser


Verehrte Leserin,

sehr geehrter Leser,



mancher Mensch mag noch immer nicht gern an das erinnert werden, was vor allem dem an dem Faktum selbst völlig schuldlosen Charles Darwin übelgenommen worden ist: daß wir zwar das Zeug zu Herren der Welt haben, biologisch aber lediglich – nach der Definition von Ernst Haeckel – Herrentiere sind. Zu denen gehören nun einmal die Affen und Halbaffen (der bereits 1758 von Karl von Linné eingeführte Ordnungsbegriff Primaten schloß überdies die Riesengleiter und Fledertiere mit ein).

Allerdings hat kaum ein von seiner einzigartigen Weisheit überzeugter Homo Anstoß an der weiteren Verwandtschaft genommen. Ein Grund kann sein, daß allerlei Wirbeltiere nützlich sind oder wie Pudel und Perserkatze als possierlich, wie Adler und Löwe als majestätisch empfunden werden. Vielleicht jedoch hat es sich nur noch nicht groß herumgesprochen, daß die Taxonomen zu unserem Stamm der Chordata die Manteltiere zählen, marine sackartige Nahrungsstrudler, deren Herz die Pumprichtung wieder und wieder umgekehrt, und – hier habe ich Schwierigkeiten – die Acrania, also Schädellosen, die mit dem knapp spannenlangen, durchscheinend blassen, im Sand warmer Meeresküsten sich eingrabenden Lanzettfischchen sogar das Paradebeispiel der Systematiker für uns Chordatiere stellen dürfen.

Faszinierend kann das Untersuchen und Sortieren der Körperbaupläne indes auch für den zoologischen Laien im Zusammenhang mit der Evolution werden, denn jeder Stamm der Tierwelt (in der Pflanzenwelt sind es die Abteilungen) steht für eine der großen Entwicklungslinien des Lebens. Überraschend ist nun, daß fast die gesamte tierische Vielfältigkeit der Gegenwart und der fossil belegten Vergangenheit vor mehr als einer halben Milliarde Jahren angelegt worden ist: Ein schon im Frühkambrium von der Natur angeschlagenes grandioses Thema ist seither gleichsam immer neu und anders variiert worden, wie der Meeresökologe und Evolutionsbiologe Jeffrey S. Levinton in dieser Ausgabe (Seite 54) darlegt.

Dramen pflegen freilich – im Detail – auch Stoff für Komödien zu bieten. Nicht von ungefähr war ein Geschöpf der ohnehin recht bizarr anmutenden frühkambrischen Fauna Hallucigenia genannt worden. Wie deren fossiles Relikt die Forscher narrte, lohnt nachzulesen (Spektrum der Wissenschaft, September 1991, Seite 26). Die Pointe: Der peniblen Sorgfalt meiner Kollegin Inge Hoefer hat Hallucigenia zu verdanken, daß sie erstmals korrekt mit sieben Paar Beinen dargestellt wurde statt mit acht, wie es den Rekonstrukteuren unterlaufen war („Nature“, 16. Mai 1991, Seite 227). Doch zählen Sie einmal in der uns jetzt vom Scientific American gelieferten Illustration auf Seite 55 die Beinchen der beiden Exemplare!


Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1993, Seite 3
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.