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Das anthropomurphische Prinzip

Toast fällt bevorzugt auf die Butterseite. Das gilt nicht nur auf Erden, sondern auf jedem Planeten, dessen Bewohner an Tischen sitzen und toastgroße, scheibenförmige Quader verzehren.

Wenn etwas schiefgehen kann, dann geht es schief. Ein Hauptmann der amerikanischen Luftwaffe namens Murphy soll in den späten vierziger Jahren dieser Allerweltsweisheit durch Experimente den Rang einer wissenschaftlichen Erkenntnis verliehen haben.

Man bekleckert sich just in dem Moment, bevor man im blütenweißen Hemd auftreten muß. Das öffentliche Telephon, das man nach langem Suchen gefunden hat, ist defekt. Ein Brot, das vom Tisch fällt, landet fast immer auf der Butterseite. Wohl jeder vermag aus eigener Erfahrung Beispiele beizutragen.

Und doch hätte 1991 die Fernseh-Show QED der British Broadcasting Corporation (BBC) Murphys Gesetz beinahe experimentell widerlegt: Der Moderator warf unter verschiedenen Bedingungen 300 Toastscheiben in die Luft, aber die Resultate waren statistisch nicht von denen eines gewöhnlichen Münzwurfs zu unterscheiden; die eine Seite kam ungefähr so häufig nach oben zu liegen wie die andere.

Damit wäre die Sache – und die Pessimistenregel zumindest für diesen Spezialfall – erledigt gewesen, hätte nicht vor wenigen Monaten Robert Matthews, ein englischer Journalist mit einem Hang zur Mathematik, im "European Journal of Physics" zwei Einwände erhoben. Der eine ist grundsätzlicher Natur und wendet Murphys Gesetz auf den Versuch selbst an: Es geht ohnehin alles schief, was schiefgehen kann, also auch das Vorhaben, Murphys Gesetz zu widerlegen. Der andere macht keine tiefen logischen Paradoxa geltend, sondern die schlichte Tatsache, daß das Experiment realitätsfern war: Normalerweise werden Toastscheiben beim Frühstück nicht hochgeschleudert, sondern versehentlich über die Tischkante geschoben.

Das bestätigen Versuchsserien, bei denen Lehrkräfte und Studierende der Frauen-Universität von Mississippi in Columbus Toastscheiben aus Hüfthöhe in beliebige Richtungen warfen, über die Tischkante rutschen ließen und von der obersten Sprosse einer drei Meter hohen Standleiter stießen. Im ersten und im letzten Fall landeten jeweils ungefähr 48 Prozent der Scheiben auf der Butterseite, im zweiten jedoch 78 Prozent.

Betrachten wir die Sache vom Standpunkt des theoretischen Physikers. Was ist der wesentliche Unterschied zwischen der gebutterten und der ungebutterten Seite eines Toastes? Die Butter? Keineswegs! Bei einer typischen Toastscheibe macht sie höchstens zehn Prozent des Gesamtgewichts aus. Der größte Teil der Butter wird zudem in der Mitte der Scheibe, also nahe dem Schwerpunkt, absorbiert und beeinflußt deshalb das Trägheitsmoment und die Dynamik des fliegenden Objekts nur minimal. Zwar erzeugt die Butterseite, da glatter, weniger Reibungswiderstand in der Luft als die andere; aber dieser Effekt ist für Tischhöhen unter zehn Metern ebenfalls vernachlässigbar. Die einzige wesentliche Asymmetrie besteht darin, daß die Butterseite oben ist, solange der Toast auf dem Tisch liegt – und auch noch, wenn er über die Kante geschoben wird.

Während des Falls rotiert die Toastscheibe mit einer Winkelgeschwindigkeit, die davon abhängt, wie weit ihr Schwerpunkt im Moment des Absturzes über die Tischkante hinausragte. Wirken vielleicht die Höhe eines normalen Tisches und die Schwerkraft so zusammen, daß Drehungen um ungerade Vielfache von 180 Grad, die den Toast auf der Butterseite landen lassen, bevorzugt auftreten? Nach Matthews' Berechnungen ist eben dies der Fall; und zwar kommt die einfache Drehung um ungefähr 180 Grad im statistischen Mittel mit Abstand am häufigsten vor.

Die Zeichnung im Kasten zeigt die Lage der Toastscheibe und die wesentlichen Variablen, dazu die Formel für die Rotationsgeschwindigkeit, die sich aus den Newtonschen Bewegungsgleichungen sowie einigen weiteren physikalischen Gesetzen herleiten läßt. Der Toast kippt vom Tisch, wenn sein Schwerpunkt nicht mehr unterstützt ist. Er beginnt zu rotieren, und zwar um so schneller, je größer der Hebelarm ist, an dem das Gewicht angreift; das ist die Entfernung zwischen Schwerpunkt und Tischkante (Rotationsachse).

Nur wenn der Toast schnell genug rotiert, schafft er eine volle Umdrehung, bevor er auf dem Teppich landet. Genaugenommen genügt reichlich eine Dreivierteldrehung, damit er sich auf die fettfreie Seite legt, nachdem er mit einer Kante aufgeschlagen ist. Aber selbst das gelingt für übliche Größenordnungen (75 Zentimeter Tischhöhe, zehn Zentimeter Toastbreite) nur dann, wenn ein kritischer Überhangparameter – nämlich das Verhältnis von Hebelarm zu halber Toastbreite – wenigstens sechs Prozent beträgt. Indirekte Messungen (der Überhang ist eine Funktion des Reibungskoeffizienten) ergaben Werte um 2 Prozent für Brot- und 1,5 Prozent für Toastscheiben; sie sind entschieden zu klein für den vollständigen Salto.

In die Argumentation gehen vereinfachende, doch plausible Annahmen ein. Matthews unterstellt, daß der Toast vom Boden nicht reflektiert und nur mit moderater Geschwindigkeit in seine instabile Lage befördert wird.

Man kann zwar den Toast so schwungvoll vom Tische schleudern, daß er wie ein Geschoß in unveränderter Orientierung auf dem Teppich landet. Aber dazu ist eine horizontale Abwurfgeschwindigkeit von mindestens 1,60 Metern pro Sekunde erforderlich. Wenn also ein Toast unaufhaltsam vom Tisch zu fallen droht, ist es zweckmäßig, ihm noch einen kräftigen Stoß zu versetzen. Das rettet wahrscheinlich nicht den Toast – aber den Teppich. Ist hingegen ein schräg gehaltener Teller die Abwurframpe (die erforderliche Mindestneigung beträgt ungefähr 14 Grad), empfiehlt es sich, diesen ruckartig zurückzuziehen, um die Teller-Toast-Kontaktzeit zu minimieren.

Wollte man die nachteiligen Folgen von Murphys Gesetz vermeiden, müßte man mindestens drei Meter hohe Tische oder – dynamisch äquivalent – Toastscheiben mit höchstens 2,5 Zentimetern Kantenlänge verwenden. Beides nannte Matthews "unbefriedigend".


Universelle Konsequenzen

Bislang scheint die empirische Bestätigung von Murphys Gesetz, so überzeugend sie ist, nichts weiter zu belegen als ein zufälliges Zusammentreffen verschiedener Umstände, die nichts miteinander zu tun haben: die Erdanziehungskraft sowie die kulturbedingten Werte für Tischhöhen und Toastgrößen. Weit gefehlt! Matthews zeigte, daß das Gesetz zumindest in bezug auf fallende Toastscheiben aus fundamentalen Naturkonstanten herzuleiten ist. Seine Folgen treffen die Bewohner jeder denkbaren Welt, die uns auch nur entfernt ähnlich sind, jedenfalls wenn sie an Tischen sitzen und – nicht zu kleine – toastförmige Stücke Nahrung essen.

Die genaue Begründung dafür ist verwickelt, aber die Grundidee einfach. William H. Press von der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts) hat bereits 1980 dargelegt, daß die Größe zweibeiniger Organismen durch das Gravitationsfeld begrenzt wird, in dem sie leben. Verglichen mit einem Vierbeiner ist ein Zweibeiner grundsätzlich instabil: Eine kleine ungeschickte Bewegung, und schon wird sein Schwerpunkt nicht mehr von den Füßen unterstützt – er kippt über. Wenn er sich dabei aufgrund des langen Fallwegs den Schädel bricht, hat seine Art keine großen Überlebenschancen. Es ist kein Zufall, daß es keine giraffengroßen Zweibeiner gibt.

Andererseits müßten wir etwa sechs Meter groß sein, um den unheilvollen Konsequenzen von Murphys Gesetz für das Frühstück mit Toast zu entgehen – unterstellt, daß ein Tisch ungefähr halb so hoch ist wie seine Benutzer.

Das gilt, wie belegt, unter irdischen Bedingungen. Nun wollten wir aber herausfinden, ob irgendeiner Lebensform auf einem fernen Planeten dieses Schicksal erspart bleiben könnte. Dazu muß man die Sache noch etwas fundamentaler betrachten.

Das Fallgesetz für Toastscheiben ist bereits insofern universell, als ihre Rotation zwar von der Tischhöhe, nicht aber von der Schwerkraft des Planeten abhängt, auf dem der Tisch steht. Auf dem Mars würden sich beide Teile der Bewegung – Kippen und Fallen – nur etwas langsamer abspielen; das Ergebnis wäre dasselbe.

Was wäre mit dem Marsmenschen, von dem die Höhe des Marstisches abhängt? Wegen der dort geringeren Schwerkraft könnte er ein Umkippen selbst dann überleben, wenn er größer wäre als ein Erdling. Überraschenderweise spielt dieser Effekt, fundamental betrachtet, nur eine geringe Rolle.

Ein Schädelbruch – oder eine äquivalente Verletzung eines Außerirdischen – ist das Aufbrechen einer großen Anzahl chemischer Bindungen in einer Polymerschicht. Dazu ist eine gewisse Kraft erforderlich, die wiederum von den Eigenschaften der Atome abhängt, aus denen das Polymer besteht. Mit Hilfe des Bohrschen Atommodells kann man diese Kräfte durch Naturkonstanten ausdrücken. Am Ende einer längeren Kette von mehr oder weniger groben Schätzungen steht eine Formel dafür, wie groß ein Lebewesen mit bodenfernem lebenswichtigem Körperteil überhaupt werden kann. Außer Maßzahlen für Eigenschaften des Polymers enthält sie nur fundamentale Konstanten wie die Lichtgeschwindigkeit, das Plancksche Wirkungsquantum und die Masse des Protons.

Wenn wir nun die für unser Universum geltenden Werte einsetzen, finden wir, daß die maximale sichere Körpergröße von Zweibeinern ungefähr drei Meter beträgt. Dazu paßt, daß selbst der größte je gemessene Mensch, ein gewisser Robert Wadlow (1918 bis 1940), mit 2,72 Metern diese Schranke einhielt. Selbst er wäre noch viel zu klein gewesen, um an einem ihm passenden Tisch zu sitzen, der Toastscheiben auf die ungebutterte Seite fallen läßt.

Interessanterweise hängen die maximale sichere Körpergröße und damit die Höhe eines Standardtisches – in der verwendeten Näherung – nicht von dem Planeten ab, auf dem man lebt. Denn die Schwerkraft solcher Himmelskörper kann nicht beliebig kleine oder große Werte annehmen, sondern muß sogar innerhalb eines relativ engen Bereichs liegen: Sie muß stark genug sein, das Innere einer Materieballung zu verflüssigen, so daß sie Kugelform annimmt, aber nicht so stark, daß – wie in der Sonne und sonstigen Sternen – Kernreaktionen einsetzen.

Murphys Gesetz ist also – zumindest in bezug auf Toast und Tische – keine Koinzidenz, sondern die Folge eines tiefliegenden Prinzips. Man sollte es dementsprechend nicht anthropisch, sondern anthropomurphisch nennen: Es gilt in jedem Universum, das auf konventionelle Art gebaut ist und intelligente zweibeinige Wesen mit Köpfen enthält.

Matthews schloß seinen Artikel mit den Worten: "Nach Einstein ist Gott raffiniert, aber nicht bösartig. Das kann ja sein. Aber sein Einfluß auf fallende Toastscheiben läßt doch einiges zu wünschen übrig."

John S. Steadman vom St. John's College in Oxford hält die Sache für noch viel schlimmer: Nicht Murphys Gesetz sei die Konsequenz fundamentaler Naturgesetze, sondern umgekehrt. Aus der moralischen Variante von Murphys Gesetz folge unmittelbar der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik: "Die Folgen deines Tuns sind nicht mehr rückgängig zu machen." Und die ganze Quantenmechanik sei nichts als die hoffnungslos pessimistische Version von Murphys Gesetz: "Wenn etwas schiefgehen kann, dann ist das schon längst passiert."

Literaturhinweise

- Tumbling Toast, Murphy's Law and the Fundamental Constants. Von Robert A. J. Matthews in: European Journal of Physics, Band 16, Heft 4, Seiten 172 bis 176, 1995.

– The Accidental Universe. Von Paul C. W. Davies. Cambridge University Press, 1982.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1996, Seite 10
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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