Brief an die Leser
Verehrte Leserin,
sehr geehrter Leser,
Für Aficionados war er einfach "Mr. B.". Georgij Melitonowitsch Balantschiwadse (1904 bis 1983), der sich dann George Balanchine nannte, revolutionierte als letzter Chef-Choreograph der Ballets Russes mit seinem neoklassischen Stil die Tanztheaterszene der westlichen Welt; unter seiner Leitung wurde und blieb das New York City Ballet das prägende Ensemble. Es ist von besonderer Tragik, daß dieser imaginative Meister der schönsten Art, sich gegen die Erdenschwere aufzulehnen, schließlich am sporadischen Creutzfeldt-Jakob-Syndrom litt und starb, das durch geistigen Verfall, Schluck- und Sprachstörungen sowie Verlust der Bewegungskoordination gekennzeichnet ist. Die bislang unheilbare Krankheit ist global verbreitet, trifft aber lediglich etwa je einen von einer Million Menschen.
Sie gehört zu einem ganzen Formenkreis von schweren Degenerationen des Zentralnervensystems, bei denen das Gehirn am Ende schwammartig von Löchern durchsetzt ist. Am häufigsten ist die Scrapie von Schafen und Ziegen, derzeit am beunruhigendsten hingegen die bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE) – der Rinderwahnsinn. Ausgelöst wurde sein epidemisches Auftreten offenbar durch Fleisch- und Knochenmehl aus Schafskadavern, das dem Vieh unter das Kraftfutter gemischt worden war. Seit dem Verbot dieser Praxis sind zwar nur mehr sehr wenige neue Fälle registriert worden; die Sorge ist aber weiterhin, ob Fleisch verseuchter, doch noch nicht merklich kranker Rinder wiederum Menschen infizieren könne.
Im Sommer 1994 hatte Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer bei der Europäischen Union durchgesetzt, daß aus Großbritannien, wo mehr als 130000 Tiere an BSE eingegangen waren oder getötet werden mußten, nur schieres Muskelfleisch importiert werden durfte, das als risikolos gilt, oder generell Fleisch von Herden, die sechs Jahre befallsfrei waren. Seit dem 7. Februar dieses Jahres darf nach einer neuen EU-Verordnung, die auf dem Votum des wissenschaftlichen Veterinärausschusses bei der EU beruht, in den Ländern der Gemeinschaft Fleisch von solchen britischen Rindern frei verkauft werden, die nach dem 1. Januar 1992 geboren sind.
Weiß man schon von der Übertragung der bei Mensch und Tier ähnlichen Gehirnerkrankungen nicht genug, ist deren Ursache erst recht rätselhaft. Der amerikanische Neurologe und Biochemiker Stanley B. Prusiner hatte in dieser Zeitschrift bereits im Dezember 1984 einen phantastisch anmutenden Verdacht unterbreitet: Die Erreger sehen, was er Prionen nannte – Proteinpartikel, die sich wohl ohne eigene Erbsubstanz in lebenden Zellen vermehrten. In dieser Ausgabe (Seite 44) führt er neue Indizien für diese Theorie an. Heino Diringer und Muhsin Özel vom Robert-Koch-Institut in Berlin diskutieren (Seite 52) die alternativen Hypothesen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1995, Seite 3
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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