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Das Deutsche Fernerkundungsdatenzentrum als Teil des Bodensegments


Sensoren an Bord von Satelliten und Raumfahrzeugen gewinnen Daten, die Einrichtungen am Boden empfangen, weiterleiten oder zu Bildern verarbeiten (Bild 1), archivieren und – vielleicht nach einer weiteren Bearbeitung – Interessenten zur Verfügung stellen. Dies ist nur im internationalen Verbund möglich. Deshalb ist das Bodensegment der Fernerkundung (als Gegenpart zum datengewinnenden Bordsegment im All) ein komplexes informationstechnisches System mit vielfältigen Aufgaben.

Um Meßwerte verschiedener Sensoren vergleichen zu können, muß man sie kalibrieren, das heißt mit nachvollziehbaren Bezugsgrößen ausstatten, in immer gleicher Weise über lange Zeiträume hinweg ablegen und katalogisieren. Zudem müssen die vielfältigen Möglichkeiten der Fernerkundung überhaupt erst einmal aufgezeigt und potentielle Nutzer im Gebrauch der archivierten Daten unterwiesen werden. Um diese Voraussetzungen in der Bundesrepublik zu erfüllen und die Interessen heimischer Anwender bei Großprojekten zu vertreten, ist bei der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DLR) das Deutsche Fernerkundungsdatenzentrum (DFD) in Oberpfaffenhofen aufgebaut worden.

Es beteiligt sich unter anderem am ERS-Bodensegment, das von der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA) zentral koordiniert wird; in seine Zuständigkeit fallen insbesondere Verarbeitung und Archivierung der Daten von SAR-Sensoren und künftig auch eines Ozon-Sensors an Bord von Satelliten zur Umweltbeobachtung: Der European Remote Sensing Satellite (ERS-1) wurde 1991 gestartet. Er trägt unter anderem ein Radar-Instrument mit synthetischer Apertur, ERS-2, der erst nach Redaktionsschluß gestartet werden sollte, zudem ein Spektrometer zur Ozonmessung, das Global Ozone Monitoring Experiment (GOME).

Dazu stellt das DFD Bodeneinrichtungen zur Verfügung: die Polarstation O'Higgins auf der Antarktischen Halbinsel, eine mobile Station, die derzeit in Afrika – und zwar in Libreville (Gabun) – für ein Jahr aufgebaut ist, sowie in Kürze die neue Station Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern. Zudem ist das DFD, gemeinsam mit dem Geo-Forschungszentrum in Potsdam, eines von vier Verarbeitungs- und Archivierungszentren (Deutsche Processing and Archiving Facility, D-PAF).

Wie alle hochauflösenden Meßgeräte im Weltraum müssen auch die SAR-Sensoren von ERS-1 und ERS-2 ihre Daten regelmäßig zur Erde senden, weil die Speicherkapazitäten an Bord nicht ausreichen. Die deutschen Stationen sind dafür eingerichtet: Wegen der hohen Übertragungsrate von 105 Megabit (eine Million Bit) pro Sekunde setzt man spezielle vielspurige Magnetbandgeräte ein und schickt die Bänder dann zum deutschen PAF.

Im Gegensatz dazu können die GOME-Daten mit einer Rate von nur 40000 Bit pro Sekunde an Bord zwischengespeichert und dann von der ESA-Station Kiruna (Schweden) abgerufen werden. Entweder sendet man sie während spezieller Kampagnen über ein satellitengestütztes Netzwerk gleich nach Oberpfaffenhofen weiter, oder sie werden zunächst chronologisch auf Magnetbandkassetten abgelegt und schubweise verschickt.

Die deutsche Einrichtung erhält auch Bänder aller ESA-Stationen sowie aus Entwicklungsländern; sie werden zunächst auf Qualität und Inhalt geprüft, danach katalogisiert und archiviert. Anhand der Katalogeinträge und bestehender Anfragen erteilt die ESA ihre Aufträge zur Weiterverarbeitung.

Dabei werden aufwendige Verfahren und spezielle Prozessoren eingesetzt. So müssen während der Verarbeitung von SAR-Daten alle von einem Punkt reflektierten Radar-Echos – bei ERS sind das etwa 1000 – phasenrichtig aufsummiert werden; dazu vergleicht man sie mit einer zweidimensionalen Referenzfunktion, die das ausgesandte Signal und die Bahn des Sensors zum Aufnahmezeitpunkt modelliert. Für das SAR-Bild eines quadratischen Ausschnitts der Erdoberfläche mit 100 Kilometern Kantenlänge und jeweils 30 Meter großen Bildelementen sind dazu etwa 10 Milliarden Gleitkomma-Rechenoperationen erforderlich, was sich nur mit entsprechenden Spezialprozessoren oder einer Hochleistungs-Workstation bewältigen läßt. Als Zwischenergebnis erhält man das Slant-Range-Bild, dessen Koordinate quer zur Flugrichtung die Entfernung zum Satelliten enthält, das zum Ground-Range-Bild – der Projektion auf die Erdoberfläche – transformiert wird.

Um Bilddaten verschiedener Sensoren untereinander oder mit anderen digitalen Bilddatensätzen zu korrelieren und um mosaikartig größere Satellitenbildkarten zusammenzusetzen, müssen aufnahmebedingte Verzerrungen oder spezielle Perspektiven korrigiert und die Daten in eine einheitliche Projektion transformiert werden; diesen Vorgang bezeichnet man als Geokodieren. Beispielsweise sieht der SAR-Sensor die Erdoberfläche aus einer schrägen Perspektive. Unkorrigiert würden bei Aufnahmen von Gebirgen Abschattungen und mehrdeutige Entfernungsmessungen auftreten. Um hochgenaue Bildkarten aus den Daten zu erzeugen, bezieht man außer exakt vermessenen Paßpunkten digitale Geländemodelle mit in die Rechnung ein.

Schließlich erhalten die Kunden das bestellte Produkt auf Magnetband (künftig auf CD-ROM); zwischen Auftragseingang und der Auslieferung an den Kunden vergehen im Mittel weniger als acht Tage. Kopien und Quick-Looks – die Bilder reduzierter Auflösung – verbleiben für mindestens zehn Jahre im Archiv und können über eine elektronische Nutzer-Schnittstelle eingesehen werden. Derzeit beträgt die Zahl der in Oberpfaffenhofen erzeugten SAR-Produkte deutlich mehr als die von der ESA geforderten 4000 pro Jahr. Für den Einsatz von GOME hat die ESA vorgesehen, daß nach einer mindestens halbjährigen Testphase routinemäßige Auslieferungen über Datenleitungen beginnen.


Das Daten und Informationsmanagement

Die Integration aller Elemente des Bodensegments, einen reibungslosen Produktionsbetrieb und die Einbindung in das internationale Umfeld organisiert beim DFD ein leistungsfähiges Daten- und Informationsmanagement. Zur Handhabung der immensen Datenmengen wurde eine Infrastruktur aufgebaut, die sich laufend an Projekt- und Nutzeränderungen anpassen läßt (Bild 2).

Beispielsweise sind die DFD-Verarbeitungssysteme an Hochgeschwindigkeitsnetzwerke gekoppelt, um Daten automatisch weiterleiten zu können. Das lokale Netz, welches alle Rechner in Oberpfaffenhofen verbindet, ist ein Hochleistungs-Ethernet auf Glasfaserbasis (beim Ethernet sind alle Rechner gleichberechtigt an ein gemeinsames Übertragungsmedium angeschlossen; ein Zugriffsverfahren regelt den Nachrichtenverkehr auf dieser Leitung). Dieses wird Zug um Zug um ein ATM (asynchronous transfer mode)-Netzwerk erweitert (bei diesem Verfahren für Breitbandnetze werden Informationspakete, sogenannte Zellen, konstanter Länge und Struktur übertragen; weil verschiedene Quellen die Zellen gleichzeitig füllen können, lassen sich unterschiedliche Informationen wie Bilder, Texte, Sprache und dergleichen parallel übertragen).

Mit der Außenwelt, also Nutzern und anderen Raumfahrtorganisationen, kommuniziert das DFD über öffentliche Infrastrukturen wie WIN, Internet, ISDN, X25 und Telephon-Modems. Zusätzlich stehen vier mobile VSATs (very small aperture terminals) für Verbindungen mit ausgewählten Partnern über Kommunikationssatellit zur Verfügung.

Um archivierte Daten schnell bereitzustellen, soll ein automatisches Archiv eingerichtet werden. Spezielle Roboter werden die Digitalbandkassetten aus ihren Halterungen zu den Bandstationen und zurück transportieren. Eine Management-Software organisiert die Abläufe so, daß sie weitgehend unmerklich erfolgen; ein Benutzer kann kaum feststellen, ob Daten, die sein Programm benötigt, zunächst aus dem Robotarchiv angefordert werden. Häufig genutzte Daten bleiben aber für den schnellen Zugriff auf der Festplatte gespeichert. Das Robotarchiv ist modular aufgebaut und bis auf 1000 Terabyte (Billionen Byte) ausbaufähig; zudem sollen neue Speichermedien integrierbar sein.

Der Aufbau des neuen Systems erfordert einen zentralen DFD-Datenkatalog, um alle Datenbestände einheitlich und standardisiert zu verwalten. Die Informationsverarbeitung ist zentral gesteuert (wenngleich einzelne Schritte voneinander weitgehend unabhängig sind). Das Datenmanagementsystem koordiniert die Betriebsabläufe und Datenflüsse und koppelt DFD und ESA.


Schnittstelle ISIS

Der Nutzer erhält Daten und Metadaten (Kataloge und Informationen) über das Intelligente Satellitendaten-Informationssystem (ISIS). Dies hat eine Reihe von Vorteilen gegenüber früheren Verfahren des Zugriffs:

- Die ganze Palette öffentlicher Netzwerke kann genutzt werden.

- Außer Datenkatalogen lassen sich auch Zusatzinformationen wie Texte über Sensoren, Archive und Anwendungen abfragen.

- Satellitenaufnahmen können vorab durch Quick-Looks begutachtet werden.

- Ausgewählte Datensätze können entweder direkt übertragen oder am Bildschirm bestellt werden.

- Weltweite Recherchen sind möglich, weil ISIS an die zentrale Datenverwaltung der NASA für das Projekt "Global Change" angeschlossen ist.

In der Basisversion ist der ISIS-Zugriff auf die Übertragung von ASCII-Zeichen beschränkt; der Nutzer braucht also lediglich ein geeignetes Terminal (VT100), aber keine zusätzliche Software. Für die Darstellung der Quick-Looks benötigt man allerdings ein graphikfähiges Terminal. Diese ISIS-Schnittstelle wird mit Beginn des Jahres 1995 öffentlich freigeschaltet. Die auf der Nutzerseite erforderlichen Software-Module können dann über die angeführten Netze vom DFD kostenfrei bezogen werden.

Die Katalogsuche erfolgt objektorientiert durch Eingabe der Parameter Ort, Zeitraum und Datenquelle. Ein eigens dafür eingerichteter Computer (Katalogserver) zeigt dann am Bildschirm eine Liste der gefundenen Datensätze. Der Nutzer kann nun weitere Produktinformationen abfragen, einen Quick-Look für die visuelle Beurteilung aufrufen, bestimmte Aufnahmen bestellen oder ausgewählte Daten per Netzwerk kopieren.

ISIS bietet auch Zusatzinformationen über Fernerkundung, Sensoren, Bodensegmente sowie Fernerkundungsanwendungen als Texte in einem hierarchisch strukturierten "Infoboard" an, die sich über ein Menü oder einen Thesaurus aufrufen lassen. Dieser ist ein semantisches Netz von derzeit etwa 5000 Deskriptoren, von denen jeder einen wissenschaftlichen Begriff repräsentiert; seine aktuellen Schwerpunkte sind Fernerkundung, Sensoren, Plattformen und Atmosphärenchemie. Er wurde zwar in englischer Sprache konzipiert, funktioniert aber auch mit deutschen Begriffen. Die Deskriptoren sind untereinander durch die Relationen broader (weiter), narrower (enger) oder related (zusammenhängend) verknüpft.

Ende 1994 waren mehr als 30000 digitale Datensätze katalogisiert und mittels ISIS zugänglich:

- globale, auf 100-Meter-Auflösung reduzierte ERS-1-SAR-Bilder;

- mittels digitalem Geländemodell geokodierte ERS-1-SAR-Bilder des Bundesgebiets sowie Ausschnitte daraus;

- AVHRR-Quick-Looks aller sechs täglich empfangener NOAA-Satelliten-Passagen (das Kürzel steht für Advanced Very High Resolution Radiometer, das die reflektierte Sonnenstrahlung und die Wärmestrahlung von Erdoberfläche und Wolken mit einer räumlichen Auflösung von rund einem Kilometer mißt; dieser Sensor fliegt seit 1982 an Bord der Satelliten-Serie der amerikanischen National Oceanic and Atmospheric Administration);

- täglich ein geokodiertes, kalibriertes Bild Mitteleuropas aus Daten des AVHRR-Sensors und

- wöchentlich eine aus AVHRR-Daten berechnete Karte des Vegetationsindex im Großraum Europa als Indikator für die Biomasse und weitere Karten.

Das Angebot wird in den kommenden Jahren insbesondere um die Daten von ERS-2 (mit den Sensoren SAR und GOME) und der deutsch-russischen Mission Priroda (mit dem Sensor MOMS; siehe den folgenden Beitrag zur Rolle der Fernerkundung in der Kartographie) erweitert. Außerdem plant das DFD, hochauflösende optische Daten flächendeckend für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu akquirieren und seinen Nutzern anzubieten.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1995, Seite 91
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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