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Das geozentrische Weltbild. Astronomie, Geographie und Mathematik der Griechen


Das neue Werk des ungarischen Altphilologen und Wissenschaftshistorikers Arpad Szabó, das hier als Originalausgabe im Taschenbuchformat vorgelegt wird, schildert ausführlich die Entstehung und Vollendung des geozentrischen Weltbildes in den großen Werken der antiken Astronomie, Geographie und Kalenderkunde. Der Gnomon, ein Schattenzeiger, diente den griechischen Wissenschaftlern zum Entwurf dessen, was Szabó dementsprechend als Gnomon-Weltbild bezeichnet.

Nach der Grundthese des Buches stellt dieses Weltbild, das aus heutiger Sicht ja als falsch zu bezeichnen ist, eine notwendige Übergangsstufe in der Wissenschaftsgeschichte dar, weshalb eine Auseinandersetzung mit ihm keineswegs unnütz ist. Szabó läßt sich den Hinweis nicht entgehen, daß wir auch heute noch viele geozentrische Vorstellungen pflegen, zum Beispiel bei der Bestimmung von Koordinaten auf der Erdoberfläche mit Hilfe astronomischer Betrachtungen (der mathematischen Geographie) und erst recht im Alltag.

Das Buch besteht aus fünf Teilen. Der erste, "Die Erde im Weltall", behandelt das Auftreten der Idee, daß die als kugelförmig angesehene Erde unbeweglich im Mittelpunkt des Kosmos ruhe. Hier erfährt man beispielsweise von der Bestimmung des Erdumfangs – mit Hilfe des Gnomons – durch Eratosthenes (284 bis etwa 200 vor Christus), von der Konstruktion der Sonnenuhr nach Vitruv (erstes vorchristliches Jahrhundert) und von der Bestimmung der Tagundnachtgleichen.

Im zweiten und dritten Teil, überschrieben mit "Die geographische Breite" beziehungsweise "Die Polhöhe", werden ausführlich die Überlegungen von Hipparch (etwa 200 bis 127 vor Christus) rekonstruiert, wie man die geographische Breite eines Ortes aus dem Verhältnis des Gnomons zu seinem Mittagsschatten ermitteln könne.

Der vierte Teil ist dem Kalenderwesen gewidmet, der fünfte den mathematischen Entwicklungen im Zusammenhang mit den geschilderten Themen, die teilweise auch schon im dritten Teil angesprochen werden. Hier ist vor allem die Sehnenrechnung zu nennen, der Vorläufer unserer (sphärischen) Trigonometrie. Szabó zeigt dabei viele überraschende Bezüge zu den "Elementen" des Euklid (um 300 vor Christus) auf, insbesondere zu den sowohl dort als auch im "Almagest" des Claudius Ptolemäus (um 85 bis 165) behandelten Vieleckskonstruktionen.

Insgesamt bringt es das Buch auf gut 360 engbedruckte Textseiten. Daran mag man erkennen, wieviel Stoff der Autor bietet. Szabó geht als Philologe vor; Quellen und Texte werden ausführlich gewürdigt und auch in der Originalsprache zitiert.

Davon werden sich wohl die meisten Leser überfordert fühlen. Überhaupt fällt es mir schwer, mir einen Leserkreis für dieses Werk vorzustellen, der wesentlich über die philologisch Versierten hinausgeht. Das müßte nicht sein, denn das Thema ist sehr interessant, und die mathematischen sowie sonstigen Entwicklungen werden eingehend erklärt.

Um dieses Buch einem breiteren Publikum besser zugänglich zu machen, hätte man einiges tun können: Außer einer Straffung – zugegebenermaßen ein stilistisches Problem – vermisse ich vor allem ein ausführliches Register; ein Glossar wäre dienlich gewesen. Das vorhandene Namensverzeichnis hilft ja nicht weiter, wenn man die Bedeutung von "Gnomon" oder "skaph-e" sucht oder mehr zum Thema "Fünfzehneck" erfahren möchte. Schwierigere Begriffe wie homozentrische Sphären oder nicht-progredierende Bewegung sollten dem der alten Sprachen nicht mächtigen Leser erklärt werden. Ärgerlich auch die vielen Abbildungsverweise ohne Seitenzahlen, die zu zeitraubendem Blättern zwingen.

Insgesamt ein anregendes Buch, besonders durch die vielen Spekulationen, die der Autor anstellt (sie sind meist als solche kenntlich gemacht). Sie werden nicht immer ungeteilten Beifall finden, aber das scheint mir kein Schaden. Allerdings stellt Szabós Werk hohe Ansprüche an Geduld und Fleiß des Lesers.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1994, Seite 126
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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