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Das Bose-Einstein-Kondensat - ein makroskopisches Quantenobjekt

Diesen hypothetischen Aggregatzustand hat man nun erstmals direkt erzeugt und nachgewiesen. Die technische Meisterleistung eröffnet Perspektiven für Laser, die kohärente Atomstrahlen statt elektromagnetische Wellen aussendet.

Zweierlei Arten von Teilchen bauen die Welt auf: Fermionen mit halbzahligem und Bosonen mit ganzzahligem Spin (Eigendrehimpuls). Benannt nach dem italienischen Physiker Enrico Fermi (1901 bis 1954) beziehungsweise seinem indischen Kollegen Satyendra Nath Bose (1894 bis 1974), unterscheiden sich die Partikel fundamental in ihrem Verhalten zu ihresgleichen. Die Fermionen – dazu gehören die Elektronen und Nukleonen (Kernteilchen, also Proton und Neutron), aus denen die Atome aufgebaut sind – besetzen immer nur je einen Zustand; darin gleichen sie Reisenden, denen es unerträglich ist, zu mehreren im selben Abteil zu sitzen. Bosonen wie das Photon und das Pion kennen solche Hemmungen nicht: Bei ihnen fühlt man sich an jene berühmte Szene aus dem Marx-Brothers-Film "Skandal in der Oper" erinnert, in der immer noch ein Passagier in die Kabine paßt.

Die gesamte uns umgebende Welt verdankt ihre Gestalt unmittelbar der Fermi-Statistik: Nur weil nie zwei Elektronen im Atom denselben Zustand besetzen dürfen, gibt es diskrete Energieniveaus, stabile Elektronenhüllen und somit die Vielfalt chemischer Elemente. Hingegen sind die Auswirkungen der Bose-Statistik auf das Verhalten der Materie viel exotischer und lassen sich nur bei ex-trem niedrigen Temperaturen beobachten. Dann sollten sich nämlich, wie Bose und Albert Einstein schon 1924 vorhersagten, die Bose-Teilchen ungehindert auf dem niedrigstmöglichen Energieniveau versammeln. Das inzwischen Bose-Einstein-Kondensat genannte Teilchen-Ensemble müßte sich als ein einziges Quantenobjekt verhalten und einen neuartigen, nur quantenmechanisch erklärbaren Aggregatzustand bilden.

Während der 70 Jahre seither gab es nur indirekte Hinweise auf das hypothetische Phänomen, vor allem in Form der Superfluidität von Helium bei Temperaturen unter 2,17 Kelvin (Spektrum der Wissenschaft, August 1990, Seite 64). Doch jetzt hat in den USA ein Team um Eric A. Cornell am National Institute of Standards and Technology und an der Universität von Colorado in Boulder ein solches Kondensat tatsächlich fabriziert und zweifelsfrei nachgewiesen ("Science", Band 269, Seiten 198 bis 201, 14. Juli 1995).

Cornell und seine Kollegen stellten zunächst eine winzige, extrem dünne Gaswolke aus nur rund tausend Rubidium-87-Atomen her; weil jedes dieser Atome aus 87 Nukleonen und 37 Elektronen – also 124 Fermionen mit Spin 1/2 – aufgebaut ist, handelt es sich um ein bosonisches Teilchen mit ganzzahligem Gesamtspin. Die Wissenschaftler kühlten die Wolke dann auf 0,17 Mikrokelvin (millionstel Kelvin). Diese unvorstellbar niedrige Temperatur erreichten sie mit einer magneto-optischen Falle, einer raffinierten Kombination von magnetischen Feldern und Laserpulsen.

Zuerst wurden die Atome durch die Absorption von Laserstrahlung passender Frequenz abgebremst, das heißt laser-gekühlt (siehe Spektrum der Wissenschaft, April 1992, Seite 68); danach fand in der absichtlich sehr schwach eingestellten Magnetfalle sogenannte Verdunstungs-Kühlung statt: Die energiereicheren Atome wurden durch ein Radiofrequenz-Magnetfeld gleichsam zum Abdampfen gebracht, während die langsameren zurückblieben. So sank die Temperatur des verbleibenden Gases immer weiter.

Das prinzipielle Problem bei diesem Verfahren ist allerdings, daß genau dort, wo die restlichen Atome praktisch völlig zum Stillstand kommen, auch das Magnetfeld verschwindet: Die Falle hat just an der Sammelstelle eine Lücke. Cornells Team – und das ist seine originellste Leistung – fand einen Ausweg, indem es durch zusätzliche Magnete die Lücke in so rasche Rotation (7,5 Kilohertz) versetzte, daß die langsamen Rubidiumatome sie nicht zur Flucht nutzen konnten (Bild 1).

Zum Nachweis des Bose-Einstein-Kondensats dienten Momentaufnahmen mittels Laserlicht, die noch mehr als 15 Sekunden nach Abschalten der Magnetfelder eine stark um den Nullpunkt konzentrierte Geschwindigkeitsverteilung zeigen. Praktisch bekommt man hier erstmals mit freiem Auge eine einzelne quantenmechanische Wellenfunktion zu sehen (Bild 2).

Über Anwendungsmöglichkeiten läßt sich vorerst nur spekulieren. Wie Keith Burnett vom Clarendon-Labor der Universität Oxford (England) im selben "Science"-Heft meint, ist Cornells Team in gewisser Weise mit bosonischen Atomen erstmals das gleiche gelungen, was in Lasern mit Photonen (die, wie gesagt, ebenfalls Bosonen sind) geschieht: die Bildung eines Ensembles von quantenmechanischen Atom-Wellen, die sich makroskopisch kohärent verhalten. Vielleicht wird daraus eines Tages eine extrem intensive Quelle kohärenter Atome hervorgehen – ein echter Atom-Laser.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1995, Seite 32
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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