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Das fünfte Rahmenprogramm - Einschnitt in die europäische Forschungspolitik

Die Forschungsförderung der Europäischen Union soll sich künftig stärker an den politischen Vorgaben und der wissenschaftlichen Leistung orientieren dies sieht jedenfalls der jetzt vorliegende Entwurf vor.

Die europäische Forschungspolitik steht vor einem grundsätzlichen Wandel. Mit dem fünften Rahmenprogramm für diesen Bereich wollen Parlament, Ministerrat und Kommission der Europäischen Union einen "Sprung nach vorne" verordnen. Von der EU geförderte Forschung soll wissenschaftlich exzellent, wirtschaftlich und sozial relevant sein, sich auf zuverlässige Analysen stützen und nicht wie bisher einzelstaatliche und branchenspezifische Interessen pflegen.

Ein Gremium von elf Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik – dessen Vorsitz der Belgier Vicomte Etienne Davignon, der frühere Vizepräsident der EU-Kommission, innehat – fällte ein hartes Urteil über die europäische Forschungspolitik der letzten fünf Jahre: "Nach Auffassung des Gremiums wird das Rahmenprogramm seinen Ansprüchen nicht gerecht. Es hat keine klare Richtung, und die Ergebnisse lassen zu wünschen übrig." Der auftragsgemäß im Februar der Europäischen Kommission übergebene Bericht kam gerade noch rechtzeitig, um für das fünfte Rahmenprogramm, das für die Zeit von 1998 bis 2002 vorbereitet wird, mitbestimmend zu sein.

Seit Jahren schon wird über dieses neuerliche Forschungsprogramm diskutiert; mehr als einhundert Stellungnahmen gingen bei der Brüsseler Kommission dazu ein. Am 9. April hat diese endlich mit der Drucksache COM (97) 142 den endgültigen Entwurf verabschiedet, in den viele Anregungen des Expertengremiums eingeflossen sind und über den nun Europaparlament und Ministerrat zu entscheiden haben.

Hatten bisher strukturelle Gründe eine wirkliche Strategie der Forschungspolitik verhindert und das Umsetzen der Ergebnisse erschwert, soll das nunmehr fünfte Rahmenprogramm eine wichtige Neuerung bringen. Die für Forschung zuständige EU-Kommissarin Edith Cresson formulierte dafür drei Grundprinzipien: vorzügliche wissenschaftliche und technologische Leistung, Relevanz für die politischen Vorgaben der Union sowie ein sogenannter europäischer Mehrwert. Mit der Beschränkung auf sechs (statt bisher zehn) wissenschaftliche und technologische Ziele sollen sich die europäischen Forschungsbemühungen besser auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ziele der EU ausrichten.

Dazu werden drei thematische und drei horizontale Programme formuliert, die eng miteinander verbunden sind und sich ergänzen sollen.

Die drei thematischen Programme betreffen inhaltlich

- die Erforschung der Lebensgrundlagen und der Ressourcen des Ökosystems,

- die Entwicklung einer sozialen Informationsgesellschaft sowie

- die Förderung eines wettbewerbsorientierten und nachhaltigen Wachstums.

Sie enthalten zusammen 16 sogenannte Leitaktionen, mit denen globale Konzepte in bestimmten Themenbereichen umgesetzt werden sollen, und ergänzende allgemeine Tätigkeiten zur Entwicklung der Grundlagen- und der angewandten (generischen) Forschung sowie als drittes Element Maßnahmen zur Förderung der Forschungsinfrastrukturen.

Die horizontalen Programme sollen vor allem eine koordinierte Umsetzung des Gesamtkonzepts gewährleisten. Sie beziehen sich auf

- die Sicherung der internationalen Stellung der europäischen Forschung,

- die Innovation unter Einbeziehen von kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie, wie es im EU-Bürokratendeutsch heißt,

- den Ausbau des Potentials der Humanressourcen, also auf die allgemeine und berufliche Bildung der Bürger und das Fördern ihrer Mobilität.


Forschung unter veränderten Bedingungen

Freilich müssen die europäischen Forschungsrahmenprogramme, wie im Votum des Expertengremiums deutlich angesprochen, unter vielen einschränkenden Gesichtspunkten bewertet werden. Zu Beginn des ersten Rahmenprogramms 1984 war das Vertrauen von Politik und Öffentlichkeit in die Zukunftsgestaltung von Wissenschaft und Technik sehr groß. Heute indes investieren öffentliche Hand (Bild 1) und der private Sektor in Europa – im Gegensatz zu den wirtschaftlichen Konkurrenten USA und Japan – bedeutend weniger in Forschung und Technologie als damals; die Industrie hält sich aus kurzfristigen Marktinteressen zurück, und die Universitäten geraten europaweit unter den Druck der knappen öffentlichen Mittel. Insgesamt betrug 1995 der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt in Europa 1,9 Prozent, in den USA 2,45 und in Japan sogar 2,95 Prozent; in Europa kamen im Schnitt 4,7 Wissenschaftler und Ingenieure auf tausend Einwohner, in den USA 7,4 und in Japan 8,0 (Bild 2).

Das fünfte Rahmenprogramm für Forschung und Technologie soll einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der Probleme leisten, denen Europa an der Jahrhundertwende gegenübersteht: Arbeitslosigkeit, Verlust industrieller Wettbewerbsfähigkeit, Entstehen der Informationsgesellschaft, Einleitung dauerhafter ökologischer Entwicklung und Erweiterung der EU. Mit seinen geringen Mitteln – die nur 3,5 Prozent der gesamten Aufwendungen für Forschung und Entwicklung in Europa ausmachen – wird dieses Programm es allerdings schwer haben, sich durchzusetzen. Für das vierte Rahmenprogramm, das von 1994 bis 1998 läuft, waren zunächst 12,3 Milliarden ECU bewilligt worden. Eine vom Europäischen Parlament Anfang 1996 beschlossene Erhöhung um 700 Millionen ECU reduzierte der Ministerrat Ende vorigen Jahres auf 100 Millionen. Für das fünfte Rahmenprogramm nennt die Kommission noch keine Zahlen, weil sein größter Teil in die Zeit eines ab 1999 gültigen Finanzplanes fällt; sie hofft nur, daß es nicht schlechter als das vierte Programm ausgestattet wird.


Strategischer, europäischer, moderner

Um die Widrigkeiten gering zu halten, verlangen die elf Gutachter eine gezielte Ausrichtung des nächsten Programms. Die Kommission dürfe nicht einfach so wie bisher in den Konsultationen mit den Betroffenen deren Wünschen nachgeben, in denen sich nur Einzelinteressen ausdrückten; denn: "Das Rahmenprogramm betrifft die Union als Ganzes und soll dazu dienen, auf ihre spezifischen Probleme und Möglichkeiten einzugehen."

Das deutsche Mitglied des Expertengremiums, Frieder Meyer-Krahmer vom Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung in Karlsruhe, faßte am 21. April vor der Wissenschafts-Pressekonferenz in Bonn die Ergebnisse der Evaluation zusammen. Gegenüber dem vierten Rahmenprogramm müsse das fünfte weniger Inhalte und mehr Struktur aufweisen sowie strategischer, europäischer und moderner werden. Dazu seien allerdings sorgfältige Systemanalysen des Bedarfs und der Möglichkeiten europäischer Forschungsförderung erforderlich: Wo beispielsweise nimmt Europa eine Spitzenstellung ein, wo bestehen Lücken? Das Institut für technologische Zukunftsforschung der Gemeinsamen Forschungsstelle der Union in Sevilla, das eigentlich solche Fragen behandeln müßte, werde dafür noch zu wenig genutzt.


Der europäische Mehrwert

Insbesondere ist zu klären, was sich hinter dem europäischen Mehrwert, den das Rahmenprogramm bringen soll, verbirgt. Niemand habe diesen Begriff bisher definiert, meinte Godelieve Quisthoudt-Rowohl, Abgeordnete des Europa-Parlaments (CDU): "Wir werden den europäischen Mehrwert fördern, ohne zu wissen, was er ist."

Für Reinhard Grunwald, den Generalsekretär der Deutschen Forschungsgemeinschaft, besteht er darin, daß auf der wissenschaftlichen Ebene ein europäisches Netzwerk gebildet wird, das den Austausch von Professoren und Studenten erleichtert sowie europäische Workshops und virtuelle Institute ermöglicht. Die Gemeinschaft von hochqualifizierten Wissenschaftlern sehen auch die elf Gutachter als den wichtigsten Teil des europäischen Mehrwerts an, nennen aber noch weitere Beispiele: gemeinschaftlich betriebene Großforschungsanlagen, international wettbewerbsfähige interdisziplinäre Forscher- und Entwickler-Teams in Informations- und Biotechnologie, trag- und wettbewerbsfähige europäische Unternehmenskooperationen etwa in der Telekommunikation sowie gesamteuropäische Normen und Standards für kommerzielle Anwendungen. Insbesondere solle sich die europäische Forschungspolitik um die bisher vernachlässigten kleinen und mittelständischen Unternehmen kümmern.

Das fünfte Rahmenprogramm soll erheblich flexibler werden als seine Vorläufer. Vor allem sollen während seiner Laufzeit mehr Mittel bereitstehen, um ohne große bürokratische Komplikationen neue Themen aufgreifen zu können. Die Schwierigkeit in den letzten Jahren, die Erforschung des Rinderwahnsinns in den langfristig festgelegten vierten Rahmenplan aufzunehmen, hat offensichtlich wie ein Schock gewirkt. Über die politischen Voraussetzungen der Flexibilität sind sich Meyer-Krahmer und Godelieve Quisthoud-Rowohl einig: Der Ministerrat müsse über Forschungsfragen mehrheitlich entscheiden, weil die bisher geforderte Einstimmigkeit das Programm mit Einzelinteressen überfrachte; die politische Entscheidung müsse eindeutig bei Parlament und Ministerrat liegen, während sich die Kommission um effizientes Management zu bemühen habe. Das Forschungsrahmenprogramm dürfe zudem nicht einseitig mit Forderungen der Kohäsionspolitik beladen werden, wie es etwa Spanien für die Mittelmeerregion wünsche; darin müsse es vielmehr eng mit der Strukturpolitik zusammenarbeiten, wie es überhaupt mit den anderen Politikbereichen der EU enger kooperieren sollte.

Meyer-Krahmer warnte davor, das fünfte Rahmenprogramm mit Zielen zu überladen, um es nicht – wie das vierte – zu zersplittern. Freilich warnte Karsten Brenner vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie die EU-Kommission davor, gleichsam das Kind mit dem Bade auszuschütten, indem der gesamte Inhalt des Rahmenprogramms nur noch in drei statt bisher in 13 Einzelprogramme aufgenommen werde. Dies mache es wiederum sehr unübersichtlich. Allerdings: Bildungsforschung müsse ebenfalls in das europäische Programm aufgenommen werden. Auch der Vorschlag der Gutachter, statt der vielen Programmausschüsse nur noch einen Unionsausschuß mit hochrangigen Experten zur Überwachung des Programms vorzusehen, stieß auf der politischen Seite auf Skepsis – ein solcher Ausschuß könnte ineffektiv werden, weil sein Aufgabengebiet zu umfangreich sei.


Der sozioökonomische Hintergrund

Einig sind sich alle Beteiligten darin, daß das fünfte Forschungsrahmenprogramm großes Gewicht auf die Umsetzung der Ergebnisse und auf die enge Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft legen müsse. Dazu hat die für Forschung und Technologie zuständige Generaldirektion XII der Brüsseler Kommission eine aufschlußreiche Sammlung von "Daten zum sozioökonomischen Hintergrund des 5. Rahmenprogramms" vorgelegt. Sie belegen in zahlreichen Graphiken und Tabellen den immer größer werdenden Rückstand Europas gegenüber den USA und Japan; auch zeigen sie die Wechselbeziehung zwischen Forschung, technologischer Entwicklung und Innovation einerseits und Produktivität und Schaffung von Arbeitsplätzen andererseits auf. Der fünfte Rahmenplan müsse sich auf eine bessere Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Akteuren, die Integration der Technologien und die Interdisziplinarität sowie auf Themen konzentrieren, die sich positiv auf Wirtschaftswachstum und Beschäftigung auswirkten.

Nach einer Orientierungsdebatte des Forschungsministerrats der EU am 14. und 15. Mai soll nach den Vorstellungen der Kommission die erste Lesung im Europäischen Parlament im September 1997 stattfinden. Bis Spätherbst soll dann ein "gemeinsamer Standpunkt" ausgearbeitet werden. Freilich sind Verzögerungen möglich. Das fertige Rahmenprogramm soll nach den bisherigen Planungen im Februar 1998 vom Parlament gebilligt und im März vom Ministerrat verabschiedet werden. Der Ministerrat dürfte dann bis Sommer 1998 die "spezifischen Programme", also die inhaltlichen Festlegungen beschließen, wozu er vom Europäischen Parlament nur eine Meinungsäußerung, keine weitere Entscheidung braucht. Die ersten Ausschreibungen wären danach im Herbst 1998 zu erwarten.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1997, Seite 132
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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