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Bröckelnde Fronten in der Embryodebatte



Als Ende November letzten Jahres die Meldung Schlagzeilen machte, Wissenschaftler der US-Firma Advanced Cell Technology hätten die ersten geklonten menschlichen Embryonen erzeugt, schienen die Albträume all derer Wirklichkeit geworden, die in den Gentechnologen schon immer potenzielle Schöpfer von Frankenstein-Monstern vermutet hatten. Doch wer einen Sturm der Entrüstung in den Medien erwartete, sah sich getäuscht. Zwar waren die Kommentare ausnahmslos ablehnend, blieben aber angesichts der Tragweite des Tabubruchs erstaunlich sachlich und nüchtern – keine Spur jenes Schaums vor dem Mund, der manche Stellungnahmen in der Debatte um Klonen und pränatale Diagnostik im vergangenen Jahr unangenehm geprägt hatte.

Empörung flammte stattdessen auf Seiten der Wissenschaftler auf. Die schärfsten Worte fand Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard, indem sie die Arbeiten ihrer amerikanischen Kollegen als "verwerflich" brandmarkte.

Allerdings richtete sich die Kritik deutscher Forscher zum großen Teil gegen die noch dürftigen wissenschaftlichen Ergebnisse. Außerdem erklärte sich die stark emotionale Reaktion sicher auch aus der Befürchtung, das skrupellose Vorpreschen einer um Geldgeber buhlenden US-Firma könne das öffentliche Klima hier zu Lande derart verschlechtern, dass selbst bescheidene Untersuchungen – etwa an importierten Stammzellen – nicht mehr möglich wären.

Doch diese Angst war unbegründet: Der öffentliche Aufschrei blieb aus. Stattdessen kamen sogar aus dem bis dahin monolithischen kirchlichen Ablehnungsblock ungewöhnliche Töne. In einem Spiegel-Interview distanzierte sich der evangelische Theologe Richard Schröder vom offiziellen Standpunkt der beiden großen christlichen Konfessionen, dass eine befruchtete Eizelle bereits ein vollwertiger Mensch und die Präimplantationsdiagnostik aus ethischen Erwägungen grundsätzlich abzulehnen sei.

Über ein Jahr lang haben Hardliner auf beiden Seiten versucht, ihre Posi-tionen abzustecken, und in einem Pseudodialog stur aneinander vorbei geredet. Nun endlich scheinen sich die Fronten aufzuweichen, und ein echter Diskurs könnte beginnen. Das Ziel muss ein breiter gesellschaftlicher Konsens sein, der den Missbrauch des menschlichen Erbguts verhindert und die wohlverstandene Würde auch des werdenden menschlichen Lebens schützt, aber nicht alle Chancen, mit gentechnischen Methoden menschliches Leid zu lindern, von vorneherein vereitelt. Die Hoffnung wächst, dass wider alles Erwarten ein solcher wohlabgewogener Kompromiss zu Stande kommt.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 2002, Seite 22
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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