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Brief an die Leser


Verehrte Leserin,

sehr geehrter Leser,



wir tun – im Rahmen des Möglichen – alles mögliche, europä-isch, aber Europäi-sches nicht falsch zu trennen, Dieselmotor und Planck-Konstante zu unterscheiden sowie auch wildlebende Rinder von in Afrika wild lebenden Gnus. Der Streit, ob aufgrund eines doch nicht so starken Verblassens des Substantiv-Charakters auf Grund zu schreiben sei, kann mitunter nur noch mittels Ersatz(es) durch wegen beigelegt werden. Kurzum, wir suchen die der amtlichen Rechtschreibung zugrundeliegenden Regeln unseren Texten zugrunde zu legen. Diphtherie ist dann ja eine orthographische Lappalie.

Wie Maggi, Weck und Zeppelin ist der Name des Philologen Konrad Duden (1829 bis 1911) zum Sachbegriff geworden. So nennt sich die Redaktion des „Standardwerkes zur deutschen Sprache“ längst Dudenredaktion – analog zu Weckglas. Band 1 (Bild) des zehn Bände mit insgesamt mehr als 8000 Seiten umfassenden Konvoluts ist immer das abgegriffenste Nachschlagewerk an unseren Arbeitsplätzen.

Gleichwohl gebrauchen wir vielfach die international übliche Schreibweise (DNA statt DNS), die fachliche (Stress statt Streß) und die auf Anhieb deutlichere (etwa polysaccharid-spaltendes Enzym trotz des „Duden“-Beispiels Chrom-Molybdän-legiert, Zell-Linie trotz Schiffahrt) aus didaktischen Gründen; bei Fremdwörtern wahren wir, um konsistent zu bleiben, in Fällen wie Telephon (entsprechend phonetisch) oder Photographie (Photon, Graphem) die konservative Form. Dafür bieten wir Ihnen in dieser Ausgabe (Seite 84) den Experten-Vorschlag zur Reform der deutschen Rechtschreibung zum eingehenden Kennenlernen.

Die Diskussion wird insbesondere darüber erbittert geführt, ob sich die Schweiz, Österreich und Deutschland 1995 darauf einigen sollten, daß Substantive in der Regel klein geschrieben werden und das statt daß. Beim Einwand „Kulturverfall“ ist zu bedenken, daß es während der längsten Zeit deutscher Schreibkultur verbindliche Regeln nicht gab oder eben nur solche, die von den 1902 kodifizierten Kompromissen abwichen; und Duden selbst hatte 1880 die erste Auflage seines Wörterbuchs zwar in der Hoffnung herausgegeben, „diese Orthographie in ganz Deutschland und demnächst, soweit die deutsche Zunge klingt, zum Siege gelangen zu sehen“, dem aber ausdrücklich „seine besonderen die Rechtschreibung betreffenden Wünsche zum Opfer“ gebracht.

Die Reform-Vorschläge – „eine sprachpädagogisch verbrämte Form des Klassenkampfs“ („FAZ“ vom 4. Mai 1993) oder nur ein Versuch, endlich zu bessern, was um die letzte Jahrhundertwende versäumt worden war?


Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1993, Seite 3
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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