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Brief an die Leser


Verehrte Leserin,

sehr geehrter Leser,


seit Beginn dieses Jahrhunderts leben wir in einer bizarr fremden Welt; in ihren Grundbedingungen ist sie intuitivem Verständnis nicht zugänglich. Vordem schien die Physik im wesentlichen vollendet. Doch gaben gewisse noch ungelöste Fragen den Anstoß für die zwei seither beherrschenden naturgesetzlichen Systeme: die Quantentheorie, deren Ausgangspunkt Max Plancks Hypothese von 1900 war, die als Oszillatoren wirkenden Partikel eines Körpers könnten Energie nur in diskreten kleinsten Einheiten aufnehmen und abgeben, und die Relativitätstheorie, begründet mit Albert Einsteins Arbeit "Zur Elektrodynamik bewegter Körper" von 1905.

Beide Gedankengebäude sind durch Experimente und Beobachtungen sowie durch interpretierende Formalismen reich ausgestaltet worden. Aber ein übergreifender Zusammenschluß ist selbst am Ende dieses an Erkenntnis geradezu berstenden Jahrhunderts gar nicht abzusehen. Vielmehr häufen sich profunde Probleme: Was hat es eigentlich mit der Raumzeit auf sich? Was mit den darin existierenden Singularitäten, genannt Schwarze Löcher? Was unterscheidet die Verhältnisse beim Urknall von denen im Endzustand des Universums, wenn es denn wieder in sich zusammensacken sollte? Und wäre ein solcher Kollaps die Umkehrung der Expansion mit der Folge, daß die eindeutig gerichtete Zeit gleichsam zurückschnurrte?

Zwei eminente britische Forscher, Roger Penrose und Stephen William Hawking, haben diese Fragen an der Universität Cambridge kontrovers diskutiert. Auszüge ihrer Vorträge finden Sie kommentiert von Seite 46 an. Hawking, extrem behindert durch amyotrophische Sklerose und deshalb auf mühselige Verständigung mittels Computers beschränkt, war 1979 auf den Lucasischen Lehrstuhl am Trinity College in Cambridge berufen worden, den schon Isaac Newton innehatte; er beschäftigt sich vorwiegend mit kosmologischen Themen. Sein Buch "Eine kurze Geschichte der Zeit" wurde weltweit zum Bestseller. Penrose, Professor an der Universität Oxford, schweift weiter aus; mit seinem Buch "Computerdenken" führte er unter anderem den bislang vehementesten Angriff auf das Konzept künstlicher Intelligenz, und im Folgeband "Schatten des Geistes" sucht er provozierend Wege zu einer neuen Physik des Bewußtseins. In einem stimmen die befreundeten Kontrahenten indes überein: daß erst eine Quantentheorie der Gravitation die Natur vollständig beschreiben könne.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1996, Seite 3
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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