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Bildartikel: Chesley Bonestell, Raumfahrt-Visionär

Durch ein seltenes Zusammentreffen von handwerklichem Können, technischem Wissen und Phantasie gelang es diesem Maler, den Besuch auf fremden Welten zu imaginieren. Mit photorealistisch wirkenden Bildern belebte er die öffentliche Unterstützung für bemannte Raumfahrtunternehmen.

Der amerikanische Maler und Illustrator Chesley Bonestell wurde am 1. Januar 1888 geboren – 15 Jahre vor dem Jungfernflug der Gebrüder Wright und 38 Jahre vor dem Start der ersten kleinen Rakete mit flüssigem Treibstoff. Als er im Alter von 98 Jahren starb, hatte der Mensch seinen Fuß auf den Mond gesetzt und Sonden zu den Planeten unseres Sonnensystems geschickt. Indem Bonestells astronomische und astronautische Panoramen große technische Triumphe des 20. Jahrhunderts vorwegnahmen, förderten sie deren Verwirklichung. Mit malerischer und technischer Exaktheit holte er den Aufbruch von der Erde aus dem Reich der Phantasie und führte die Naherkundung fremder Himmelskörper als greifbare Möglichkeit vor aller Augen (Bild 1).

Bonestell entstammte einer gutbürgerlichen Familie aus San Francisco; da seine Mutter früh starb, wurden er und seine beiden älteren Schwestern von Vater und Großvater großgezogen. Mit fünf Jahren begann er zu zeichnen und bekam mit zwölf Jahren systematischen Kunstunterricht. Den 17jährigen faszinierte der erste Blick durch die 30- und 90-Zentimeter-Linsenfernrohre des Lick-Observatoriums auf dem Mount Hamilton im nördlichen Kalifornien derart, daß er sofort danach den Saturn und seine Ringe skizzierte.

Trotz seiner Vorliebe für freies Zeichnen und Malen wurde Bonestell zunächst Architekt – auch gedrängt vom Großvater, der brotlose Künste verachtete. Er studierte an der Columbia-Universität New York ohne formalen Abschluß, bestand aber die Prüfung vor der Architektenkammer des Bundesstaates Kalifornien und arbeitete von 1911 an im Atelier des innovativen Architekten Willis Polk, der ihn bald zum Leiter der Entwurfsabteilung machte.

Unter anderem schuf Bonestell Ideenskizzen und dekorative Pläne für den Seventeen-Mile-Drive in Pebble Beach; dieses Projekt war Teil eines ehrgeizigen Erschließungsprogramms für die kalifornische Halbinsel von Monterey. Im Jahre 1927 wirkte er bei William van Alens Entwurf für das Chrysler-Hochhaus in New York mit, einen der markantesten Wolkenkratzer Manhattans, und arbeitete später Details eines weiteren amerikanischen Wahrzeichens aus: der Golden-Gate-Brücke von San Francisco. Bei allem beruflichen Engagement zeichnete er hin und wieder Mond- und Marslandschaften, die er an Freunde und Angehörige verschenkte.

Im Alter von 50 Jahren siedelte Bonestell 1938 nach Hollywood um und begann eine höchst einträgliche Karriere als Spezialeffekt- und Hintergrund-Maler. Der erste Film, an dem er mitwirkte, war "Citizen Kane" von und mit Orson Welles. Alle Ansichten von New York um die Jahrhundertwende sowie von Charles Foster Kanes Villa Xanadu stammen von Bonestell. In den nächsten zehn Jahren arbeitete er für alle großen Studios und wurde schließlich zum bestbezahlten Prospektgestalter der Filmindustrie. In den fünfziger Jahren kehrte er noch einmal kurz nach Hollywood zurück, um die Spezialeffekte für "Flug zum Mond", "Krieg der Welten" und andere Science-fiction-Filme von George Pal zu entwerfen.

Klug angelegtes Geld machte Bonestell finanziell unabhängig, so daß er sich seiner frühen Vorliebe für astronomische Illustrationen zuwenden konnte. Dabei kamen ihm die beim Film erworbenen Kenntnisse zustatten. Im Vorwort zu seinem 1949 erschienenen Buch "The Conquest of Space" ("Die Eroberung des Weltraums") erinnert er sich: " Mit den technischen Möglichkeiten der Filmindustrie vor Augen konnte ich ähnlich wie in einer Kamerafahrt von einem Trabanten zum anderen reisen und mehrere realistische Ansichten des Saturn liefern. Zur Abwechslung konnte ich die inneren oder äußeren Saturnmonde hinzufügen und den Planeten in verschiedenen Phasen abbilden." Die entsprechende Bilderfolge erschien am 29. Mai 1944 in der Illustrierten "Life" und machte großen Eindruck.

Damals begann Bonestell mit Willy Ley zusammenzuarbeiten, einem emigrierten deutschen Historiker und Autor populärwissenschaftlicher Bücher, der Mitglied des Deutschen Vereins für Raumschiffahrt gewesen war. Mit seiner Hilfe begann Bonestell, möglichst realistische Raumfahrzeuge zu malen. Im Jahre 1946 veröffentlichte "Life" eine weitere Bilderserie, die einen bemannten Mondflug schilderte.

Solche imaginären kosmischen Szenerien erschienen bald immer häufiger in amerikanischen Zeitschriften; Scientific American wählte im November 1948 als Titelbild eine Darstellung der Sonne vom Planeten Merkur aus. Bonestells malerische Ansichten des Sonnensystems waren schließlich so gefragt, daß der völlig überarbeitete Künstler einmal die Titelillustration für ein Science-fiction-Magazin an die falsche Zeitschrift sandte, die sie prompt druckte.

Sein erstes Buch, "The Conquest of Space", enthält 48 faszinierende Bilder und einen Begleittext von Willi Ley. In einer Rezension für die Zeitschrift "The Aeroplane" schrieb der Wissenschafts- und Science-fiction-Autor Arthur C. Clarke: "Bonestells bemerkenswerte Technik wirkt derart realistisch, daß manchmal Leute, die mit dem gegenwärtigen Stand der Raumfahrt nicht recht vertraut sind, seine Bilder für Farbphotographien halten... Sie werden wahrscheinlich künftig die Phantasie vieler Betrachter anregen und dadurch deren Leben verändern."

Anfang der fünfziger Jahre erreichte Bonestell einen schöpferischen Höhepunkt; 1951 illustrierte er für die Zeitschrift "Collier's" eine Serie von fünf Artikeln über die Zukunft der Raumfahrt. Hauptautor war der deutsche Raketenforscher Wernher von Braun (1912 bis 1977), der im Zweiten Weltkrieg die Fernwaffe V2 entwickelt hatte und nach Kriegsende Amerikas führender Konstrukteur von Trägerraketen wurde. Bonestell und von Braun wurden gute Freunde; bei der Entwicklung von realistischen Szenarien für die bemannte Raumfahrt arbeiteten sie viele Jahre lang eng zusammen.

Der scharfe Blick des Malers für wissenschaftliche und technische Exaktheit beeindruckte von Braun. Einige Jahre später schrieb er: "Chesley Bonestells Bilder... sind viel mehr als nur schöne, ätherische Gemälde außerirdischer Welten. Sie sind die genauesten Porträts entfernter Himmelskörper, mit denen die moderne Forschung aufwarten kann. Das sage ich nicht leichtfertig. In den langen Jahren meiner Zusammenarbeit mit Chesley habe ich gelernt, seinen Perfektionismus zu respektieren, ja zu fürchten. Mein Archiv ist voll von Raumschiff-Skizzen, die ich für seine Bilder entworfen habe – nur um sie mit bohrenden Fragen nach Einzelheiten oder ätzender Kritik an einer Ungereimtheit oder Nachlässigkeit zurückzubekommen."

Die in "Collier's" zwischen 1952 und 1954 veröffentlichten Artikel lösten in den USA ein Raumfahrtfieber aus. Reproduktionen von Bonestells Bildern oder Ausschnitten davon erschienen auf Werbeplakaten, im Fernsehen und auf Schulbrotdosen. Die "Collier's"-Serie war obendrein später auch in Buchform ("Across the Space Frontier", "Conquest of the Moon" und "Exploration of Mars") sehr erfolgreich.

Bonestells Werk motivierte die amerikanische Öffentlichkeit und damit auch die Regierung, die Erforschung des Weltraums zu forcieren. Zwar war Raumfahrt seit den fünfziger Jahren ein beliebtes Thema – allerdings im Blick auf eine ferne Zukunft. Doch die Serie in "Collier's" behauptete, bemannte Reisen ins All seien schon mit verfügbarer Technik möglich. Die Illustrationen zeigten bis auf die kleinste Antennenstrebe genau Vehikel für die Etappen eines kompletten Raumfahrtprogramms – von den ersten unbemannten Satelliten bis zur Ausrüstung einer Mars-Expedition (Bild 2). Daneben fand der Leser ausführliche Kostenrechnungen und Materiallisten.

Wissenschaftler und Politiker erkannten, daß die Erschließung des Weltalls weniger eine Frage von Zeit und technologischen Innovationen war als ein Geld- und Motivationsproblem. Auf einmal klangen die Eingaben der Forscher, die bei der US-Regierung für ein Satellitenprogramm warben, nicht mehr wie pure Phantasterei.

Ab Mitte der fünfziger Jahre betrieben die USA ein solches Projekt, und 1958 – knapp vier Monate nach dem Start des sowjetischen künstlichen Erdtrabanten Sputnik 1 – brachte ein von der US-Army aus 16 Raketen verschiedenen Typs zusammengebautes Trägersystem den ersten amerikanischen Satelliten, Explorer 1, in eine Umlaufbahn (die Instrumente an Bord entdeckten dabei damals den sogenannten Van-Allen-Strahlungsgürtel der Erde).

Als Bonestell miterlebte, wie die bemannte Raumfahrt Wirklichkeit wurde, gab er mürrisch zu, daß die sanften Hügel, auf denen die Apollo-Astronauten die ersten Mondspaziergänge machten, den wildromantischen Gebirgen seiner Bilder wenig ähnelten.

Doch solche Ungenauigkeiten können die Bedeutung seines Werks nicht schmälern. Durch die Illustrationen wurden trockene astronomische Daten und technische Machbarkeitsstudien anschaulich (Bild 3). Viele Wissenschaftler, Ingenieure und Astronauten haben ihren Beruf mit diesen Bildern vor Augen gewählt. Eines stand unvollendet auf seiner Staffelei, als Bonestell im Jahre 1986 starb. Kürzlich wurde der Asteroid mit der Nummer 3129 auf seinen Namen getauft – eine angemessene Ehre für diesen Visionär des Raumfahrtzeitalters.

Literaturhinweise

- Space Art – Weltraumkunst. Herausgegeben von Ron Miller. Gassner, Vaduz 1980.

– Worlds Beyond: The Art of Chesley Bonestell. Von Frederick C. Durant III und Ron Miller. Donning, 1983.

– Visions of Space: Artists Journey through the Cosmos. Von David A. Hardy. Paper Tiger, 1989.

– Blueprint for Space: Science Fiction to Science Fact. Von F.I. Ordway III und R. Liebermann. Smithsonian Institution Press, 1992.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1994, Seite 58
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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