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Brief an die Leser


Verehrte Leserin,

sehr geehrter Leser,


"Formspielereien von oft erstaunlicher Gewöhnlichkeit", so schmähte die "New York Times" noch im Nachruf – "seine Drucke strotzen von gräßlicher Virtuosität".

Berühmt war der niederländische Graphiker M(aurits) C(ornelis) Escher gleichwohl längst, wenn auch weniger in der Kunstszene als wegen seiner Kunststücke: unter Physikern und Mathematikern, Kristallographen und Wahrnehmungspsychologen. Denn was er penibel in Birnbaum-Stirnholz stichelte oder auf Lithographenstein strichelte und in Massenauflagen von mitunter mehr als tausend Exemplaren abzog, sind nur bedingt ästhetische, eher hintersinnig ins Figürliche umgesetzte gedankliche Experimente: Phänomene wie Symmetrie, Konstanz und Modifikation, Projektion, Repetition, Zufall und Ordnung oder Begrenztheit und Unendlichkeit hat er meist stilistisch karg, aber mit skurrilem Witz ins Bild gebracht.

Der Holzschnitt "Metamorphose I" aus dem Jahre 1937 gibt gleichsam einen Querschnitt dieses Werkes. Am Anfang steht eine Bergsiedlung in manieristischer Vogelperspektive, wie Escher sie als junger Mann während seines Italienaufenthaltes vielfach gezeichnet hatte. Die Architektur geht über in eine optische Täuschung, die nach dem Schweizer Louis Necker (1730 bis 1804) benannten Würfel – die schraffierten Rauten deutet man einmal als Deck- und dann wieder als Bodenflächen. Sogleich aber löst sich die evozierte Räumlichkeit in einer planen Parkettierung auf, einer lückenlosen Füllung der Ebene mit einem regelmäßigen Muster, dessen Elemente ihre Umrisse miteinander teilen, statt daß die Kontur Motiv und Hintergrund schiede. Als tragikomische Pointe steht – letzte Mutante – ein fremdartig clowneskes Individuum allein.

Schon mehrfach haben uns Darstellungen von M. C. Escher geholfen, schwer faßbare theoretische Sachverhalte zu veranschaulichen. In dieser Ausgabe (Seite 78) sind etliche das Thema selbst: Die Mathematikerin Doris Schattschneider würdigt ihren wissenschaftlichen Gehalt.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1995, Seite 3
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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