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Kosmologie: Das expandierende Universum

Nach Jahren der Ungewissheit haben Astronomen genügend Datenmaterial gesammelt, um die Expansionsbewegung des Kosmos, beschrieben durch die so genannte Hubble-Konstante, berechnen zu können.


Vermutlich bin ich die einzige Astronomin, die jemals in einem Käfig mitten im Strahlengang eines Großteleskops auf dem Gipfel des 4200 Meter hohen Mauna Kea auf Hawaii gefangen war. Mein Missgeschick ist zwanzig Jahre her. Damals saßen die Astronomen während ihrer Beobachtungen noch nicht in klimatisierten Computerräumen, sondern in sehr kleinen Kabinen im Primärfokus der riesigen Spiegelteleskope. Die langen Winternächte waren unerträglich kalt, aber wir genossen von dieser Position aus den spektakulären Anblick des Sternenhimmels, während wir Bilder und Spektren von fernen Himmelskörpern aufzeichneten.

Am Ende einer solchen Nacht geschah es: Wegen einer fehlerhaften Position des Fernrohrs blieb ein Fahrstuhl stecken – und damit war es mir unmöglich, die Beobachterkabine zu verlassen. Das bedeutete mehr als nur eine kleine Unbequemlichkeit: Immerhin befand sich die nächste Toilette zwölf Meter unterhalb von mir. Und ich war höchst unbequem in zwei dicke Schneeanzüge verpackt. Es dauerte sieben Stunden, bis endlich eine Gruppe von Technikern eintraf – sie mussten erst den Berg hinauffahren, und unterwegs hatten sie noch eine Reifenpanne. Meine Retter kletterten an der Seite der Kuppel hoch und bekamen den eingeklemmten Fahrstuhl endlich mit einer Brechstange wieder frei. Warum nur nimmt ein Wissenschaftler solche Unannehmlichkeiten auf sich?

Als beobachtende Kosmologin kann ich versichern, dass der Erfolg die gelegentlichen Unbequemlichkeiten mehr als wettmacht. Das Ziel ist anspruchsvoll: Meine Kollegen und ich wollen herausfinden, wie das Universum entstanden ist und wie es sich entwickelt hat. Unsere langwierigen Beobachtungen und Experimente liefern uns letztlich wichtige Zahlen: die Werte der so genannten kosmologischen Parameter. Diese Zahlen können uns wichtige Dinge über den Kosmos sagen, nämlich wie viel Materie es gibt, ob der Raum gekrümmt oder flach ist und ob das Universum für alle Zeiten expandiert oder irgendwann wieder in sich zusammenstürzt. Um die Bedeutung dieser Zahlen zu verstehen, müssen wir einen kleinen Ausflug in die Geschichte machen.

Eine Zahl beschreibt das Universum

Die wichtigste Grundlage der modernen Kosmologie ist die Allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein. Diese Theorie der Gravitation beschreibt das universelle Verhalten von Materie, Energie, Raum und Zeit. Einige Lösungen dieser Gleichungen – vor allem jene, die der russische Mathematiker Alexander Friedmann in den 1920er Jahren entdeckt hatte – weisen darauf hin, dass das Universum in einem extrem heißen und dichten "Urknall" entstanden ist und sich seitdem immer weiter ausdehnt. Die so genannte Friedmann-Gleichung beschreibt die dynamische Entwicklung des Universums in Abhängigkeit von seiner Dichte und Geometrie. Wir können die Friedmann-Gleichung aber nur anwenden, wenn wir etwas über die Parameter wissen, die in ihr enthalten sind. Dies sind die Hubble-Konstante H, welche die Expansionsrate des Kosmos angibt, die Massendichte m im Universum und die Raumkrümmung k. Diese Größen ergeben sich nicht als Lösungen der Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie, sondern wir müssen sie messen.

Einer der Ersten, der versuchte, solche Messungen durchzuführen, war der amerikanische Astronom Edwin Hubble. Seine Beobachtungen zeigten 1929 tatsächlich, dass Galaxien sich mit umso größerer Geschwindigkeit von uns fort zu bewegen scheinen, je größer ihre Entfernung von uns ist – so, wie es bei einer Expansion des Raumes zu erwarten ist. Dieser Zusammenhang zwischen Entfernung und Fluchtgeschwindigkeit ist nun als Hubble-Effekt bekannt. Für die heutige Expansionsrate des Kosmos – H0 genannt – fand Hubble einen Wert von 500 Kilometern pro Sekunde pro Megaparsec. Das Parsec ist eine von Astonomen genutzte Entfernungseinheit: Ein Parsec entspricht 3,26 Lichtjahren, ein Megaparsec sind eine Million Parsec. Aus mehreren Gründen lag Hubble mit seinen Messungen noch weit daneben – aber selbst vor wenigen Jahren schwankten die Ergebnisse der Kosmologen noch zwischen 50 und 100. (Aus Bequemlichkeit werden die Einheiten meist weggelassen.)

Dieser Mangel an Genauigkeit war ärgerlich. Denn H0 ist für die Kosmo­logen der Schlüssel zur Bestimmung ­sowohl der Größe als auch des Alters ­unseres Universums. Der große Bereich möglicher Werte für H0 führt zu einer inakzeptabel großen Spanne von 10 bis 20 Milliarden Jahren für das Alter der Welt.

Doch in den letzten Jahren hat sich die Situation geändert. Neue Technologien erlauben es uns, weiter als je zuvor in die Tiefen des Alls vorzudringen – und damit lassen sich auch H0 und einige andere kosmologische Parameter mit beständig wachsender Genauigkeit bestimmen. Einen wesentlichen Durchbruch brachte das 1990 gestartete Hubble-Weltraumteleskop. Die genaue Bestimmung von H0 war sogar einer der Hauptgründe für den Bau dieses erdumkreisenden Observatoriums. Über einen Zeitraum von acht Jahren, von 1993 bis 2001, waren dreißig Astronomen an diesem Projekt beteiligt, darunter auch ich. Rund eintausend Stunden der kostbaren Beobachtungszeit des Hubble-Weltraumteleskops wurden dafür aufgewendet.

Simples Prinzip – diffizile Messung

Eigentlich sollte die Hubble-Konstante recht einfach zu ermitteln sein: Man muss nur die Entfernung und die Fluchtgeschwindigkeit einer Galaxie messen. In der Praxis ist es allerdings alles andere als einfach, auf kosmischen Skalen Entfernungen zu bestimmen. Und selbst die eigentlich recht simple Messung von Geschwindigkeiten wird dadurch erschwert, dass viele Galaxien nicht allein im Raum stehen: Durch die Schwereanziehung benachbarter Sternsysteme wird ihre Bewegung beeinflusst. Die aus der Wechselwirkung resultierende Eigenbewegung gilt es säuberlich von der kosmischen Fluchtbewegung (auch Hubble-Fluss genannt) zu unterscheiden.

Wir berechnen die Geschwindigkeit einer Galaxie aus der beobachteten Verschiebung der Linien in ihrem Spektrum (das ist die Intensitätsverteilung der elektromagnetischen Strahlung in Abhängigkeit von der Wellenlänge). Das Licht von Galaxien, die sich von uns entfernen, wird durch den Doppler-Effekt gedehnt. Die Spektrallinien erscheinen dadurch zu größeren Wellenlängen hin verschoben – "rotverschoben", wie die Astronomen sagen. Je größer diese Rotverschiebung, desto höher die Geschwindigkeit der ­Galaxie. Da die Fluchtgeschwindigkeit durch die Expansion des Raumes mit der Entfernung anwächst, nimmt der Einfluss der Eigenbewegungen auf unsere Messungen mit der Entfernung ab. Wir können die Unsicherheiten noch weiter reduzieren, indem wir nicht eine, sondern viele Galaxien vermessen, die über den gesamten Himmel verteilt sind. Auf diese Weise sollte sich der Einfluss der Eigenbewegungen herausmitteln.

Die kosmische Entfernungsleiter

Wie aber messen die Astronomen nun die Entfernung der Galaxien von der Erde? Wegen der immensen Ausdehnung des Universums gibt es kein allgemein gültiges Verfahren. Jede Methode eignet sich nur für einen bestimmten Entfernungsbereich. In der Gesamtheit sprechen die Astronomen von der "kosmischen Entfernungsleiter", da sie sich durch Aneinanderreihen verschiedener Verfahren gewissermaßen von Sprosse zu Sprosse ins All hinaushangeln.

Die Entfernung der nächsten Sterne lässt sich direkt über die trigonometrische Parallaxe bestimmen (siehe Spektrum der Wissenschaft 2/2000, S. 50). Als Basislinie für diese Triangulation dient dabei der Durchmesser der Erdbahn. Weiter entfernte Sterne oder gar ex­tragalaktische Objekte erfordern jedoch andere, indirekte Methoden. Dazu benötigen die Astronomen Himmelskörper, die eine einheitliche Helligkeit haben, oder deren Helligkeit in einer festen Beziehung zu einer anderen, entfernungs­unabhängigen Größe der Objekte steht, wie beispielsweise zur Rotation, zur Farbe oder – bei veränderlichen Sternen – zur Periode des Lichtwechsels. Diese so genannten Standardkerzen müssen zunächst kalibriert werden. Das heißt: Die gemessene Helligkeit müssen die Wissenschaftler mit hoher Genauigkeit auf eine "absolute" Helligkeit umrechnen, welche die Standardkerze hätte, wenn sie in einer Einheitsentfernung stünde.

Die genaueste Methode zur Entfernungsbestimmung beruht auf der Beobachtung einer bestimmten Klasse von veränderlichen Sternen, den Cepheiden. Die Atmosphären dieser Sterne pulsieren in überaus regelmäßiger Weise. Die Perioden können dabei zwischen zwei und über einhundert Tagen betragen. Am Anfang des 20. Jahrhunderts stieß die amerikanische Astronomin Henrietta Leavitt auf einen Zusammenhang zwischen der mittleren Leuchtkraft eines Cepheiden und seiner Pulsationsperiode: Je heller der Stern leuchtet, desto länger ist seine Periode. Allein aus der Messung seiner Pulsationsperiode lässt sich also die Leuchtkraft eines Cepheiden bestimmen. Aus seiner Leuchtkraft wiederum und der von der Erde gemessenen scheinbaren Helligkeit des Sterns kann man seine Entfernung berechnen, da die Helligkeit mit dem Quadrat der Entfernung abnimmt. Ein weiterer Vorteil ist, dass Cepheiden sehr hell strahlen und deshalb auch noch in fernen Galaxien auszumachen sind.

Um aber Cepheiden in anderen Galaxien mit ausreichender Genauigkeit beobachten zu können, benötigen wir ein Teleskop mit gutem Auflösungsvermögen. Denn wir müssen diese Sterne von anderen trennen können, die ebenfalls zum Licht der Galaxie beitragen. Deshalb spielt das Hubble-Weltraumteleskop eine so große Rolle: Da es außerhalb der turbulenten Atmosphäre stationiert ist, ist sein Auflösungsvermögen zehnmal besser als das von gewöhnlichen Teleskopen auf der Erde. Das Hubble-Teleskop gibt uns also die Möglichkeit, Cepheiden in einem tausendfach größeren Volumen des Kosmos zu beobachten als zuvor (weil das Volumen mit der dritten Potenz der Entfernung anwächst). Auf diese Weise können wir noch Cepheiden messen, die sich im nächsten großen Ga­laxienhaufen in knapp dreißig Megaparsec Entfernung befinden. Jenseits dieser Entfernung müssen wir auf andere Verfahren zurückgreifen.

Drei dieser Methoden basieren auf bestimmten Eigenschaften von spiralförmigen und von elliptischen Galaxien. So besagt etwa die "Tully-Fisher-Relation", dass die Rotationsgeschwindigkeit einer Spiralgalaxie mit ihrer Leuchtkraft korreliert: Lichtstarke Galaxien rotieren schneller als lichtschwache. Die Korrelation ist exzellent, wie die Beobachtung von Hunderten von Spiralgalaxien zeigt.

Für elliptische Sternsysteme gibt es eine ähnliche Beziehung: Die Sterne in den hellsten dieser Galaxien weisen einen größeren Bereich von Umlaufgeschwindigkeiten auf, haben also eine größere Geschwindigkeitsdispersion.

Supernovae als Maßstab

Ein drittes Verfahren nutzt den Umstand, dass es mit zunehmender Entfernung immer schwieriger wird, einzelne Sterne in einer Galaxie zu erkennen. Wenn zum Beispiel auf dem Bild einer nahen Galaxie in jedem Pixel – in jedem Bildelement einer digitalen Aufnahme – zehn Sterne stehen, könnten es bei einer weiter entfernten Galaxie tausend Sterne pro Pixel sein. Die nahe Galaxie würde deshalb körniger erscheinen, weil die Helligkeitsvariationen von Pixel zu Pixel größer wären als bei der ferneren. Aus der Stärke dieser Helligkeitsvariationen kann man also ebenfalls auf die Entfernung schließen. Alle diese Verfahren lassen sich bis zu einer Entfernung von etwa 150 Megaparsec nutzen.

Zu den vielversprechendsten kosmologischen Entfernungsindikatoren gehört die Spitzenhelligkeit von Supernovae des Typs Ia. Zu solchen Sternexplosionen kommt es, wenn in einem Doppelsternsystem Materie von einem normalen Stern auf einen Weißen Zwerg strömt. Irgendwann überschreitet die Masse des Zwergsterns seine Stabilitätsgrenze, woraufhin er kollabiert. Dieser Kollaps führt zur einer explosionsartigen Zündung der Fusion von Kohlenstoffkernen, in deren Folge der Stern sich enorm aufbläht und für kurze Zeit so hell erstrahlt wie eine ganze Galaxie.

Die Form der Lichtkurve einer solchen Supernova erzählt uns zugleich, wie groß die maximale Helligkeit des Ausbruchs war: Hellere Supernovae nämlich zeigen flacher verlaufende Lichtkurven. So lässt sich bei diesen Sternexplosionen – genau wie bei den Cepheiden – aus wahrer und scheinbarer Helligkeit wiederum leicht die Entfernung berechnen. Da Supernovae extrem hell sind, lässt sich mit ihnen die Hubble-Konstante bis zu Entfernungen von rund 400 Megaparsec bestimmen. Dort beträgt die scheinbare Fluchtgeschwindigkeit bereits 30000 Kilometer pro Sekunde, die typischen Eigenbewegungen der Galaxien von 200 bis 300 Kilometern pro Sekunde fallen also nur noch mit weniger als einem Prozent ins Gewicht.

Auch Supernovae vom Typ II lassen sich als Entfernungsindikatoren benutzen. Hier sind es sehr massereiche Sterne unterschiedlicher Größe, die explodieren. Demzufolge zeigen diese Supernovae eine größere Bandbreite an Leuchtkräften als die Vertreter vom Typ Ia. Sie sind deshalb eigentlich keine guten Standardkerzen, doch lässt sich ihre Entfernung durch spektroskopische Untersuchungen ihrer expandierenden Hüllen und durch fotometrische Messungen ihres Winkeldurchmessers ermitteln. Diese Methode funktioniert bis zu Entfernungen von 200 Megaparsec.

Die Supernova-Verfahren liefern uns zunächst lediglich relative Entfernungen der Galaxien. Um daraus absolute Entfernungen zu erhalten, benötigen wir eine Kalibrierung – und diese liefern uns wieder die Cepheiden. Diese veränderlichen Sterne stellen also sozusagen die untere Sprosse der kosmologischen Entfernungsleiter dar. Die darauf aufbauenden Methoden bezeichnen wir als sekundär. Es sei angemerkt, dass Supernovae vom Typ II im Prinzip absolute Entfernungsbestimmungen erlauben. Im Rahmen unserer Arbeit haben wir sie jedoch mit den Cepheiden kalibriert.

Mit einer einzigen Ausnahme kalibrieren die Kosmologen alle sekundären Entfernungsindikatoren über die Messung von Cepheiden in Galaxien, die eine oder mehrere jener Eigenschaften zeigen, die für die Anwendung des sekundären Verfahrens benötigt werden. Ein­zig die Methode der Geschwindigkeitsdispersion bei elliptischen Galaxien lässt sich nicht direkt mit den Cepheiden kalibrieren. In diesem Fall müssen zur Ka­librierung die Cepheiden-Entfernungen der Galaxienhaufen bestimmt werden, zu denen die elliptischen Galaxien gehören. Dadurch sind die Unsicherheiten bei dieser Methode größer als bei den anderen.

Alle sekundären Methoden liefern im Prinzip einen eigenen Wert für die Hubble-Konstante H0. Doch die Streuung der einzelnen Werte ist inzwischen erstaunlich gering, was auf die Verfeinerung der Verfahren in den letzten Jahren zurückzuführen ist. Aus unseren mehrjährigen Arbeiten mit dem Weltraumteleskop finden wir H0 = 75 für die Cepheiden, 71 für die Supernovae des Typs Ia, 71 für die Tully-Fisher-Relation, 82 für die Geschwindigkeitsdispersion elliptischer Galaxien, 70 für die Fluktuation der Flächenhelligkeit und 72 für Supernovae des Typs II. Das gewichtete Mittel all dieser Werte ergibt als Ergebnis H0 = 72 ± 8. Die Konvergenz auf diesen Wert ist besonders deutlich für Galaxien mit einer scheinbaren Fluchtgeschwindigkeit von mehr als 5000 Kilometern pro Sekunde. Dies entspricht einer Entfernung von mehr als 70 Megaparsec. Für diese Entfernungen ist die Eigenbewegung der Galaxien bereits erheblich kleiner als der Hubble-Fluss.

Hubble-Konstante und Weltalter

Was bedeutet nun der Wert 72? Erinnern wir uns: H0 ist die gegenwärtige Expansionsrate des Kosmos. Um daraus das Alter des Universums berechnen zu können, müssen wir zusätzlich wissen, ob sich die Expansionsrate in der Vergangenheit geändert hat. Wenn die Expansion früher schneller oder langsamer verlaufen ist, muss dies natürlich bei der Berechnung des Weltalters berücksichtigt werden.

Bis vor kurzem waren sich die Kosmologen noch einig, dass die Schwerkraft der gesamten Materie im Universum die Expansionsbewegung im Laufe der Zeit bremst. Dann wäre die Expansion also früher schneller verlaufen, der Kosmos wäre dementsprechend jünger, als wenn er sich immer mit der gleichen Rate ausgedehnt hätte. Die Astronomen hatten also erwartet, auf eine höhere Expansionsrate zu stoßen, je weiter sie in die Vergangenheit des Kosmos zurückblickten.

Allerdings gab es Hinweise darauf, dass etwas mit diesem Bild nicht stimmen konnte. Rechnet man nämlich mit einer Hubble-Konstanten von 72 und nimmt an, dass die Expansionsgeschwindigkeit abnimmt, so erhält man für das Weltalter etwa neun Milliarden Jahre. Das Problem: In unserem Milchstraßensystem gibt es Sterne, die mindestens zwölf Milliarden Jahre alt sind. Da Sterne natürlich nicht älter sein können als das Universum selbst, muss also irgendetwas in diesem Bild falsch sein. Die Astronomen waren sich jedoch ziemlich sicher, das Alter der Sterne korrekt berechnet zu haben, da die Ergebnisse vieler unterschiedlicher Verfahren zur Altersbestimmung gut übereinstimmten.

Wie sich in den letzten Jahren zeigte, liegt die Lösung des Problems denn auch in einer neu entdeckten, unerwarteten Eigenschaft des Universums selbst. Zwei Gruppen von Astronomen, die ferne Supernovae beobachteten, stießen 1998 auf etwas Seltsames: Die Supernovae vom Typ Ia scheinen in großen Entfernungen schwächer zu leuchten als erwartet. Zwar wäre es denkbar, dass diese explodierenden Sterne in früheren Epochen des Kosmos tatsächlich eine geringere Leuchtkraft hatten – aber dafür gibt es keinerlei Indizien. Die einfachste Erklärung für das Phänomen ist deshalb, dass die Supernovae in Wahrheit weiter von uns entfernt sind als im Modell der abnehmenden Expansion berechnet. Die Supernovae vom Typ Ia deuten also darauf hin, dass die Expansion unseres Kosmos nicht abnimmt, sondern im Gegenteil sogar zunimmt (siehe Spektrum der Wissenschaft 3/1999, S. 40). Diese Beschleunigung der Expansion konnte inzwischen durch weitere Untersuchungen bestätigt werden. Viele Astronomen sind deshalb überzeugt, dass es eine bislang unbekannte, abstoßende Kraft geben muss, die der Gravitation entgegenwirkt. Für diese Abstoßungskraft hat sich inzwischen der Begriff "Dunkle Energie" eingebürgert.

Einsteins Eselei kommt zu Ehren

Eigentlich ist diese Dunkle Energie nichts völlig Neues. Einstein hatte in seine Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie einen Zusatzterm eingeführt, die so genannte kosmologische Konstante . Mit diesem Term wollte er den Kollaps seines Weltmodells unter dem Einfluss der Gravitation verhindern, denn er hielt das Universum für statisch. Nach der Entdeckung der kosmischen Expansion durch Hubble und andere ließ Einstein die Idee der kosmologischen Konstanten fallen – er bezeichnete sie gar als größte Eselei seines Lebens, hatte sie ihn doch daran gehindert, die Expansion des Universums vorherzusagen.

Bis vor wenigen Jahren noch haben die meisten Kosmologen ganz selbstverständlich in den Friedmann-Gleichungen, welche die Entwicklung des Universums beschreiben, gleich null gesetzt. Doch die Entdeckung, dass sich die Expansion des Kosmos beschleunigt, zeigt, dass dieser Term offenbar doch nötig ist: Die kosmologische Konstante repräsentiert möglicherweise die Dunkle Energie oder, physikalischer ausgedrückt, die ­Energiedichte des Vakuums. Diese Ener­giedichte hat merkwürdige Eigenschaften: Sie krümmt den Raum ganz ähn­lich, wie es Materie tut, aber zugleich übt sie einen negativen Druck aus, der zu jener beschleunigten Expansion führt, die wir beobachten (Spektrum der Wissenschaft 3/1999, S. 46, und 3/2001, S. 32).

Wie können wir also nun, im Lichte dieser neuen Forschungsergebnisse, das Alter des Universums abschätzen? Wenn wir die Friedmann-Gleichungen anwenden wollen, benötigen wir nicht nur den Wert von H0, sondern wir müssen auch die Dichteparameter m und sowie den Krümmungsterm k kennen. Die Theorie der Inflation (ein sehr erfolgreiches kosmologisches Modell, das für das frühe Universum eine extrem rasante Expansion, eben die so genannte inflationäre Phase, vorhersagt) sowie die Beobachtungen der kosmischen Hintergrundstrahlung weisen darauf hin, dass wir in einem flachen Universum leben, in dem k = 0 ist. In einem solchen Kosmos gilt dann per Definition m + = 1.

Die Massendichte m müssen wir aus Beobachtungen und Experimenten bestimmen – keine einfache Angelegenheit. Die Rotationsgeschwindigkeiten der Galaxien und die Dynamik der Galaxienhaufen deuten nämlich darauf hin, dass die sichtbare Materie, also die Sterne und die Gasnebel, nur einen kleinen Teil der gesamten Masse im Universum ausmachen. Ein Großteil der Masse scheint in Form unsichtbarer "Dunkler Materie" vorzuliegen, die über die Schwerkraft mit der leuchtenden Materie in Wechselwirkung steht und so die Bewegung der Sterne und Galaxien beeinflusst.

Die sichtbaren Sterne und Gasnebel tragen offenbar gerade einmal ein Prozent zur Gesamtmasse des Kosmos bei. Weitere vier Prozent der Masse steuern möglicherweise nicht leuchtende Körper bei, also zum Beispiel planetenartige Objekte oder warmes intergalaktisches Gas. Diese normale Materie, die hauptsächlich aus Baryonen (Neutronen und Protonen) aufgebaut ist, liefert demnach insgesamt nur fünf Prozent der kritischen Dichte für ein flaches Universum. Weitere 25 Prozent liegen anscheinend in Form exotischer (nicht-baryonischer) Materie vor. Das könnten bislang unbekannte exotische Elementarteilchen sein, die mit der baryonischen Materie ausschließlich über die Schwerkraft in Wechselwirkung stehen. Damit sind wir bei dreißig Prozent der kritischen Dichte (oder m = 0,3). Die Vakuumenergiedichte muss also etwa siebzig Prozent zur Gesamtdichte von Materie und Energie in einem flachen Universum beitragen ( = 0,7).

Die Revolution in der Kosmologie geht weiter

Wenn wir diese Werte in die Friedmann-Gleichungen einsetzen sowie den Wert 72 für die Hubble-Konstante, dann erhalten wir ein Weltalter von 13 ± 1 Milliarden Jahren. Dieser Befund, den wir aus unseren Messungen mit dem Hubble-Weltraumteleskop abgeleitet haben, steht nicht mehr im Widerspruch zum Alter der ältesten Sterne.

Unabhängige Messungen mit dem Satelliten WMAP (Wilkinson Microwave Anisotropy Probe) haben im Februar 2003 diese Werte bestätigt und sogar noch kleinere Fehlergrenzen geliefert (Spektrum der Wissenschaft 5/2003, S. 8). WMAP führte die bislang genauesten Untersuchungen der Temperaturschwankungen in der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung durch. Aus diesen Messungen ergab sich eine Hubble-Konstante H0 von 71, eine mittlere Materiedichte m von 0,27 und eine Vakuumenergiedichte von 0,73. Da­raus folgt mit einem Fehler von einem Prozent ein Weltalter von 13,7 Milliarden Jahren.

Noch vor wenigen Jahrzehnten sah unser Universum für die Kosmologen erheblich einfacher aus: Es gab nur die gewöhnliche Materie, und die Expansion ließ sich mit der Hubble-Konstanten und der Materiedichte allein beschreiben. Heute haben wir überzeugende Belege dafür, dass etwa ein Viertel der Gesamtdichte des Kosmos in Form nicht-baryonischer Materie vorliegt. Zudem zeigen die jüngsten Beobachtungen, dass der überwiegende Rest von einer mysteriösen Dunklen Energie beigetragen wird. Bislang liefert uns die Theorie keinerlei Erklärung dafür. Im Gegenteil: Berechnungen, die auf den Theorien der modernen Teilchenphysik basieren, stehen in krassem Gegensatz zu den astronomischen Beobachtungen (und das war schon so, als wir noch dachten, die kosmologische Konstante sei null). Die Astronomie liefert uns also einen Hinweis auf eine neue Physik – und auf einen Kosmos, der zu 95 Prozent aus exotischen Masse- und Energieformen besteht.

Wir befinden uns also in einer aufregenden Phase der Kosmologie. Die Zeiten, in denen der Astronom einsam in seiner Teleskopkabine saß, sind zwar vorbei. Aber eine Reihe von sorgfältig geplanten Beobachtungen läutet eine neue Ära der Präzision in der Kosmologie ein. Viele Experimente suchen derzeit nach den schwach wechselwirkenden Teilchen, aus denen die Dunkle Materie bestehen könnte. Große Forschergruppen messen sorgfältig die Beschleunigung der kosmischen Expansion.

Es gibt sogar Pläne für einen Satelliten, der ausschließlich dieser Aufgabe gewidmet sein soll. Bis zum Ende des Jahrzehnts können neue Satelliteninterferometer – die Space Interferometry Mission (SIM) der Nasa und das Projekt Gaia der Esa – uns erheblich genauere Werte für die Hubble-Konstante liefern. Die geradezu explosionsartige Entwicklung unserer technischen Möglichkeiten liefert uns eine Vielzahl unabhängiger Messungen dieser Parameter. Noch mag uns das komplette Bild fehlen, aber zweifellos sind wir inmitten einer Revolution, die unser Bild vom Universum nachhaltig verändern wird.

© American Scientist Magazine (siehe www.americanscientist.org)

Literaturhinweise


Das Universum in der Nussschale. Von Stephen W. Hawking, Gregory Benford, Markus Pössel. Hoffmann & Campe, 2002.

Schöpfung ohne Ende. Die Geburt des Kosmos. Sterne und Weltraum Special 2, Neuauflage 2002.

The Expansion Rate of the Universe. Von W. L. Freedman in: Astronomy and Geophysics, Bd. 43, S. 10 (2002).

Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 2003, Seite 46
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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