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Elektronik-Recycling: Care-Elektronik im geschlossenen Kreislauf


Wirtschaften in Kreisläufen ist umweltgerecht und ökonomisch sinnvoll, sofern bei der Entsorgung von Produkten erneut eine möglichst hohe Wertschöpfung erreicht wird. Zwar machen die jährlich in der Europäischen Union anfallenden 6,5 bis 7,5 Millionen Tonnen Elektro- und Elektronikschrott nur 1 Prozent des gesamten Feststoffabfalls und auch nicht mehr als 4 Prozent des Hausmülls aus, doch enthält diese Menge, wie die vorigen Beiträge dargelegt haben, wiederverwendbare Komponenten und eine Vielzahl von Materialien, aus denen sich erneut Rohstoffe gewinnen lassen.

Diverse Forschungsprojekte und Kooperationen auf nationaler und internationaler Ebene behandeln Aspekte des Problems. Einen umfassenderen Ansatz verfolgt das Eureka-Schirmvorhaben Care "Vision 2000" (comprehensive

approach for recycling of electronics). Ursprünglich 1993 von der Firma Sony Europa vorgeschlagen, ist es mittlerweile ein freiwilliger Verbund verschiedener wichtiger Hersteller der Informations- und Unterhaltungselektronik wie entsprechender Zulieferer und Entsorger geworden; an dem interdisziplinär angelegten Projekt beteiligen sich zudem zahlreiche Forschungsinstitute. Vor dem Hintergrund gesetzlicher Vorgaben sollen technische, logistische, ökonomische und ökologische Fragen im Gesamtzusammenhang untersucht werden; man ist deshalb bemüht, möglichst viele relevante Firmen und Institutionen einzubinden. Als Ergebnis sollen immer mehr Alt-

geräte durch Wiederverwendung oder

-verwertung in den Wirtschaftskreislauf rückgeführt werden.


Care-Forschungsthemen

In diesem Rahmen werden insbesondere recyclingorientierte Konstruktionsprinzipien, die Logistik zur Rückführung von Altgeräten und die Wirtschaftlichkeit teilautomatisierter Demontage erforscht. Indikatoren und Meßverfahren für Qualitätszustand und vermutlich verbleibende Gebrauchsdauer der wiederverwendbaren Produkte sind ein weiteres Themengebiet.

Auch sucht man Wirtschaftsstrukturen zu verbessern. So dürften insbesondere kleine und mittlere Unternehmen von einer Kreislaufwirtschaft profitieren, wenn sie entsprechende, kundennah verfügbare Dienstleistungen anbieten. Immer kürzerer Innovationszyklen wegen könnte es für viele Endkunden attraktiver werden, Geräte zu mieten oder von Zeit zu Zeit modernisieren zu lassen, statt immer rascher neue zu kaufen. Reparatur, Service und Modernisierung sind lokale Märkte und helfen dem Mittelstand, in Zusammenarbeit mit den global agierenden Großunternehmen Beschäftigung zu sichern beziehungsweise Arbeitsplätze zu schaffen. Deshalb kooperiert der Forschungsverbund mit Vereinigungen wie dem Zentralverband der Deutschen Elektrohandwerke, der unter anderem etwa 10000 Radio- und Fernsehbetriebe

vertritt, dem Bundesverband für Sekundärrohstoffe und Entsorgung sowie

dem Bundesverband Mittelständische Wirtschaft, in dem insgesamt rund 40000 kleine und mittlere Unternehmen sowie angeschlossene Verbände organisiert sind.


Die Wissensbasis

Grundvoraussetzung einer effektiven, geschlossenen Wertschöpfungskette ist aber die Information aller daran Beteiligten über ein Produkt von der Herstellung bis zur Entsorgung (im fachlich-englischen Sprachgebrauch in Anlehnung an das Werden und Vergehen von Organismen als life cycle bezeichnet). Auf diesem Gebiet besteht nach Ansicht der Kooperationspartner im Care-Verbund noch erheblicher Handlungs- und Forschungsbedarf.

Beispielsweise kann ein Dienstleister ein Altgerät effektiver warten oder auf den technisch neuesten Stand bringen, wenn er einerseits Materialkennwerte sowie Reparatur- und Demontagehinweise des Herstellers schnell parat hat, aber andererseits auch von Phasen der Überlastung – etwa durch zu hohe Temperaturen oder durch Stoß – während des Gebrauchs erfährt. Auch ein Demontage-

roboter wird produktiver einzusetzen sein, wenn ihm Angaben zu schadstoffhaltigen oder noch intakten Baugruppen in elektronischer Form zur Verfügung stehen.

Solche Informationen kann man teilweise zentral, teilweise dezentral bereitstellen. So hat das Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration in Berlin zusammen mit einem Firmenkonsortium das "Informationssystem zur Dienstleistung Entsorgung von Elektrogeräten" entwickelt. Darauf soll in Zusammenarbeit mit der Industrie ein vom Fraunhofer-Institut für Informations- und Datenverarbeitung in Karlsruhe konzipiertes System vernetzter Datenbanken aufbauen, das Herstellern, Distributoren, Dienstleistern und Entsorgern unterschiedliche Datenquellen zugänglich macht, die sie für ihre Belange jeweils benötigen. Damit könnte ein Händler sich auf Kundenanfrage bei Recycling-

betrieben nach bestimmten gebrauchten Baugruppen erkundigen, ein Fuhrunternehmen Kapazitäten für den Transport von Schrottfraktionen anbieten, aber auch ein Konstrukteur Hinweise finden, wie etwa Probleme bei der Gestaltung von besonders demontagefreundlichen Chassis zu lösen seien.

Alternativ oder ergänzend dazu können Informationen dezentral abgefragt werden, wenn sie im Gerät direkt gespeichert sind. Dazu dient ein spezieller Chip, die sogenannte Identifikationseinheit (identification unit, IDU). Ein solcher Baustein enthielte außer Speicher, Prozessor und Ein- beziehungsweise Ausgabe-Einheit auch spezielle miniaturisierte Sensoren (Bild). So ließen sich nicht nur statische Daten etwa über die verwendeten Materialien und zur Bauweise im Chip speichern, sondern auch ausgewählte Betriebsdaten und kritische Belastungen registrieren.

IDUs werden sich freilich nur rentieren, wenn Herstellung und Einbau wenig kosten. Hohen Stückzahlen und damit geringem Preis wäre ihr Einsatz auch in anderen Abschnitten des life cycle wie Produktionssteuerung, Transport, Inventarisierung oder beim Überwachen von Verfallsdaten förderlich. Es gibt bereits vergleichbare Identifikations- und Datenspeichersysteme mit Schreib-Lese-Modulen, die Anweisungen zur Montage von Kleingeräten speichern und ihre Ausführung protokollieren.

Derzeit erarbeitet ein Gremium der Vereinigung europäischer Computerhersteller unter dem Vorsitz von Siemens Richtlinien für Produkte und Produkt-teile unter Umweltgesichtspunkten, die einmal Grundlage weltweit gültiger Standards und Datenformate sein könnten. Wenn in der Zukunft elektronische Komponenten so weit vereinheitlicht sind, daß man sie in unterschiedlichen Geräten einsetzen kann, lassen sich nicht nur Ressourcen schonen, sondern auch – ganz im Sinne der Care-Vision – durch Wiederverwenden Gewinne erwirtschaften und Arbeitsplätze in dienstleistenden Gewerben schaffen.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1998, Seite 116
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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