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Brief an die Leser


Verehrte Leserin,

sehr geehrter Leser,


Scientific American besteht in diesem Monat 150 Jahre. Konzipiert als "Advokat von Industrie und Unternehmertum", zugleich aber als "Journal mechanischer und anderer Verbesserungen" (so der früheste Untertitel), wurde die Zeitschrift, die dann zunächst wöchentlich herauskam, das in den Vereinigten Staaten am längsten kontinuierlich publizierte Periodikum.

Der Ruhm der Gründung gebührt einem Manne, der sich "zeitlebens die schweifenden Interessen und die unstillbare Neugier eines Sechsjährigen" bewahrt hat, wie einer seiner Biographen urteilte: Rufus Porter (1792 bis 1884) betätigte sich unter anderem als Schilder- und Porträtmaler, als Flötist in Militärkapellen und Geiger im Salon, als Lehrer, Redakteur und Erfinder; er konstruierte eine windgetriebene Kornmühle, eine Kamera, eine Butter- und eine Waschmaschine sowie ein Revolver-Gewehr – die Rechte daran überließ Porter allerdings für 100 Dollar Samuel Colt, dem bald weltgrößten Rüstungsproduzenten. Was von alledem blieb, war der Scientific American.

Als die Erstausgabe am 28. August 1845 in New York erschien, reichten die USA (ohne ihre Territorien) nur stellenweise westlich bis über den Mississippi; Florida und Texas kamen erst im selben Jahr als 27. und 28. Staat hinzu. Landwirtschaft war der wichtigste Erwerbszweig; Baumwolle brachte damals im Export mehr Erlöse als alle anderen Güter zusammen. Entsprechend sprunghaft stieg der Preis von Sklaven. Aber die Devise der Epoche war Fortschritt durch Technik. Von der Ostküste her drangen Textilmanufakturen vor. Knapp 5000 Meilen Eisenbahngleise waren gelegt (bis zur Jahrhundertwende wurden es 200000). Das Patentwesen blühte. Viele gebildete Europäer reisten eigens über den Atlantik, um über die für sie befremdlich dynamische, optimistische und vitale Gesellschaft dieser turbulenten Neuen Welt zu berichten. Zudem trafen allein zwischen 1830 und 1850 zweieinhalb Millionen Emigranten ein, vor allem aus dem hungernden Irland und dem politisch unruhigen Deutschland des Vormärz.

Porter wandte sich an "intelligente und freisinnige Werktätige", um sie "zu unterrichten wie auch zu unterhalten oder zu erbauen". Illustrative Stiche – "viele davon elegant", wie er versprach – würden dazu dienen. Das Blatt sollte unabhängig sein, nur "der Vernunft und dem common sense" folgen. Doch unstet, wie er war, verkaufte Porter das aufstrebende Unternehmen nach zehn Monaten für 800 Dollar. Die Erwerber starteten damit eine amerikanische Karriere: Orson D. Munn war eben 20 geworden, sein Kompagnon Alfred E. Beach war sogar noch ein Jahr jünger.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1995, Seite 3
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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