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Brief an die Leser


Verehrte Leserin,

sehr geehrter Leser,



von wegen Samba mit Girls von Ipanema! Der 390 Meter hohe Pão de Açúcar an der Meerenge zwischen Atlantischem Ozean und der Bucht von Guanabara, der Zuckerhut also, dient diesmal zur Veranschaulichung einer mathematischen Operation (Seite 42): Unsere Autoren vom Wissenschaftlichen Zentrum der IBM in Heidelberg unterbreiten neue Ansätze zum Lösen von Optimierungsproblemen, und sie kommen dabei dem Mathematik-Laien auf zweierlei Weise beachtlich weit entgegen – in der Sache mit einfachen, jedoch äußerst praxistauglichen Verfahren wie auch in der Erklärung, indem sie die abstrakten Regeln in unmittelbar einsichtige Bilder umsetzen; wer etwa Toleranzschwellen nicht unterschreiten darf, kann eben am steilen Berg nur hinan.

Kontext und Gleichnis erwecken freilich weitergehende Assoziationen. Rio de Janeiro war schließlich Schauplatz der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung. Zu deren Auftakt hatte kein geringerer als Hubert Markl, damals als Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, all jene, die noch von einer „wenigstens im Megacomputer total vorherberechenbaren und daher gezielt lenkbaren Welt“ träumen, als „gelehrte Idioten des Fortschritts“ gebrandmarkt („Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 30. Mai 1992). Der Verhaltensphysiologe attestierte der Menschheit generell, „mit den evolutionserprobten und kulturbewährten Methoden immer weiterwachsender Vermehrung den eigenen Untergang zu optimieren“.

Was die Hybris angeht, in der unsere Art die Erde wie ein Schimmelpilz das Kulturmedium überwuchert und auszehrt, ist ihm gewiß zuzustimmen – und auch der Diagnose, daß „wir genau den Strategien mißtrauen lernen müssen, die uns so fulminant erfolgreich gemacht haben“. Dabei ist aber eine begriffliche Klärung vonnöten: Optimieren bedeutet für die Praxis Maximierung von Effizienz und Minimierung von Verschwendung. Markl selbst hatte indes angemerkt, zum genuin Menschlichen gehöre auch die „einzigartige Befähigung, die Kräfte, die uns treiben, zu durchschauen und auf den Weg vorauszublicken, den zu gehen sie uns drängen“; es verkenne die Situation des Ökosystems, „wer uns empfiehlt, das Suchen, Forschen, Planen und Entwickeln neuer Problemlösungen einzustellen“.

Der assoziative Bogen schließt sich – vom Zuckerhut, wo exemplarisch der Luxus der Copacabana dem Elend der Favelas konfrontiert ist, zu den hier vorgestellten Algorithmen. Denn einen davon haben die Autoren (ohne Hintersinn) nach dem Mythos des Untergangs benannt: „Sintflut“.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1993, Seite 3
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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