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Brutpflege und mögliche Paarbindung bei Fröschen

Bei einigen tropischen Froscharten werden die Eier nicht einfach sich selbst überlassen, sondern von Männchen oder Weibchen oder beiden umhegt. Bei wenigen Spezies versorgen die Elterntiere auch noch die Kaulquappen; in einzelnen Fällen ist ihre Kooperation dabei so eng, daß der Eindruck einer Paarbindung entsteht.

Farb, Pfeilgift- oder Baumsteigerfrösche aus der Familie der Dendrobatidae bewohnen die feuchten Tropen der Neuen Welt (siehe Spektrum der Wissenschaft, April 1983, Seite 34). Berühmt geworden sind sie durch die starken Hautgifte und die leuchtenden Farben von vielen der ungefähr 165 Arten. Kolumbianische Indianer gewinnen aus einigen Spezies Gift (Batrachotoxin) für ihre Pfeile, und das toxische Hautsekret von Epipedobates tricolor ist wegen seiner stark schmerzlindernden Wirkungen Gegenstand medizinischer Forschungen.

Alle Farbfrösche sind klein und tagaktiv. Sie ernähren sich von winzigen Insekten, Milben und Spinnentieren und sind deshalb immer auf der Suche nach Beute. Ihrer unermüdlichen Aktivität und der kräftigen Farben wegen sind sie bei Besitzern von Terrarien sehr beliebt. Aus diesem Grunde ist auch die komplizierte Fortpflanzungsbiologie seit langem ebenso bekannt wie die für Amphibien höchst ungewöhnliche Brutfürsorge der meisten Arten (Spektrum der Wissenschaft, September 1992, Seite 64).

Alle Dendrobatidae legen ihre Eier auf dem Land ab – in einem feuchten Versteck oder einfach auf einem Blatt. Meist bewacht das Männchen das Gelege oder besucht es regelmäßig und hält es feucht, indem es sich darauf niederläßt und einen Tropfen Urin aus seiner Harnblase abgibt. Sobald die Kaulquappen geschlüpft sind, klettern sie bei solch einer Gelegenheit auf den Rücken des Männchens. Dieses eilt dann zur nächstgelegenen Wasserstelle – einem Bach, einem Tümpel, einer Pfütze oder sogar nur einer Baumhöhle – und setzt sich solange hinein, bis sich die Larven gelöst haben und davonschwimmen. Damit ist die Brutpflege bei den meisten Arten abgeschlossen.


Fütterung der Larven mit Eiern

Bei einigen Spezies werden die Kaulquappen dagegen in winzige Wasseransammlungen gebracht, die sich in Blattachseln von Bromelien (Ananasgewächsen) oder anderen Pflanzen oder in kleinen Bäumlöchern befinden. Diese sogenannten Phytotelmen enthalten häufig nicht genügend Nahrung. Darum füttern die betreffenden Frösche ihre Larven mit Eiern.

Bei einer solchen besonders fürsorglichen Art hat Janalee P. Caldwell vom Oklahoma Museum of Natural History die Brutpflege kürzlich im Freiland genau untersucht und beschrieben ("Nature", Band 385, Seite 211). Es handelt sich um Dendrobates vanzolinii, einen Winzling von nur 17 bis 18 Millimeter Körperlänge aus dem amazonischen Regenwald (Bild 1 links).

Bei der Paarung ruft das Männchen ein fortpflanzungsbereites Weibchen und führt es zu einem Versteck. Dort werden nach einem komplizierten Ritual ohne Amplexus (Umklammerung) ganz wenige Eier abgelegt, manchmal nur ein einziges, und befruchtet. Nachdem die Larve geschlüpft ist, setzt sie das Männchen wie üblich in einer Phytotelme aus. Danach ruft es erneut und geleitet das angelockte Weibchen zur Kaulquappe. Dort findet wiederum eine Paarung mit Ablage einiger Eier ins Wasser statt. Diese bleiben jedoch, weil die Besamung nur auf dem Trockenen richtig klappt, meist unbefruchtet und dienen der Larve als Nahrung. Sie wird auf diese Weise etwa alle fünf Tage gefüttert.

Das Weibchen kann dabei auch ein Ei oberhalb der Wasserlinie absetzen, das dann besamt wird und sich entwickelt. Die daraus geschlüpfte Larve trägt das Männchen später in eine andere, noch leere Blattachsel (Bild 1 links), da sie sonst von der älteren, kannibalischen Kaulquappe gefressen würde.

Diese Verhaltensweisen decken sich mit dem, was die Hobbyherpetologen Mathias Kneller sowie Helmut und Elke Zimmermann früher schon an den nah verwandten Arten D. reticulatus und D. imitator im Terrarium beobachtet haben. Leider macht Janalee Caldwell keine Angaben darüber, was mit Larven geschieht, die nicht gefüttert werden. Die Terrarienbeobachtungen deuten darauf hin, daß die Brutpflege fakultativ ist. Die Kaulquappen haben mit Hornzähnen bewehrte Münder und sind Allesfresser, die außer Eiern auch Mückenlarven, pflanzliches Material und anderes verzehren können. Aber selbst wenn ungefütterte Larven überleben und zur Metamorphose kommen, so haben die gefütterten Tiere sicherlich einen entscheidenden Entwicklungsvorsprung.


Partnerschaftliche Aufzucht

Janalee Caldwell hat festgestellt, daß bei den wiederholten Fütterungen stets die gleichen Männchen und Weibchen zusammen waren. Daraus schließt sie, daß zwischen beiden eine feste Paarbindung besteht. Ob dem wirklich so ist, hängt allerdings von der Definition dieses Begriffes ab. Von individuellem Erkennen ist in dem Bericht nicht die Rede. Vielleicht beruht der Zusammenhalt der beiden Partner einfach darauf, daß jeder gleichgeschlechtliche Eindringlinge aus dem Territorium vertreibt.

Diese Form von Paarbindung ist kürzlich auch in der Familie der Laubfrösche (Hylidae) beobachtet worden, die allein in Südamerika mit mehreren hundert Arten vertreten sind. Mein Mitarbeiter KarlHeinz Jungfer hat den zentralamazonischen Vertreter Osteocephalus oophagus in der Reserva Duke bei Manáus (Brasilien) ein halbes Jahr lang studiert.

Bei dieser Art legt das Paar mehr als hundert Eier in eine größere Bromelien-Blattachsel. Später findet es sich alle 5 bis 15 Tage wieder am Gelege ein; meist ruft das Männchen in der Nähe, und das Weibchen kommt, wenn die Ovulation einsetzt. Es läßt sich vom Partner klammern und trägt ihn huckepack die letzten Meter bis zur Blattachsel (Bild 1 rechts). Dann legt es weitere Eier hinein, die den älteren Larven als Nahrung dienen. Sie werden zwar vom Männchen besamt und könnten sich entwickeln, erhalten aber keine Chance dazu, solange noch hungrige Kaulquappen in der Blattachsel leben.

Dies ist eine einfache Brutpflege, die dadurch gesichert wird, daß das Paar immer die gleiche Wasserstelle aufsucht und sich dort regelmäßig trifft. Niemals wurde beobachtet, daß das Männchen mit einem anderen Weibchen kam oder umgekehrt. Wenn ein Partner einem Räuber zum Opfer gefallen war, blieben die Larven verwaist und starben schließlich.


Brutpflege auch ohne Paarbindung

Ein längerer Paarzusammenhalt ist jedoch keine Vorbedingung für eine erfolgreiche Brutpflege. Das gilt etwa für die viel spezialisiertere Fortpflanzungsbiologie des Erdbeerfröschchens (Dendrobates pumilio; Bild 2 links) aus Costa Rica und Panama, die ich schon 1980 im Labor studiert habe. Bei dieser Art ist die Brutpflege obligatorisch: Die Larven können nur Eier fressen und verhungern, wenn sie keine bekommen.

Nach der Paarung versorgt zunächst das Männchen das Gelege: Es kommt regelmäßig und befeuchtet es. Danach lockt es mit Rufen das Weibchen herbei, das allerdings meist keine weiteren Eier ablegt. Je älter das Gelege wird, desto öfter kommt das Weibchen von sich aus. Wenn die Larven nach etwa zwei Wochen geschlüpft sind, trägt es sie einzeln in verschiedene BromelienBlattachseln (Bild 2 links).

In den sechs bis zehn Wochen, welche die Kaulquappen für die Entwicklung benötigen, werden sie dann alle fünf bis zehn Tage vom Weibchen besucht und mit je drei bis sieben unbefruchteten Eiern gefüttert. Ein gut genährtes Weibchen kann im Laboratorium bis zu sieben Larven in verschiedenen Blattachseln versorgen. Während dieser Zeit geht es keine weiteren Paarungen ein. Das Männchen kann dagegen versuchen, andere Weibchen anzulocken, die sich in seinem Territorium aufhalten; tatsächlich sind oft mehrere vorhanden.

Beim Erdbeerfröschchen gibt es ei-ne primitive Kommunikation zwischen Larve und Mutter. Die Kaulquappe schwimmt in auffälligen Kreisen an der Wasseroberfläche, wenn sich das Weibchen – oder auch ein anderer kleiner Frosch – nähert. Die Besucherin schaut erst intensiv in die Blattachsel, dreht sich dann um und rutscht rückwärts ins Wasser. Nun schwimmt die Larve auch gegen das Weibchen, vor allem gegen seine Kloakenregion. Wahrscheinlich stimuliert sie damit die Eiabgabe. Die Kaulquappe zeigt also, daß sie lebt und hungrig ist – sie bettelt gleichsam. In eine Achsel, in der die Larve gestorben oder aus der sie entfernt worden ist, werden keine Nähreier gegeben.

D. pumilio gehört zur Dendrobates histrionicusArtengruppe, die besonders schöne und bei Besitzern von Terrarien sehr beliebte Farbfrösche enthält. Die geschilderte Brutpflege ist inzwischen von verschiedenen Herpetologen bei den meisten Mitgliedern dieser Gruppe bestätigt worden, beim Erdbeerfröschchen auch durch Freilanduntersuchungen.

Spezialisierte Brutpflege ohne Paarbindung kommt auch bei Laubfröschen vor. Der Kronenlaubfrosch (Anotheca spinosa; Bild 2 rechts) benutzt Baumhöhlen oder sehr große Bromelien als Laichgewässer. Wie bei D. pumilio sucht das Weibchen nach der Paarung seine Larven allein auf und füttert sie alle 10 bis 14 Tage mit unbefruchteten Eiern. Die Kaulquappen schwimmen dabei vehement gegen seine Kloakenregion und verschlingen die austretenden Eier sofort. Erst wenn keine Larven mehr betteln, geht das Weibchen eine neue Paarung ein.

Die geschilderten Untersuchungen machen das breite Spektrum an Verhaltens und Fortpflanzungsweisen bei den tropischen Froscharten deutlich, wie es Forschungen in den letzten beiden Jahrzehnten aufgedeckt haben. Zwar wird die Fortpflanzung durchweg durch Kooperation von Weibchen und Männchen gewährleistet, doch ist längerer Paarzusammenhalt die Ausnahme und kommt interessanterweise nur in Verbindung mit einer eher schlichten Brutpflege vor. Er ist auch nicht unbedingt von Vorteil. Ein Weibchen, das seine Larven allein besucht, ist viel weniger gefährdet als eines, das einem rufenden Männchen nachläuft oder seinen Paarungspartner auf dem Rücken trägt. Zudem werden die Larven auch dann weiter versorgt, wenn das Männchen verunglückt.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1997, Seite 12
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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