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Brief an die Leser


Verehrte Leserin,

sehr geehrter Leser,


die Frage, was es mit der Welt auf sich habe, ist von der Physik in diesem Jahrhundert überreich in der Weise beantwortet worden, daß es für die auf Sinneswahrnehmung abgestellte Intuition meist eine Zumutung war. So entwickelte Paul A.M. Dirac Ende der zwanziger Jahre in einem Beitrag zur relativistischen Quantenmechanik eine nun nach ihm benannte Gleichung, der zufolge außer den Komponenten der gewöhnlichen Materie jeweils korrespondierende Teilchen entgegengesetzter Ladung existieren können. Tatsächlich wurde 1932 das Antielektron – das Positron – entdeckt. Mit dem Pendant des positiven Kernpartikels mußte man freilich warten, bis eine Maschine genügend Energie in Masse umzuwandeln erlaubte; dann, 1955, beschleunigte das Bevatron in Berkeley (Kalifornien) Protonen so stark, daß bei der Kollision mit anderen Protonen auch Proton-Antiproton-Paare entstanden (die, wiederum nach Albert Einsteins Formel E = mc2, sogleich in einem Energieblitz zerstrahlten, aber eben daran nachweisbar waren).

Es war das alte Lied, daß Theorie und Experiment einander befruchten. Der Amerikaner Arthur Roberts faßte denn auch, schon als das Bevatron gebaut wurde, den scheinbar zwingenden Gang der Dinge in Verse:

This machine is just a model / for a bigger one of course.

That's the future course of physics / as I'm sure you'll all endorse.

It will cost a billion dollars / and ten billion volts 't will give,

It will take five thousand scholars / seven years to make it live.

So kühn das Spottgedicht vorausschaute – bereits 1982 war es überholt. Damals lief die Planung für den Supraleitenden Super-Collider an, der nicht auf eine Milliarde, sondern auf weit mehr als zehn Milliarden Dollar geschätzt wurde. Wohl nie ist ein so ehrgeiziges ziviles Unternehmen so spät gescheitert. Mein New Yorker Kollege John Horgan recherchierte gerade für seinen Artikel zu der Serie "Trends" (Seite 54), als der US-Kongreß das Projekt -vier Jahre nach Baubeginn – einstellen ließ. Die Stimmung in den Beschleuniger-Labors schildert Horgan: "Ich kam mir vor wie einer jener Reporter, die in dem Moment Eltern ein Mikrophon hinhalten, in dem sie erfahren, daß ihr Kind tödlich verunglückt ist." Wie dennoch die Suche nach fundamentalen Erkenntnissen fortgesetzt werden soll, beschreiben außer seinem Bericht zwei weitere Beiträge zu dieser Ausgabe – eine Buchbesprechung zur aktuellen physikalischen Theorie (Seite 120) und die Vorstellung eines neuen deutschen Experimentiergeräts für den Übergangsbereich von Kern- und Teilchenphysik (Seite 35).


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1994, Seite 3
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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