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Brief an die Leser


Verehrte Leserin,

sehr geehrter Leser,


auch wer die Raumfahrt seit dem Flug von Sputnik I bewußt miterlebt hat, konnte aus dem Beitrag von John M. Logsdon und Alain Dupas über den "Wettlauf zum Mond" (August, Seite 30) bisher unbekannte Fakten erfahren. Es war allerdings nicht nur die Konkurrenz der Supermächte, bei der die USA schließlich mit Neil A. Armstrongs "kleinem Schritt" gewannen – als "großen Sprung", wie der sonst maulfaul im Piloten-Klischee-Slang redende Astronaut (oder sein das Ereignis antizipierender Ghostwriter) so sinnig und einprägsam formulierte, hat er ihn damals tatsächlich für die gesamte Menschheit getan.

Die ist derzeit – fin de siècle – anscheinend von dem, was sie in den letzten zehn Dekaden geleistet und erlitten hat, reichlich erschöpft und noch allenfalls skeptisch "der Zukunft zugewandt" (DDR-Hymne). Das war Mitte des Jahrhunderts anders. Im selben Jahr 1948 etwa, als für den 1845 gegründeten Scientific American das neue Konzept eines modernen Wissenschaftsmagazins entwickelt wurde, scheute sich die junge Redaktion nicht, einen grundseriösen Artikel über die Sonne auf dem Titel mit einem Science-fiction-Bild anzukündigen: unser Zentralgestirn samt seinen Flecken sowie der Korona, Flares und dem nahezu elliptischen Zodiakallicht, wie es von Merkur aus, der keine Atmosphäre hat, zu sehen wäre. Die Illustration stammte von Chesley Bonestell, dessen astronomisch und technisch realitätsnahe Visionen – Bau von Raum-, Mond- und Marsbasen sowie Naherkundung aller großen Himmelskörper in unserem Planetensystem – die Neugier von Forschern, wie es da draußen wirklich sei, anstachelten und die Öffentlichkeit der Vereinigten Staaten auf den Aufbruch von der Erde als großes Abenteuer einstimmten. Ron Miller, selber wissenschaftlicher Illustrator, erinnert in dieser Ausgabe (Seite 58) mit einer Auswahl von Bonestells Panoramen fremder Welten an diese fortschrittsfreudige Phase.

Heute, das ist gewiß nicht das gestrige Morgen. Auch an diesem Exempel wird deutlich, daß sowohl überzogene Erwartungen wie Blindheit für erst bevorstehende Innovationen die Phantasie beschränken und irreleiten. Doch wir wollten damit weder abermals eine Utopie als naives Schweifen durch ein Nirgendwo denunzieren noch als nostalgisch reizvoll rehabilitieren; interessant an der Retrospektive schien uns vor allem, wie über die jeweilige Gegenwart hinausgreifende Ideen Wirklichkeit schaffen. Der Scientific American vom November 1948 bietet dafür ein weiteres Beispiel: Darin stellte Norbert Wiener ein völlig neues Arbeitsgebiet vor – die Kybernetik.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1994, Seite 3
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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