Chemische Sensoren - technische Sinnesorgane für Riechen und Schmecken
Bei vielen Anwendungen kommt es darauf an, menschliche Sinneswahrnehmungen nachzuahmen, zu ergänzen und zu automatisieren – sei es im Bereich des Umweltschutzes, bei der Produktionskontrolle oder bei Alarmmeldern. Während es bereits elektronische Pendants für Sehen, Hören und Fühlen in Form von hochwertigen Kameras, Mikrophonen und Tastern gibt, sind solche für Schmecken und Riechen bisher weit weniger leistungsfähig.
Der Grund für diese Diskrepanz ist ein Mangel an geeigneten chemischen Sensoren. Für derartige Meßfühler sind Materialien erforderlich, die – ähnlich wie ein Schloß, das nur auf den genau dazu passenden Schlüssel reagiert – von den nachzuweisenden Molekülen oder Ionen aktiviert werden. Die Information über Anwesenheit und Konzentration bestimmter Substanzen wird anschließend über einen sogenannten Transducer in ein elektrisches Signal umgesetzt und ausgewertet (Bild 1).
Ein genaues Verständnis der Schlüssel-Schloß-Wechselwirkung – insbesondere der Vorgänge an den beteiligten Grenzflächen – ist unerläßlich, wenn eine Substanz zuverlässig nachgewiesen werden soll. Um Verbindungsgemische analysieren zu können, muß man unterschiedliche Sensoren einsetzen und deren Kenndaten mit Mustererkennungsverfahren auswerten. (Dieser Vorgang entspricht dem biologischen Vorbild: Gerüche werden über nicht-molekülspezifische Rezeptoren in der Nase und nachfolgende Verarbeitung der Reize im Gehirn erkannt.)
Ein Bedarf an chemischen Sensoren besteht für vielfältige Anwendungen, von der Verfahrenstechnik über die Emissions- und Immissionskontrolle und die Arbeitsplatzüberwachung, die klinische Analytik und medizinische Diagnostik bis zum Kraftfahrzeug- und Haushaltsbereich. Ihre Aufgabe ähnelt der von Laborgeräten der analytischen Chemie, wobei aber weniger eine hohe Meßgenauigkeit angestrebt wird als vielmehr eine einfache Handhabung am Einsatzort bei kleinen Abmessungen und geringen Herstellungskosten.
Man setzt die Meßfühler dabei im allgemeinen für drei unterschiedliche Zwecke ein:
- für die quantitative Bestimmung von Stoffen (beispielsweise für den Nachweis des geruchlosen, aber toxisch wirkenden Kohlenmonoxids),
- für die Bestimmung von Summenparametern (etwa für die Detektion brennbarer Gase in explosionsgeschütztem Milieu) oder
- für die qualitative Charakterisierung von Gerüchen nach objektiven Kriterien (etwa beim Bewerten von Bier- oder Tabakgerüchen).
Die Sensoren müssen nicht nur für den Nachweis spezifischer Substanzen entwickelt, sondern auch für den jeweiligen Einsatz in einer bestimmten Umgebung angepaßt sein. So funktionieren Sensoren zur Kontrolle der Sauerstoffkonzentration nach unterschiedlichen Prinzipien, je nachdem ob in Gasen, in geschmolzenem Stahl oder in menschlichem Blut gemessen wird.
Je nach Art des Signalwandlers oder Transducers, der die chemische Information in ein elektrisches Signal umsetzt, unterscheidet man verschiedene Typen von chemischen Sensoren (Bild 2).
Die heute interdisziplinär ausgerichtete Forschung sucht alle Komponenten eines Sensorsystems zu verbessern. So entwickelt man neue thermodynamisch oder kinetisch stabile Materialien für Filter, Katalysatoren und Sensoren ebenso wie unterschiedliche Transducer-Strukturen und elektronische Auswerteverfahren. Die Perfektion des gesamten Systems wird dabei wie bei einer Kette durch das schwächste Glied bestimmt; bei vielen Anwendungen ist die gezielte Optimierung von Transducer-Elementen und deren chemischer Aktivierung entscheidend. Wesentlich ist dabei insbesondere die Kontrolle von Grenzflächeneigenschaften, damit sich eine hohe Reproduzierbarkeit der Sensor-Signale erreichen läßt.
Dies erfordert, die reversibel ablaufenden physikalisch-chemischen Vorgänge innerhalb des Sensors zu erforschen und zu optimieren; irreversible Alterungseffekte beim praktischen Einsatz gilt es zu vermeiden. Dazu setzt man sowohl grundlagen- als auch anwendungsorientierte Meßverfahren ein: Mit verschiedenen mikro- und spektroskopischen Verfahren untersucht man die sensoraktiven Schichten und die Transducer beispielsweise auf ihre elementare Zusammensetzung und Anordnung der darin enthaltenen Atome oder auf ihre elektronische Struktur und leitet daraus physikalisch-chemische Modelle von Schlüssel-Schloß-Anordnungen ab. Diese sucht man anschließend anhand der gemessenen Transducer-Eigenschaften wie Leitfähigkeit und Kapazität zu interpretieren und zu verbessern.
Auf diese Weise ist es gelungen, elementare Vorgänge bei der Wechselwirkung nachzuweisender Teilchen mit Sensormaterialien auf atomarer Ebene zu identifizieren und für den reproduzierbaren praktischen Einsatz zu optimieren. Dabei versteht man heute Gas-Sensoren weit besser als Flüssigkeits-Sensoren.
Funktionsprinzipien chemischer Sensoren
Es gibt verschiedene Effekte, mit denen sich bei Anwesenheit einer chemischen Verbindung ein elektrisches Signal erzeugen läßt. Nach diesen Effekten teilt man die chemischen Sensoren ein.
Elektrochemische Sensoren: Wenn eine nachzuweisende Substanz als Ion in einer Flüssigkeit vorliegt oder unter bestimmten Umständen auf einer chemisch aktiven Oberfläche Ionen bildet, die im angrenzenden Elektrolyt beweglich sind, dann läßt sich diese Substanz elektrochemisch nachweisen. Durch die inhomogene Ionenverteilung wird eine elektrische Spannung erzeugt, die in potentiometrischen Zellen als Signal dient. Dabei werden ohne Anlegen einer äußeren Spannung und ohne Stromfluß Potentialdifferenzen beobachtet. Mit der ionenselektiven Elektrode (ISE) werden Ionen-Konzentrationen bestimmt; einige der am häufigsten gemessenen sind Wasserstoff-, Fluorid-, Kupfer-, Chlorid-, Kalium- und Nitrat-Ionen. Neu entwickelt wurden unter anderem miniaturisierte ionenselektive Chipelektroden.
In amperometrischen Zellen legt man eine äußere Spannung an, und als Signal dient der von den Ionen in der Elektrolytlösung getragene Strom. Elektrochemische Reaktionen an den Elektroden bestimmen dabei den gemessenen Strom. Amperometrisch werden beispielsweise Kohlenmonoxid, Ammoniak, Schwefelwasserstoff oder Chlor gemessen.
Ist der im Sensor verwendete Elektrolyt ein Festkörper, spricht man von einem Festelektrolyt-Sensor (FES). Bei den elektrochemischen Festelektrolyt-Sensoren ist die gemessene Atomart entweder identisch mit einem Gitterbestandteil, wie beim Nachweis von Sauerstoff durch Zirconiumoxid (Autoabgas-Sensor), oder aber es ist eine Umsetzung in einer Zwischenschicht vorgeschaltet, durch die ein Gitterbaustein gebildet wird (wie bei der Messung von Kohlendioxid mit Natriumcarbonat als festem Ionenleiter).
Wärmetönungs-Sensoren: Die Konzentration brennbarer (reduzierender) Gase kann man bestimmen, indem man die Temperaturerhöhung eines Katalysators mit kleinen Abmessungen, auf dessen Oberfläche das Gas verbrannt wird, mißt. Diese Sensorelemente nennt man Wärmetönungs-Sensoren oder Pellistoren. Sie dienen in erster Linie zur Warnung vor der Anreicherung explosiver oder giftiger Gase in der Luft, beispielsweise von Methan oder Kohlenmonoxid.
Als Sensorsubstrat dient meist Aluminiumoxid mit Beimischung von Thoriumoxid und katalytisch aktiven Metall-Atomen (Platin, Palladium), das von einer eingesinterten Platin- oder Iridiumspirale auf einige hundert Grad Celsius geheizt wird, um die Reaktion in Gang zu bringen. Der elektrische Widerstand der Platinspirale nimmt mit der Temperatur zu; daraus läßt sich dann die Gaskonzentration bestimmen.
Mittlerweile kann man Wärmetönungs-Sensoren auch in miniaturisierter Form herstellen. In einer Ausführung für organische Sensorschichten sind beispielsweise 64 in Reihe geschaltete Ther-moelemente in zwei Polyamidfolien eingeschweißt, wobei sich die aktive Sensorbeschichtung nur auf jedem zweiten Thermoelement befindet (Bild 2 rechts).
Halbleiter-Sensoren: Die Konzentration oxidierender oder reduzierender Gase läßt sich mit Halbleiter-Gassensoren messen. Das Gas lagert sich auf der Oberfläche an und ändert damit die Ladungsträgerkonzentration, also den elektrischen Widerstand des Halbleiters. Homogene halbleitende Gas-Sensoren zeigen mithin die Anwesenheit bestimmter Gase in Luft durch eine Änderung des Leitwertes einer Schicht an. Für reduzierende Gase sind Schichten aus bestimmten Metalloxiden (Zinndioxid, Zinkoxid, Titanoxid, Wolframoxid) geeignet, für oxidierende Gase beispielsweise auch organische Halbleiter (Phthalocyanine).
Massensensitive Sensoren: Die Sorption von Gasen im Volumen oder an Oberflächen von Sensormaterialien kann durch eine empfindliche Messung der Masseänderung erfaßt werden. Dazu dienen Quarzschwinger, die darauf mit einer Frequenzänderung reagieren, oder aus der Elektronik bekannte Oberflächenwellenfilter mit entsprechenden Beschichtungen.
Weitere Sensortypen: Bei polaren Molekülen läßt sich die Gaskonzentration auch aus der Änderung der Dielektrizitätskonstanten des Sensormaterials in einem Kondensator bestimmen. Kommerzielle Feuchte-Sensoren basieren häufig auf der Messung einer solchen Kapazitätsänderung. Des weiteren können auch Änderungen frequenzabhängiger Leitfähigkeiten oder optischer Eigenschaften für Sensoren genutzt werden. Ein deutlicher Trend bei allen Sensoren ist deren Miniaturisierung unter Einsatz von Mikrostrukturtechniken.
Funktionsbeispiele von einfachen Sensoren
Physisorptions-Sensoren nutzen unspezifische Wechselwirkungen zwischen Molekülen und der sensoraktiven Oberfläche bei relativ niedrigen Temperaturen. Solche Meßfühler lassen sich beispielsweise zur Bestimmung der relativen Luftfeuchtigkeit einsetzen. Chemisorptions-Sensoren beruhen auf den charakteristischen Bindungen von Atomen oder Molekülen, die bei Adsorption der Stoffe an einer Sensor-Oberfläche entstehen (Bild 3). Für die Umsetzung in elektrische Signale nutzt man dabei eine Änderung bestimmter Eigenschaften wie zum Beispiel Leitfähigkeit, Kapazität, Austrittsarbeit oder Wärmetönung. Oberflächendefekt- und Katalyse-Sensoren basieren auf den Wechselwirkungen von gasförmigen Teilchen mit Festkörperoberflächen bei mittleren und höheren Temperaturen (ab etwa 200 Grad Celsius). Wegen ihrer Stabilität bei normalen atmosphärischen Bedingungen verwendet man hierzu häufig Oxide, beispielsweise Titandioxid oder Zinndioxid. Sauerstofflücken als intrinsische Defekte in diesen Materialien wirken elektronisch als Donatoren (das heißt, sie geben Elektronen an den Festkörper ab) und chemisch als katalytisch aktive Zentren für die Aufspaltung von molekularem Sauerstoff
Sensor-Arrays
Unabhängig von der Optimierung von Einzelsensoren sucht man auch modulare Sensorsysteme aufzubauen und zu verbessern; dabei kann man alle Komponenten optimieren und variieren, und es ergibt sich eine Vielzahl möglicher Konzepte. Möglichkeiten und Grenzen der für die Auswertung eingesetzten Mustererkennungsverfahren – so zum Beispiel Faktorenanalyse, neuronale Netze oder Fuzzy Logic – sind dabei freilich für den Nichtfachmann nicht immer leicht zu erkennen. Erste vergleichende Studien zu unterschiedlichen Auswerteverfahren wurden beispielsweise für die Analyse von Wasserstoff/Methan-Gemischen im Bergbau durchgeführt (Bild 4). Orientierende Untersuchungen zur Geruchsanalyse mit einem chemischen Sensor befassen sich zum Beispiel mit verschiedenen Tabak-, Wein-, Schnaps- und Fruchtsaft-Gemischen oder mit der Frische von Fisch (Bild 7).
Trends
Die Entwicklung chemischer und biochemischer Sensoren verlangt sowohl eine systematische Erforschung der molekularen Vorgänge an Grenzflächen als auch empirische Versuche zur Optimierung der Sensoreigenschaften. Für die Grundlagenforschung ist dabei besonders faszinierend, daß sich die molekulare Erkennung im Größenbereich von wenigen Nanometern abspielt. Für die Untersuchung von Vorgängen in diesem Größenbereich steht heute eine Fülle von Analysemethoden zur Verfügung, einschließlich der Raster-Tunnelmikroskopie und verwandter Verfahren. Zudem sind durch die komplexen Phänomene an Grenzflächen der Transducer sowohl die Mikroelektronik als auch die synthetische Chemie gefordert.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1994, Seite 97
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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